Urteil gegen Greenpeace: Signalwirkung gegen die Meinungsfreiheit
Eine Jury in North Dakota verurteilt Greenpeace dazu, 660 Millionen Dollar an eine Ölfirma zu zahlen. Die Umweltorganisation will sich wehren.

Die Jury hatte es als erwiesen angesehen, dass Greenpeace in den Jahren 2016 und 2017 die Proteste gegen ein umstrittenes Pipeline-Projekt in North Dakota rechtswidrig koordiniert haben soll. Der Kläger im Fall, die Ölfirma Energy Transfer, soll laut Anklage dadurch sowohl eine Rufschädigung als auch finanzielle Schäden in Millionenhöhe davongetragen haben. Greenpeace bestreitet die Vorwürfe und will Berufung gegen das Urteil einlegen.
„Ich möchte nicht übertreiben, aber der Klimawandel ist das wichtigste Thema unserer Zeit. Und wenn es nicht möglich ist, darüber in der mächtigsten Volkswirtschaft der Welt zu sprechen, dann ist das eine sehr schlechte Nachricht nicht nur für Greenpeace USA, sondern für den gesamten Planeten“, sagte Greenpeace Anwalt Daniel Simons im Gespräch mit taz.
Er fügte hinzu: Wenn selbst eine international bekannte Organisation wie Greenpeace mit einer solchen Klage an den Rand ihrer Existenz gedrängt werden könne, dann würden andere, kleinere Organisationen und Aktivisten zweimal darüber nachdenken, ob sie gegen ein Projekt demonstrieren.
Pipeline könnte Trinkwasser gefährden
Das Pipeline-Projekt, welches unter dem Namen Dakota Access Pipeline für Schlagzeilen sorgte, ist seit 2017 im Betrieb. Der Grund für die Proteste, die im Jahr 2016 starteten, waren Bedenken, dass die Pipeline die Trinkwasserversorgung der indigenen Bevölkerung der Standing Rock Sioux Tribe gefährden könnte. Auch beklagte die indigene Gemeinschaft damals, dass sie nicht genau über das Bauvorhaben und die möglichen Risiken informiert wurden. Das im texanischen Dallas ansässige Unternehmen Energy Transfer bestreitet diesen und weitere Vorwürfe.
Fast acht Jahre nach der Fertigstellung ist die Pipeline eine zentrale Komponente der amerikanischen Ölförderung. Die USA sind unter Ex-Präsident Joe Biden zum größten Ölproduzenten der Welt aufgestiegen. Durch die Dakota Access Pipeline fließen pro Tag mehr als fünf Prozent der täglichen Ölproduktion im Land.
Energy Transfer selbst bezeichnete die Entscheidung der Jury als einen Sieg für alle Amerikaner, die den Unterschied zwischen freier Meinungsäußerung und Gesetzesbruch verstehen.
„Wir sind zwar erfreut, dass Greenpeace für sein Vorgehen gegen uns zur Verantwortung gezogen wurde, doch dieser Sieg gilt in Wirklichkeit den Menschen in Mandan und ganz North Dakota, die täglich Schikanen und Störungen, durch die von Greenpeace finanzierten und ausgebildeten Demonstranten ertragen mussten“, erklärte das Unternehmen in einer Stellungnahme gegenüber der Associated Press.
Das Urteil gegen Greenpeace trifft gleich drei verschiedene Teile der Umweltorganisation. Neben dem US-Ableger Greenpeace USA wurden auch Greenpeace International aus den Niederlanden und die Finanzierungssparte Greenpeace Fund verklagt und für schuldig befunden.
Greenpeace hat Gegenklage eingereicht
Die Umweltorganisation hat in Vorbereitung auf eine mögliche Verurteilung in North Dakota im vergangenen Monat in den Niederlanden eine Gegenklage gegen Energy Transfer eingereicht. Greenpeace wirft der US-Firma vor, dass es bei dem Fall in North Dakota in Wirklichkeit gar nicht um irgendwelche Rechtsverstöße gehe. Vielmehr gehe es darum, eine Organisation und Aktivisten mit Anwaltskosten zu überhäufen, sie in den Bankrott zu treiben und letztlich abweichende Meinungen zum Schweigen bringen.
Diese Art von Klagen werden auch als SLAPP (Strategic Lawsuits Against Public Participation)-Klagen bezeichnet. Die von Greenpeace eingereichte Gegenklage ist laut der Organisation der erste Test einer neuen Anti-SLAPP-Richtlinie, die von der Europäischen Union im vergangenen Jahr verabschiedet wurde.
„Das letzte Wort ist in diesem Kampf noch nicht gesprochen. Wir stehen erst ganz am Anfang unserer Anti-SLAPP-Klage gegen die Angriffe von Energy Transfer auf die Meinungsfreiheit und friedliche Proteste. Im Juli werden wir Energy Transfer in den Niederlanden vor Gericht sehen. Wir werden nicht nachgeben. Wir lassen uns nicht zum Schweigen bringen“, sagte Kristin Casper, Rechtsbeistand bei Greenpeace International, in einer offiziellen Stellungnahme.
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