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Urlaub ohne GeldFerien – und nun?

Essay von Katja Schrader

Unsere Autorin träumt vom Urlaub in Italien. Doch als Alleinerziehende reicht es nur für den Rostocker Ortsteil Lütten Klein. Wie man trotzdem das Beste daraus macht.

Kirschen, ein Zeichen des Sommers: Das Geld reicht nicht für die Art von Urlaub, den man dringend nötig hätte Foto: Anna Blazhuk/getty images

J edes Jahr wieder die gleiche Situation. Die Ferien beginnen, wir quetschen die Schultasche tief in den Schrank. Auch die Brotboxen kommen außer Sichtweite und ich stelle den Wecker aus. Ferien. Sechs Wochen und vier Tage und fast nichts geplant. Dafür bedrückt mich der Gedanke, 46 Mittagessen kochen zu müssen. Ich lebe mit meinem 10-jährigen Sohn allein.

Seit Wochen steht bei den meisten schon das Programm für die Ferien fest und ich hoffe, dass mich keiner fragt, was wir eigentlich machen. Jeder scheint zu wissen, wo es hingeht, das Ziel vor Wochen gefunden, gebucht, bezahlt. Ich freue mich mit allen mit: „Ah, zwei Wochen Ostsee – nur sagst du? Das ist doch schön“, „Erst dahin und dann da? – Klingt gut.“, „Amerika – wow.“ Schmerzhaft wird es bei Italien. Meine Sehnsucht nach der ligurischen Küste ist seit Jahren groß.

Auch wenn ich Individualreisen bevorzuge, gebrauchen könnte ich gerade einen All-inclusive-Urlaub – 10 Tage Sonne, Meer, Pool für das Kind und vor allem Essen, das nicht von mir gekauft, zubereitet und nachbereitet werden muss. Ausatmen, nichts organisieren müssen, alles schon bezahlt, Leichtigkeit. Aber es gibt kein Budget für solche Reisen und planen kann ich auch nicht gut.

Ferien bedeutet auch, wenig Zeit für mich zu haben

Die letzten Tage vor den Ferien waren angespannt. Ich geizte mit jeder Minute, die ich allein verbringen konnte. Sechs Wochen Ferien heißt auch, sechs Wochen wenig Zeit für mich. Die Stunden am Abend fallen weg, schließlich bleibt das Kind länger wach. Ich bin ehrlich, die großen Feste liegen mir nicht. Mir liegen die kleinen. Ich kann aus jedem Tag etwas Besonderes herausholen, mit grenzenloser Fantasie, Momente unerwartet gestalten, kleine Feste in Minuten aus dem Boden stampfen, aber die großen Dinge überfordern mich.

Noch dazu kommt die Frage, ob ich dem Kind nicht auch was bieten muss, etwas, das mit den Aktivitäten der anderen vergleichbar ist. Und dann soll der Sommer auch noch so einzigartig wie möglich sein. Sommer ist meine Zeit. Aber leicht ist er nicht.

Das Wichtigste im Urlaub: eine schöne Aussicht Foto: Katja Schrader

Ich schreibe in ein kleines Buch, was mir an Machbarem einfällt. Anfangs kommt mir kaum eine Idee, dann füllt sich das Buch: Matratzenübernachtung im Wohnzimmer, Abendessen im Waschsalon, eine Tour mit der Straßenbahn ins Ungewisse, kleine Urlaube in der Bibliothek, am Springbrunnen. Gibt es nicht jemanden, den wir besuchen können?

Ich gucke mal, was ich habe. Da ist mein kleines Atelierzimmer im alten Bahnhof in Schönwalde, im Spreewald. Da passen neben meinen Schreibtisch genau zwei Liegen. Dort können wir bleiben, solange wir wollen. Wir werden morgens mit dem Klapprad zum Bäcker fahren, eines der saftigen Stücke gleich im Laden essen. Ich könnte abends einen Film an die alte Bahnhofswand beamen, vielleicht „Der Swimmingpool“ mit dem aufregenden Alain Delon und danach den Soundtrack des Films auf dem leiernden Plattenspieler über die dunklen Schienen in die Stille schicken.

Die Freibäder der Umgebung sind für das Kind verlockend. In Golßen kostet der Eintritt in das nie überfüllte Bad so wenig wie nirgends mehr. Auf der ausgeliehenen Liege kann man sich, mit Blick auf das Becken, ein bisschen wie in dem französischen Film fühlen und von Alain Delon träumen. Und wir werden kleine, überraschende Feste feiern. Im letzten Jahr erfand ich das Spiel: 1 Laden, 3 Menschen, 3 Euro. Dem Kind gab ich das Geld. Unser Freund machte mit. Jeder musste 3 Dinge kaufen. Am Abend präsentierten wir unsere neu erworbenen Schätze den anderen. Jemand aus dem Ort hat den Jungen eingeladen, mal bei ihm zu imkern. Ich merke, es ist mehr da als gedacht.

Jedes Jahr, wenn unser winziger Kirschbaum, der in einem Topf auf der Terrasse steht, Früchte trägt, gibt es eine Zeremonie. Für jede Kirsche, die wir abwechselnd in den Mund stecken, wünschen wir uns mit geschlossenen Augen was für den Sommer. Mein Junge will baden im Freibad und im See, ich gute Fotos und leichte Tage mit Sonnenschein. In den letzten Jahren habe ich mir Italien gewünscht. Das ließ ich in diesem Jahr weg. Klappt ja doch nicht. „Lütten Klein“, sagte der Junge mit leuchtenden Augen. „Wieder Lütten Klein?“, fragte ich. „Ja, bitte.“

Lütten Klein, ein Ortsteil von Rostock, der nicht gerade der attraktivste ist, war vor fünf Jahren, als ich wie immer auf den letzten Metern kein bezahlbares Quartier mehr fand, eine Notlösung und wurde zum Traditionsziel in jedem Sommer. Da stehen statt Palmen Plattenbauten. Es ist von Weitem betrachtet wie Urlaub in der DDR. Irgendetwas Vertrautes finde ich dort. Aber ich sehe jedes Jahr mehr die Schwierigkeiten, die traurigen Gestalten, die keinen Platz in der Gesellschaft gefunden haben, die schon morgens vor dem Asia-Imbiss das Treiben beobachten, als hätte es mit ihnen nichts zu tun.

Um die Tage zu gestalten, ist Fantasie gefragt

Es ist gar nicht so, dass die Unterkunft in dem ehemaligen Arbeiterwohnheim günstig wäre. Mit Kind zahlt man ein normales Doppelzimmer. Wer mit Kind allein reist, muss in den meisten Fällen für beide den vollen Preis bezahlen. Aber ich liebe hier den Blick auf die vielen Fenster. Ich finde das nicht weniger inspirierend, als auf das Meer zu sehen. Die Ostsee ist mit dem Auto in 15 Minuten erreichbar. Um die Tage zu gestalten, ist Fantasie gefragt. Wir ziehen in geheimnisvoller Mission mit Walkie-Talkies durch das Einkaufszentrum und finden in den Bücher-mitnehm-Regalen Schätze. Wieder Lütten Klein, das fünfte Jahr in Folge?

Für Berliner Aktivitäten habe ich für neun Euro den Super-Ferien-Pass gekauft. Der hat neben Gutscheinen für Ermäßigungen in Kinos und Museen in der Mitte eine Badekarte. Mit der kann das Kind jeden Tag in den Ferien in einem Frei- oder Hallenbad kostenlos schwimmen gehen. Ich habe alle Spiele, die der Junge nie angesehen hat, in eine große Tüte gepackt. Aus der können wir was ziehen. Das testen wir dann. Und wir machen mit dem Rad „Mal-sehen-was-passiert“-Touren. Manchmal bringt es was, den Dingen schöne Namen zu geben, um sie besonders zu machen. In einer Kiste sammeln wir alle Sommerfundstücke, besondere Steine, Bücher, seltsame Gegenstände, ein Tütchen Ostseesand. Die ziehen wir dann im Winter unter dem Sofa hervor und erinnern uns.

Wichtig ist es, sich zu überlegen, wie jeder von uns was von der Zeit haben kann. Was mir seit einigen Jahren hilft, ist, jeden Tag was Neues zu machen. Es ist ein kleines unauffälliges Spiel. Manchmal kann der Junge mitmachen, meistens mache ich es für mich allein. Ich will Mundharmonika lernen, ein Salatrezept aus einer italienischen Zeitschrift übersetzen und ausprobieren. Sogar ein auffälliges Kleid habe ich dafür im Sale gekauft. Mal sehen, wann ich es trage.

Arbeiten muss ich in den sechs Wochen auch. Hierfür habe ich meinen roten Holzklapptisch an einen ungewöhnlichen Ort gestellt. Im Badezimmer gibt es eine ungenutzte Ecke, vor der Waschmaschine am Fenster. Ich habe den kleinen Ventilator auf den Tisch gestellt, einen Vorhang davor gehängt. Jeden Tag was Neues. Es ist ein herrlich unkonventionelles Sommerarbeitszimmer ohne Ablenkungen. Um das Schreiben anders zu gestalten, benutze ich eine alte Tastatur. Sie macht ein herrliches Klackergeräusch. In den Pausen läuft italie­nisches Radio, der kleine Ventilator bläst mir ein Windchen in die Haare.

Jetzt freue ich mich – es ist Sommer, sechs schöne Ferienwochen können wir gestalten. Da wird so einiges passieren und am Ende wird die Zeit rennen und wir werden nicht alles geschafft haben. Und trotzdem bleibt die Sehnsucht nach einer Reise in den Süden. Könnte ich nicht mal versuchen, im nächsten Jahr schon im Winter was für den Sommer zu überlegen? Die letzten zwei Wochen halte ich mir mit der kleinen Hoffnung frei, dass ja vielleicht doch noch Italien möglich ist. Wahrscheinlich wird es dann wieder Lütten Klein.

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4 Kommentare

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  • Über Lütten Klein fährt auch der Zug von Rostock nach Warnemünde. Kreativität schlägt Geld auch hier, wobei der Vater des Kinds vielleicht auch noch Ideen hätte. Und Kinder sind verblüffend gut darin, mal nicht beaufsichtigt oder bespaßt zu werden.



    Nur sollte es nie jemand so kreativ machen _müssen.



    Wir müssen über Verteilung reden.

  • Wenn es jetzt nur um Italien an sich geht ein kleiner Tip : es muss kein teures All-Inclusive Hotel sein, vielleicht auch einfach ganz spartanisch ein schöner Campingplatz (Campingplätze gibt es an der ligurischen Küste zuhauf, oft direkt am Meer, vor allem in der Region um Nizza), das Geld was man dann im Vergleich zum Hotel einspart, kann man dann für lecker Essen gehen beiseite legen, dann muss man auch nicht immer kochen ;)

  • Mit 10 hat mein Sohn schon für uns gekocht. Anfangs unter Anleitung aber später auch alleine. Nicht immer ist alles anfangs gelungen aber mittlerweile koche ich gar nicht mehr (er ist jetzt 13) weil ihm das so viel Spass macht.



    Und - warum weniger Zeit weil er abends länger auf ist. Freunde die ihn besuchen / die er besuchen kann gibt es nicht?



    Zudem sind Eltern ja nicht per se für eine dauerhafte "Bespaßung" verantwortlich.



    Kann natürlich sein das das Kind eine Beeinträchtigung hat - das geht aus dem Text aber nicht hervor. Wir haben in den Ferien nur wenig mit den Eltern gemacht sondern uns mit uns selber beschäftigt.