Ursachen der Charité-Infektionen: „Die fliegen nicht durch die Luft“
Die Charité hätte die Infektion leicht in den Griff bekommen müssen, meint der Arzt für Hygiene, Klaus-Dieter Zastrow.
taz: Herr Zastrow, Serratia-Bakterien bringen Frühchen in der Charité in Lebensgefahr. Dabei galten die Keime bisher eher als harmlos. Haben sich die Experten verschätzt?
Klaus-Dieter Zastrow: Nein, die Keime sind tatsächlich nicht besonders exotisch. Sie machen auch nicht sonderlich krank. Sie kommen im Boden, auf Pflanzen, bei Tieren vor. Der Mensch kann sie in seinem Darm haben. Erst wenn sie in die Blutbahn, die Lunge, die Blase oder in eine Wunde kommen, machen sie Infektionen.
Was ist dann in der Charité passiert?
Auf jeden Fall muss jemand die Hygieneregeln, die in Deutschland seit Jahren Standard sind, nicht beachtet haben. Da werden Ringe getragen, Hände nicht ordentlich desinfiziert. Sonst kommt so ein Keim nicht an ein Frühchen heran. Die fliegen nicht einfach durch die Luft.
Haben Ärzte und Pfleger geschlampt?
Frühchen werden ausschließlich von medizinischem Personal behandelt, nicht von einem Besucher oder einem Putzmann. Also kommt nur das medizinische Personal als Überträger infrage.
Der 62-Jährige ist Arzt für Hygiene und Umweltmedizin und Sprecher der Deutschen Gesellschaft für Krankenhaushygiene.
Oder war es eine Frage der Diagnose, und die Ärzte haben das Problem nicht schnell genug erkannt?
Die Klinik hat den Ausbruch am 8. Oktober dem Gesundheitsamt gemeldet, das Problem also schon da erkannt. Dann kamen aber noch 17 Fälle hinzu. Die Charité hat die Infektionswelle nicht in den Griff bekommen.
Lassen sich Frühchen mit Antibiotika versorgen – hätte das geholfen?
Im Voraus macht man das gar nicht. Der Arzt muss erst mal wissen, mit welchem Erreger er es zu tun hat. Die Analyse dauert 48 Stunden, wenn es gutgeht; im schlimmsten Fall 72. Nach zwei, drei Tagen weiß man, mit welchem Antibiotikum behandelt werden muss. Aber selbst wenn ein Kind so behandelt und gerettet wird, schützt das nicht vor der Weiterverbreitung des Keims.
Haben die Mediziner aus dem Bremer Fall nichts gelernt, als 2011 drei Frühchen wegen Hygienemängeln starben?
Zwar handelte es sich in Bremen, anders als in Berlin, um multiresistente Keime, im Prinzip ist dort aber ganz genau dasselbe passiert. Bekannte Regeln, die bestimmt auch im Hygieneplan der Charité drinstehen, werden regelmäßig unterlaufen. Das ist genau das Gleiche, wie wenn Sie Leute erwischen, die mit 80 durch die Tempo-30-Zone brettern. Da ist die Straßenverkehrsordnung nicht falsch, aber die Leute machen Fehler. Und möglicherweise reichen die Strafen nicht.
Empfehlen Sie Schwangeren noch, in die Charité zu gehen?
Nach solchen Ereignissen werden die Hygienemaßnahmen immer besonders beachtet.
Wie stark ist der Ruf der Charité beschädigt?
Auf jeden Fall hat die Charité einen Makel, nicht weil dort der Keim aufgetreten ist, sondern weil sie die Infektionswelle nicht in den Griff bekommen hat.
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