Upcycling in der Mode: Des Kaisers alte Kleider
Berlin wird zur Hauptstadt für Upcyclingmode. Hier kommen die Macher:innen zuverlässig an Nachschub ihres Rohstoffs: Kleidermüll.
Bei jedem Gang vor die Tür laufe ich an verwaisten Kühlschränken, dreibeinigen Stühlen, verlebten Matratzen oder vom Regen nassen Klamottenhaufen vorbei. Berlin ist eine einzige Müllhalde. Doch eine Handarbeiterin geht mit anderem Blick durch die Straßen: So manches trostlose Stück habe ich schon mitgenommen und ihm ein zweites oder drittes Leben eingehaucht. Und ich bin nicht die einzige Upcyclerin in der Stadt. Auch Katja Schwabe, die als „Wilde Käthe“ häkelt, oder die Turbantrullas aus Neukölln sehen nicht den Müll, sondern das Material, das genutzt werden will.
Angefangen hat es bei den Turbantrullas damit, dass Elisa Louis’ kleiner Tochter keine Mütze so recht passen wollte. Freundin Maria Neidhold nähte einen kleinen Turban mit „Trulla“, wie die beiden den Stoffknäuel auf der Stirn nennen. Im Kiez gab’s dafür viele Komplimente und ruckzuck wurden weitere Kinder versorgt. „Wir haben aus Versehen einen Trend geschaffen“, sagt Elisa Louis und lacht. Dank Instagram verbreitete sich die Kunde der Turbantrullas im ganzen Land – auch für Erwachsene.
Louis und Neidhold haben rund 60 Bestellungen im Monat, auch Stirnbänder mit und ohne Brosche, Tuchbänder und Stoffhaargummis mit Reißverschluss und Stauraum für Schlüssel oder Kleingeld bieten sie an. Vom Nähgarn bis zur Versandtasche besteht alles aus wiederverwendetem Material.
Die Turbantrullas wollen nicht „downcyceln“ – also keine Pullover, T-Shirts oder Tücher zerschneiden, die auch in ihrer Ursprungsform noch genutzt werden könnten. Sie nehmen nur solche Klamotten und Stoffe für die Turbane, die kaputt sind oder solche Muster haben, dass sie niemand mehr anziehen würde. Um Löcher und Flecken schneiden Louis und Neidhold also herum. Das bringt Abwechslung bei der Herstellung. „Man muss sich immer wieder neu mit dem Material beschäftigen und sieht sich nicht so schnell satt“, sagt Louis.
Nachschub im Textilhafen
Aber lohnt sich der Aufwand für das, was die beiden erwirtschaften? „Im Verhältnis ist das nix, wenn man’s auf die Stunde runterrechnet“, sagt Neidhold. Das Label betreiben sie nebenberuflich. Sie sehen zwar Riesenpotenzial, aber: In die Massenproduktion einsteigen? Und dann auf die Einnahmen angewiesen sein? Elisa Louis hat vor allem Spaß daran, alles selbst zu machen. Damit wäre dann Schluss.
Elisa Louis, Turbantrulla
Die Idee hinter dem Label ist den beiden wichtig: aus ehemaliger Fast Fashion Slow Fashion machen und so dem Textilmüllberg ein minimales bisschen entgegenwirken. Denn „der nachhaltigste Stoff ist der, der schon existiert, egal ob er ursprünglich nicht nachhaltig produziert wurde“, sagt Elisa Louis.
Deshalb kommen Nähgarn und Stoffe von E-Bay-Kleinanzeigen oder von Kund:innen, die ungenutztes übrig haben. Den Großteil ihres Materials kaufen die Trullas aber im Textilhafen der Berliner Stadtmission.
Hier landen jede Woche zwölfeinhalb Tonnen aussortierte Klamotten. Das sind rund 1.250 dieser großen blauen Säcke, vollgestopft mit Hosen und T-Shirts, Kleidern und Pullovern. Die Stoffberge werden sortiert und alles, was obdachlose Menschen gebrauchen können, wird an sie weitergegeben – egal, wie teuer man es noch verkaufen könnte. Auch die Sozialkaufhäuser und andere soziale Projekte in der Stadt werden versorgt.
So werden rund 20 Prozent der gespendeten Klamotten als solche weiterverwendet. Den Rest – 10 Tonnen Kleidermüll pro Woche – muss die Stadtmission wegschmeißen, aus ganz unterschiedlichen Gründen. Viele Textilien sind kaputt oder schmutzig. Drei Viertel der gespendeten Klamotten sind Damengrößen, gebraucht werden aber zu 90 Prozent Männergrößen – vor allem Turnschuhe, Unterhosen oder gut erhaltene Hoodies. Ein weiteres Problem: Die Leute spenden nicht saisonal. Wenn Winterjacken im Sommer ankommen, kann die Stadtmission sie nicht lagern. Also muss das alles weg.
Aber Müll zu entsorgen kostet Geld. Und das Material an sich ist gut und qualitativ hochwertig, erklärt Beatrix Landsbek, die den Materialpool leitet. Deshalb helfen kleine Labels, Designer:innen, Filmausstatter:innen, Künstler:innen und Bürgerinitiativen, das Problem in den Griff zu kriegen. Sie können in den Textilhafen kommen und in den Kleiderbergen wühlen, verkauft wird zu günstigen Kilopreisen.
Landsbek sieht in upgecycelter Mode keinen wirklich neuen Trend. Was es aber früher nicht gab: stabile und zuverlässige Quellen für das Material. Mit dem Textilhafen, der lange einzigartig war in Deutschland – inzwischen gibt es ein ähnliches Angebot in Hamburg –, wird die Materialbeschaffung effektiver. Designer:innen können von den upgecycelten Produkten leben. So wie Katja Schwabe. Sie häkelt Körbe, Sitzkissen, Tops und was ihr sonst in den Sinn kommt, Hauptsache, quietschbunt!
Katja Schwabe kann von der Handarbeit leben
Ihr Studio in einem Hinterhof in Berlin-Wedding ist klein. Als ich sie besuche, wundere ich mich, wo die ganze Wolle ist. Hinter ihrem Arbeitstisch zeigt Katja Schwabe auf ein Regal – gut sortiert in Kisten und Boxen ist das bunte Garn. Anderthalb Kubikmeter nimmt der Vorrat ein, rechnet sie aus.
Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.
Als sie anfing mit der Wilden Käthe und ihr Hobby zum Beruf machte, brauchte Schwabe erst einmal die Wolle auf, die sie selbst über Jahre angesammelt hatte. Als nix mehr da war, fühlte sie sich unwohl damit, neu produzierte Wolle zu kaufen. „Es gibt eh schon so viel Kram, so viel Material“, sagt Katja Schwabe. Also arbeitet sie mit geretteter, recycelter oder adoptierter Wolle, wie sie es nennt. Oder sie ribbelt alte Textilien auf, wenn die Zeit es erlaubt. Sie findet ihre Fäden auf E-Bay-Kleinanzeigen, bei Haushaltsauflösungen, in den Restbeständen von Wollläden. Oder eben im Textilhafen: pinkfarbige Schals, die niemand mehr anzieht, neongelbe Mützen, die sie aufribbelt. Was daraus werden soll, weiß Schwabe erst später. „Ich lasse mich durch das Material leiten.“ Beim Upcycling kommen Unikate heraus. Die Labels macht das besonders: Jedes Stück gibt es nur einmal zu kaufen.
Wilde Käthe ist für Katja Schwabe ein Vollzeitjob. Vor zwei Jahren hat sie sich selbstständig gemacht. In einem Existenzgründer:innenkurs rechnete sie sich den Stundensatz aus, den sie braucht, um von ihrer Arbeit leben zu können, statt sich selbst auszubeuten. Seither kosten die Sommertops, in die sie rund vier Stunden Arbeit investiert, 60 bis 70 Euro – das ist doppelt so teuer wie davor. Gekauft werden die Teile trotzdem.
„Ich glaube, dass vor allem Menschen, die selbst handarbeiten, die Arbeit wertschätzen, die in meinen Dingen steckt“, sagt Schwabe. Sie ist überzeugt: „Menschen wollen vorankommen, gestalten, entwickeln.“ Konsum gehört dazu. „Es gelingt den wenigsten, ohne Neues auszukommen – und wenn es auf der Straße gefunden oder ertauscht ist.“ Durch ihre Handarbeit will sie etwas Neues in die Welt bringen, was Freude bringt und sie bunter macht – nur ohne dafür neue Materialien zu verbrauchen.
Als ich nach den Gesprächen mit den Upcyclerinnen nach Hause komme, will ich mich auch gleich auf mein Handarbeitsregal stürzen und neue Dinge erschaffen. So viele Ideen habe ich für die Stoffe und Fäden, die darin liegen und mir schon längst gesagt haben, was sie werden wollen. Inzwischen habe ich eine neue Sommerhose mit passender Bluse genäht. Happy Upcycling!
* * *
Anleitung für einen bunten Restepullover à la Wilde Käthe (von Katja Schwabe)
1. Vorbereitung: Es wird etwa 400 bis 500 g Garn in der Nadelstärke 5 bis 7 benötigt sowie Stricknadeln Stärke 7 und eine Häkelnadel Stärke 5. Der Verbrauch hängt von der jeweiligen Garndicke ab. Da der Pullover so bunt wie möglich werden darf, kann Material in möglichst unterschiedlichen Texturen und Farben gesammelt werden, zum Beispiel über Ebay-Kleinanzeigen, Flohmärkte, Pullover oder alte Strickprojekte, die aufgetrennt werden können. Alle gesammelten Reste und Fäden mit dem „Magischen Knoten“ verbinden und zu bunten Knäulen wickeln.
2. Vorder- und Rückenteil: Der Pullover passt allen Größen von S – L. Dafür 80 Maschen (M) aufnehmen und kraus rechts (Hin- und Rückreihen nur Rechte M) stricken. Nach 40 cm wird der Halsausschnitt eingefügt: nur die ersten 30 M der Reihe stricken, die nächsten 20 M abketten, wieder 30 M stricken. In der nächsten Reihe 30 M stricken, 20 M aufnehmen, 30 M stricken. Nun über alle 80 M stricken bis wieder 40 cm erreicht sind. Alle Maschen abketten.
3. Ärmel: über die Schulter verteilt 54 M aus dem linken Rand aufnehmen, kraus rechts stricken und nach 25 cm alle M abketten. Dies am rechten Rand für den zweiten Ärmel wiederholen.
4. Nähte schließen: Die Nähte von innen mit gehäkelten festen M schließen (locker häkeln!) oder mit einer Wollnadel zusammennähen.
5. Abschluss: Mit einem Kontrastgarn (beispielsweise Pink oder Glitzer) feste M um den Halsausschnitt häkeln. Alle Fäden vernähen. Fertig ist das nachhaltige Unikat!
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