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Unterwegs mit VorsätzenSich ein bisschen treu bleiben

Sophia Zessnik
Kolumne
von Sophia Zessnik

Im Studio der Schaubühne werden Genderhierarchien aufgelöst. Auf ein „indigenes Partygetränk“ mit Patrick Wengenroth und seinem Ensemble.

Bernardo Arias Porras und Patrick Wengenroth über Männlichkeitsbilder in „He? She? Me! Free.“ Foto: Gianmarco Bresadola

M it guten Vorsätzen ist es ja so eine Sache, meistens werden sie schneller gebrochen, als man sie ausformuliert hat. Manchen mag es beim gemeinsamen Essen mit Freund*innen einfach zu lästig sein, als Einzige*r keinen Wein trinken zu können, für andere ist der wöchentliche Besuch im Fitnessstudio ein zu großer Einschnitt in ihrer Work-Life-Balance.

Persönlich halte ich nicht viel von derlei Vorsätzen, da ich sie ohnehin nie verinnerliche und bei der ersten Gelegenheit schlichtweg vergesse. So ist meine Intention, mich im Januar vegan zu ernähren, bereits am ersten des Monats vom Neujahrskater und einer Tiefkühlpizza – dem einzigen in meiner Wohnung befindlichen Nahrungsmittel – zunichtegemacht worden.

Einen anderen Vorsatz habe ich deshalb gar nicht erst offi­ziell benannt, aus Angst, ihn rein aus Prinzip gleich wieder zu boykottieren: mehr unternehmen. Nicht unmittelbar ein Klassiker, wie – Rauchen, Trinken, Selbstzweifel aufgeben –, aber doch auch nicht besonders originell. Für mich dennoch eine Herausforderung.

Deswegen ist es beinah überraschend, dass die zweite Januarwoche bereits zu Ende geht, mein Kalender noch voller Termine ist und ich bisher keinen davon abgesagt habe. Nur ganz leise beschleicht mich das altbekannte Gefühl, mir vielleicht doch etwas viel vorgenommen zu haben. Obwohl psychisch noch hochmotiviert, bemerke ich erste körperliche Anzeichen, die mich versuchen in meiner Unternehmungslust zu bremsen.

Ich bin ein Schnupfen und komme zu Besuch

Pünktlich zum Wochenende begrüße ich also einen Schnupfen als ständigen Begleiter. Ihm und mir schließt sich P. an, die ich am Freitagabend von der Arbeit abhole. Wir schlendern durchs Hansaviertel. P. macht mich auf eine Reihe unscheinbarer Gebäude aufmerksam, die in der spärlichen Straßenbeleuchtung aussehen wie Garagen.

Tatsächlich handelt es sich bei den Flachdachbauten in der Händelallee aber um begehrte Einfamilienhäuser, die anlässlich der „Interbau 57“ entstanden und architektonische Meisterwerke der späten Moderne sind. Leider sind sie von außen nur schwer bis gar nicht einsehbar – aber P. war kürzlich zu Gast in einem der Nobelschuppen und zeigt mir beeindruckende Fotos auf ihrem Smartphone.

Am nächsten Abend bin ich mit L. verabredet. Obwohl eigentlich schon ausverkauft, haben wir noch Tickets für „He? She? Me! Free.“ im Studio der Schaubühne ergattern können. Die Bühne ist ein aus Pappe zusammengebasteltes Tonstudio – überall stehen Instrumente herum. Unsere Plätze in der zweiten Reihe sind so nah an den Schauspielenden, dass ich etwas verunsichert bin, was uns erwartet. Genderhierarchien, patriarchale Machtstrukturen und binäre Rahmen, die es aufzulösen gilt, werden angesprochen und ich denke erst, das ist mir jetzt doch etwas viel Anspruch für heute.

Von toxischer Männlichkeit und Reproduktionsverantwortung

Doch dann schaffen es Patrick Wengenroth und sein Ensemble ganz ohne Anstrengung, aber mit furchtbar viel schöner Musik, Komplexes ganz selbstverständlich zu transportieren. Dank persönlicher Anekdoten, die von toxischen Männlichkeitsbildern und weiblicher Reproduktionsverantwortung erzählen, werden die sonst eher theoretischen, gar philosophischen Monologe erträglicher.

Bevor es sich ziehen kann, ist es auch schon wieder vorbei und ich wünsche mir ein „indigenes Partygetränk“, wie Bernardo Arias Porras die Club Mate bezeichnet, die er auf der Bühne trinkt. Stattdessen gibt es Rotwein, für den L. und ich halb Charlottenburg abklappern müssen. Die Gegend um die Kantstraße scheint angesagt wie nie: Weder im Hecht noch im Zwiebelfisch finden wir Platz, vom Schwarzen Café ganz zu schweigen.

Letztendlich landen wir bei Ali Baba, wo es immer noch die beste Mini Pizza und ganz passablen Wein gibt. Drei Gläser später merke ich, dass meine sportive Verabredung am Sonntag wohl eher schwierig einzuhalten wird, und sage in weiser Voraussicht ab. Sich ein bisschen treu bleiben schadet nicht, neues Jahr hin oder her.

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Sophia Zessnik
Redakteurin für Theater
Sophia Zessnik ist seit 2019 bei der taz und arbeitet in den Bereichen Kultur und Social Media. Sie schreibt am liebsten über Alltägliches, toxische Männlichkeit und Menschen im Allgemeinen. In ihrer Kolumne „Great Depression“ beschäftigt sie sich außerdem mit dem Thema psychische Gesundheit.
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