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Urbane Gestaltung in KreuzbergStein her, Stein hin

Am Mehringplatz wurde vor Kurzem in einer Guerilla-Aktion eine Granitstufe verlegt, um die dysfunktionale Planung zu flicken. Nun ist sie wieder weg.

Improvisierter Weg, nun wieder ohne Hilfsstufe Foto: C. Prößer

Lange, sehr lange war der Mehringplatz am südlichen Ende der Friedrichstraße eine Baustelle. Im vergangenen Jahr endlich fielen die Bauzäune um das Rondell mit der „Friedenssäule“ und gaben eine leicht wellige, baumbestandene Rasenfläche frei. Drei grün getünchte Asphaltwege durchziehen das Gras – allein, keiner davon liegt auf der Nord-Süd-Achse. Auch manche taz-RedakteurInnen, die hier des Öfteren auf dem Weg zur Arbeit vorbeikamen, fragten sich von Anfang an: Würde das gutgehen?

Es ging natürlich nicht gut, jedenfalls nicht aus Sicht der UrheberInnen. Offensichtlich haben Stadt- und GrünflächenplanerInnen immer noch nicht verinnerlicht, dass Menschen mit ihrer Energie haushalten und, komme was wolle, den direkten Weg nehmen, um an ihr Ziel zu gelangen – cutting corners, wie es auf Englisch so schön heißt. Ein Jahr später hat sich ein breiter, staubiger und den Platz von Norden zur Platzmitte durchschneidender Trampelpfad gebildet.

Im Bezirksamt, das 7,1 Millionen Euro aus zwei Bund-Länder-Förderprogrammen in die Umgestaltung des Platzes und der anschließenden Fußgängerzone investiert hat, ist man jetzt auch schlauer: Auf Anfrage heißt es, die 2016 beim Realisierungswettbewerb siegreiche Planungsidee einer „geschlossenen Wiesenfläche mit umlaufenden Wegeführungen“ werde „offensichtlich von den Ver­kehrs­teil­neh­me­r*in­nen nicht angenommen“. Wobei sich schon darin ein Kuriosum versteckt – denn tatsächlich sah der Gestaltungsentwurf des Büros „Lavaland“ überhaupt keine Durchwegung vor. Die wurde nachträglich vom Bezirk angeregt – nur zum wirklich Naheliegenden konnte man sich nicht durchringen.

Freude über den Quader

Vor einigen Wochen kam quasi über Nacht ein Gestaltungselement hinzu: Am nördlichen Ende des Trampelpfads, dort, wo dieser mit 40 Zentimeter Höhenunterschied über dem Pflaster aufhört, tauchte ein Granitquader auf, der von den Trampelnden freudig angenommen wurde. Schließlich war die gar nicht als Stufe vorgesehene Kante unangenehm hoch, und das in einer Art Guerrillaaktion verlegte Stück Stein machte Arbeits- oder sonstige Wege ein bisschen bequemer.

Der Mensch hinter dem Stein ist kein Unbekannter: Helmut Maier, 86, Kreuzberger Architekt und Denkmalpfleger, liegt als Gründer der Gesellschaft Historisches Berlin e.V. seit Langem mit der zeitgenössischen Stadtgestaltung über Kreuz. Viel mehr als nur ein kleiner Service im Dienste der Allgemeinheit war die Stufen-Aktion für Maier ein Nadelstich gegen eine Politik, die aus seiner Sicht „geschichtsvernichtend“ mit dem städtebaulichen Erbe umgeht.

Schon sein Lehrer Hans Scharoun, der den Doppelring der heutigen Bebauung konzipierte, habe eine „Verdörflichung“ des einstigen Belle-Alliance-Platzes im Sinn gehabt, so Maier zur taz. Sein Zorn richtet sich ebenso rückblickend auf Planungen wie die Südtangente, eine Autobahn, die hier fast einmal Kreuzberg durchschnitten hätte, wie aktuell auf den Umgang mit historischen Namen: Dass das Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg aus der „Südlichen Friedrichstadt“ ein „Kreuzberg Nord“ gemacht hat, gefällt ihm gar nicht.

„Protofaschistische“ Vorgaben

Und die GartenarchitektInnen? „Egomanen“, findet Maier, „Leute, die Linien ziehen, auf denen wir zu gehen und in denen wir zu denken haben“. Und gingen dann diese „protofaschistischen“ Vorgaben nicht auf, sei es doch offensichtlich, ihnen einen Stein in den Weg zu legen, „wenn man gerade mal so ein schönes Stück hat“.

Und nun? Ist das Stück wieder weg. Es wurde am Morgen des 20. September entfernt, vermutlich im Auftrag des Bezirksamts. Überraschend kam das nicht: „Das Einbringen einer zusätzlichen Stufe zur Erleichterung des Querens stellt einen unerlaubten Eingriff in das Straßenland dar“, hatte das Bezirksamt kurz zuvor auf taz-Nachfrage mitgeteilt. Es stehe zudem „der Entwurfsidee direkt entgegen“, und „die Entwurfsverfasser wären in diesem Fall anzuhören“.

Auch wenn sich weiterhin niemand an den vorgegebenen Weg hält – Helmut Maier ist „geschockt“, wie er der taz sagt. Am Vorabend habe er noch einmal nachgesehen, ob die hinzugefügte Stufe ausreichend beleuchtet sei. War sie, berichtet er. Wie es jetzt weitergeht, ist offen. Maier jedenfalls will nicht klein beigeben: „Wenn's um das Bezirksamt geht, bin ich immer kampfbereit.“ Vielleicht hat er ja noch ein paar Granitstücke auf Lager.

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2 Kommentare

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  • Es gibt umfangreiche Forschung zum Verhalten von Fußgängerströmen und auch einige Simulatoren dafür. Damit könnte man vorhersagen, wo Trampelpfade entstehen werden und die Planung entsprechend anpassen.

    Warum wird das von StadtplanerInnen so häufig ignoriert?

  • Vielen Dank Herr Maier, für ihren konstruktiven Einsatz zur funktionalen Verbesserung der kulturellen öffentlichen Bauten und Beseitigung von Planungsfehlern aus dem Wettbewerbsentwurf. Nun liegt es an den Planern weise und mit Direktive an die Verwaltung heran zu gehen, um das etwas misslungene Landschaftskunstwerke im Nachgang durch ihr Zutun und mit Genehmigung der Künstler einem happy Ende zuzuführen.