Urenkelin über Enteignung durch Nazis: „Ich möchte endlich abschließen“
Maeva Emden ist Nachfahrin eines Hamburger Unternehmers, der seinen Besitz unter den Nazis verkaufen musste. Sie kämpft nach wie vor um Entschädigung.
taz: Ab wann wurde die Geschichte Ihres Großvaters zu Ihrer Geschichte, Frau Emden?
Maeva Emden: Ich wusste lange wenig über meine Familie. Ich trug einen deutschen Namen, ich wusste, dass mein Urgroßvater aus einer norddeutschen Hafenstadt kam, deren Namen in Chile ständig falsch geschrieben wurde, aber viel hat man darüber nicht gesprochen. Mein Opa hat nach der Zeit, als er aus Deutschland fliehen musste, ein Tor geschlossen.
Haben Sie Ihren Großvater, den die Nazis ausgebürgert haben, noch kennengelernt?
Ja, ich war sehr eng verbunden mit ihm – vor allem, als ich beschlossen hatte, nach Berlin zu gehen, hat er mich sehr unterstützt.
Ausgerechnet er? Haben Sie die Wunde für ihn nicht wieder aufgerissen?
Ja, ein Teil seines Lebens machte dieser Schmerz aus, aber er hat mich unterstützt. Er sagte: Du brauchst deine Unabhängigkeit und in Europa kannst du dich weiterbilden. Hier in Chile ist es schön, aber du wirst hier nicht so weit kommen, wie du es vielleicht könntest.
Hat er Ihnen von seinem Leben in Deutschland erzählt?
43, geboren in Barcelona, Soziologin, lebt seit 2007 in Hamburg. Sie ist die Urenkelin des jüdisch-stämmigen Unternehmers Max Emden, der unter den Nationalsozialisten sein Eigentum unter anderem an die Stadt Hamburg und Hamburgische Familien teils unter Wert verkaufte. Nun kämpft sie um eine Wiedergutmachung.
Erst als ich nach Berlin ging. Da fing er an, peu à peu, Dinge loszulassen: Dass er in Hamburg von der Gestapo festgenommen worden ist. So wie ich es verstanden habe, hat er gewettet – das war schon leichtfertig – dass er die Stadt verlassen und wieder betreten könne, ohne den Hitler-Gruß zu zeigen. Das wollte er partout nicht. Die Gestapo hat ihm Bilder von KZ-Häftlingen aus Neuengamme gezeigt. Nur weil er Geld hatte, konnte er sich freikaufen. Später hat man ihm dann die Staatsbürgerschaft entzogen. Aber: Er war nicht im KZ. Es gibt sehr viel dramatischere Familienschicksale.
Wohin ist Ihr Großvater nach dem Entzug der Staatsbürgerschaft gegangen?
Er hatte keine Schweizer Staatsangehörigkeit wie mein Urgroßvater. Deshalb hat er sich einen haitianischen Pass gekauft, wurde dann auf der Flucht über Portugal festgenommen, aber ihm fiel noch ein, dass seine Mutter in Chile geboren worden ist.
Sie waren früh eine sehr kosmopolitische Familie.
Ja, auch danach. Meine Mutter ist halb Chinesin und halb Schweizerin, mein Vater halb Chilene, halb Deutscher. Mein Großvater hat eine Chilenin in Argentinien kennengelernt und ist mit ihr nach Chile gegangen, wo er das gemacht hat, was er gut konnte: Er hat eine Drogerie eröffnet und mit Immobilien gehandelt.
Hat er versucht, für die Enteignungen durch die Nazis Entschädigung zu bekommen?
Er hat in den 60er- und 70er- Jahren versucht, etwas zurückzubekommen. Aber da wurde argumentiert, dass er kein Jude sei. Zuerst wurde er als Jude enteignet und danach, als es um Entschädigung ging, hieß es: Du bist kein Jude. Es ist diese Ungerechtigkeit, mit der ich schlecht leben kann.
Wie hat er das aufgenommen?
Das weiß ich nicht – ich habe das alles erst danach erfahren. Er war einmal in den 70ern mit meinem Vater in Deutschland und dann erst wieder nach der Wende. Dann war er in Hamburg und das hat ihm gut getan. Er hat den Hauswart des Poloclubs getroffen, mit dem er als Kind gespielt hat. Ich glaube, dass er versucht hat zu kämpfen, aber nicht mit vollem Elan, weil er merkte, dass es nichts brachte. Er dachte: Ich habe mein Leben aufgebaut, es ging uns gut, mein Vater hatte die besten Schulen in Chile besucht.
Und Sie sind auf eine deutsche Schule gegangen. Wie war das für Sie?
Für mich hieß das: Oh, das sind Deutsche. Wir sprachen Spanisch zuhause, wir hatten dieses deutsche Leben nicht mit dem deutschen Club, der deutschen Schule. Ich kam die letzten vier Jahre vor dem Abi dorthin. Dort gab es sonderbare Leute, Altnazis. Der Deutschlehrer hat zu uns gesagt, dass wir sowieso nichts lernen würden, wir seien alles Indianer. Mein Opa hat sich da auch nicht eingemischt. Er hat jegliche Form, mit Deutschen zu verkehren, vermieden. Es waren Ungarn, es waren Chilenen, die er traf und er war in einem britischen Club.
Ab wann haben Sie sich mit mit seiner Geschichte befasst?
Mein Vater hat meinen Großvater ein paar Mal nach Europa begleitet, um dort Sachen zu verkaufen, er hat nach 1989 peu à peu angefangen, nachzufragen und nachzuforschen, aber es kam nicht viel dabei heraus. Als mein Großvater starb, begann das Aufarbeiten. Mein Vater als Ältester hat sich der Sache angenommen und das ist es, was mich aufwühlt: diese Verletzung über Generationen.
Wann kamen Sie dazu, mitzukämpfen?
Mein Vater wird müde und alt, und deswegen möchte ich ihm ein wenig dabei helfen, weil ich hier wohne und der Sprache mächtig bin. Es ist weit weg von mir, wie mein Urgroßvater gelebt hat, aber es ist die Geschichte meiner Familie. Die Wurzeln wurden gezogen, ich möchte endlich damit abschließen.
Wie sähe so ein Abschluss für Sie aus?
Dass man anerkennt, dass hier Unrecht getan wurde. Klar geht es auch um Wiedergutmachung. Wenn mein Vater als Lateinamerikaner, der er ist, sagt: „Lassen Sie uns doch einfach mal treffen“, geht das ins Leere. Wir bekommen nur ein lapidares Schreiben vom Hamburger Senat, der nicht einmal direkt mit uns spricht. Es geht um zu viele Grundstücke und so sitzt die Stadt es seit 2008 einfach aus. So geht die Verletzung weiter. Und es kommen immer mehr Sachen heraus.
Nämlich?
Wie die Häuser, Sachen und Grundstücke der jüdischen Familien, die Geld hatten, hin und her geschoben worden sind. Man darf keine Namen nennen, aber ich habe die Listen dazu.
Warum darf man die Namen nicht nennen?
Es sind wichtige Familien hier in Hamburg und sie waren alle mit meinen Urgroßeltern befreundet.
Gibt es vergleichbare Fälle, an denen Sie sich orientieren könnten.?
Mein Eindruck ist, dass wir ein Präzedenzfall sind, auch, weil mein Urgroßvater die Kunstsammlung aus der Schweiz verkauft hat – und die Argumentation ist, dass er das nicht hätte tun müssen. Aber wieso musste er verkaufen – er brauchte das Geld. Vermutlich ist die Furcht auf der anderen Seite, dass nach uns andere mit ähnlichen Ansprüchen kommen.
Sie sagen über Ihren Vater: „Lateinamerikaner, der er ist“. Als was empfinden Sie sich?
Das ist schwierig zu sagen. Nach 20 Jahren Deutschland bin ich für meine chilenischen Freunde sehr deutsch geworden: dass ich immer einen Termin brauche, dass ich pünktlich komme – also pünktlich für sie, ich komme 15, 20 Minuten zu spät. Ich habe auch den Einfluss meiner Mutter, Chinesin, in Tahiti aufgewachsen, Schweizerin – ich habe all das in mir und ich kann alles nehmen, was ich brauche.
Wie war es für Sie, nach Deutschland zu gehen – oder war es ein Gang nach Berlin?
Ich habe Berlin tatsächlich als Berlin gesehen. Ich fand es nach der Wende wahnsinnig spannend, dort zu sein. Die Kneipen, die nur einen Tag existierten, in einer Fabriketage in Neukölln zu leben, 1997 – jetzt ist es gentrifiziert ohne Ende. Aber die Anfangszeit war schwierig.
Warum?
Ich war nicht angedockt: Ich wohnte zuerst in Wilmersdorf, die Kassiererin im Supermarkt hetzte mich, während man in Chile Small Talk machte. Ich ging in die Bibliothek, um die chilenischen Zeitungen zu lesen, so viel Heimweh hatte ich. Aber mein Vater sagte: Halt es aus.
Das heißt, Ihre Familie hat Sie unterstützt, zu bleiben?
Obwohl ich die Älteste war und mich viel um meine Geschwister gekümmert habe. Auch mein Großvater sagte „bleib' da“ und hat mir etwas Geld gegeben. Ich hatte nichts außer einem Koffer, als ich ankam, deswegen musste ich sofort anfangen, zu arbeiten.
War das ein Erziehungsideal, dass sich die Kinder die Dinge selbst erarbeiten müssen?
Das kam auch von mir selbst, dass ich meinen Unterhalt selbst verdienen wollte. Aber mein Opa war auch so mit meinem Vater gewesen.
Gehört dorthin auch, dass Sie in der Schanze wohnen und nicht in Flottbek?
Ein bisschen schon; ich brauche die Inputs der Außenwelt, politisch, sozial, kulturell: zu wissen, worum es eigentlich geht. Die Schanze war für uns das Pendant zu dem Kreuzberg, in dem wir damals in Berlin gelebt haben.
Wobei man sich schon fragt: Von allen Städten in der Welt, warum Hamburg?
Ich glaube, es ist Schicksal: Ich studierte in Berlin und lernte eine WG in Friedrichshain kennen mit meinem späteren Mann, einem Hamburger.
Sie hätten ja in aller Ruhe in Berlin bleiben können.
Sind wir auch zehn Jahre lang. 2007 bin ich dann nach Hamburg gezogen, da mein Mann mit seinem Vater in dessen Unternehmen in Hamburg zusammenarbeiten wollte.
Der Schmerz, keine Wurzeln zu haben, von dem Sie sprachen …
… ich würde sagen, es ist die Tatsache, dass uns die Entscheidung darüber abgenommen worden ist. Dass man meinen Opa einfach ausgebürgert hat. Und dann ist in den 70er-Jahren in Chile unter Pinochet etwas Ähnliches passiert, auch wenn man die Situation insgesamt nicht vergleichen kann. Das wäre meine große Frage an meinen Großvater gewesen: Was hast du gedacht, als Pinochet an die Macht kam und systematisch Leute gefoltert und getötet hat, nur weil sie anders dachten? Zu dieser Frage sind wir nicht gekommen.
Haben Sie für sich eine Erklärung gefunden?
Ich glaube, dass die Verletzung so groß war, dass er sich gesagt hat: Ich versuche unauffällig zu bleiben, ich will nicht noch einmal flüchten. Also hat er sich arrangiert und das beschäftigt mich schon. Er hat im Alter in einem Holzhaus am Meer gelebt, und ist dort auch gestorben. Ich konnte mich noch von ihm verabschieden, dafür bin ich sehr dankbar. Er hat nur noch Deutsch gesprochen, Hamburger Slang, sogar mit den Ärzten, die ihn gar nicht verstanden. Daran zeigte sich, wie verbunden er doch war mit der deutschen Sprache und Hamburg.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen
Umgang mit nervigen Bannern
Bundesrat billigt neue Regeln für Cookies