Urteil des türkischen Verfassungsgerichts: Zwei Journalisten kommen frei
Das türkische Verfassungsgericht sieht die lange U-Haft im Fall von zwei Journalisten als Rechtsverletzung. Das Urteil könnte zum Präzedenzfall werden.

Zaman-Kolumnist Sahin Alpay kommt frei: das Verlagsgebäude in Istanbul (Archivbild) Foto: dpa
ISTANBUL afp | In einem potenziell weitreichenden Urteil hat das türkische Verfassungsgericht am Donnerstag die Freilassung von zwei prominenten Journalisten angeordnet. Das Verfassungsgericht entschied mit knapper Mehrheit, dass der anhaltende Verbleib von Mehmet Altan und Sahin Alpay in Untersuchungshaft ihre Rechte verletze. Das Urteil kann einen Präzedenzfall schaffen und auch für den inhaftierten Welt-Korrespondenten Deniz Yücel von Bedeutung sein.
Alpays Anwalt Veysel Ok, der auch Yücel vertritt, sagte, das Urteil könne ein Meilenstein für inhaftierte Journalisten sein. „Dieses Urteil, das auf den ersten Antrag seit dem gescheiterten Putschversuch erfolgt, kann einen Präzedenzfall für andere Prozesse setzen“, sagte Ok laut Hürriyet Daily News. Er hoffe, dass die Entscheidung „der erste Schritt zu einer Stärkung des Rechts auf Meinungsfreiheit“ sein werde.
Auch Erol Onderoglu von der Organisation Reporter ohne Grenzen äußerte die Hoffnung, dass das Urteil „ein gutes Beispiel für die dutzenden Journalisten setzt, die seit Verhängung des Ausnahmezustands willkürlich inhaftiert worden sind“. Er hoffe nun, dass sich die untergeordneten Instanzen an das Urteil halten, und die Regierung „die missbräuchliche Festnahme von Journalisten“ beende, sagte Onderoglu.
Die oft monatelange U-Haft für Journalisten und Oppositionelle stößt seit langem auf Kritik. Alpay etwa sitzt seit 18 Monaten ohne Urteil hinter Gitter. Alpay und Altan hatten deshalb zusammen mit dem Cumhuriyet-Mitarbeiter Turhan Günay Beschwerde eingereicht. Das Verfassungsgericht soll demnächst auch über eine Beschwerde Yücels entscheiden, der seit vergangenem Februar ohne Anklage in U-Haft sitzt.
Sahin Alpay war Kolumnist der Zeitung Zaman, die als Sprachrohr der Bewegung des islamischen Predigers Fethullah Gülen galt. Die Gülen-Bewegung wird für den Putschversuch von Juli 2016 verantwortlich gemacht, 55.000 mutmaßliche Anhänger sitzen in Haft. Zaman war im März 2016 unter Aufsicht der Regierung gestellt worden, nach dem Putschversuch wurde die auflagenstarke Zeitung geschlossen.
Mehmet Altan ist Ökonom und Autor. Er ist zusammen mit seinem Bruder Ahmet Altan und der renommierten Kolumnistin Nazli Ilicak angeklagt, in den Medien verdeckte Botschaften vor dem Putsch verbreitet zu haben. Der dritte Beschwerdeführer Turhan Günay ist Leiter der Buchbeilage von Cumhuriyet, auch ihm wird Unterstützung der Gülen-Bewegung vorgeworfen. Er wurde jedoch schon vor Monaten aus der U-Haft entlassen.
Leser*innenkommentare
Philippe Ressing
Erdoghan hat sein Ziel erreicht - die Medien sind angepasst und jeder Journalist überlegt es sich zweimal, mit dem AKP-Chef un seiner Clique anzulegen. Insodern ist die Strategie der Einschüchterung aufgegangen, deshalb kann man jetzt 'Gnade' gegenüber den inhaftierten walten lassen. Die Medien und ihre Macher haben ihre 'Lektion' gelernt......
Velofisch
Man darf nicht vergessen, dass es in der Türkei keine unabhängige Justiz mehr gibt. Tausende Richter_innen wurden entlassen. Kürzlich gab es wieder eine Entlassungswelle. Wer jetzt noch dabei ist, ist angepasst. Dass dann nicht jedes Urteil daneben sein muss, widerspricht dem genauso wenig wie ein verregneter Sommer dem Klimawandel widerspricht.