piwik no script img

Unterwegs in TadschikistanPer Anhalter durch die Gebirgsgalaxis

Noch nie war unsere Autorin in einem Staat, wo man auf dem Land liberaler ist als in der Hauptstadt. Dann kam sie ins tadschikische Pamirgebirge.

Ziemlich progressiv im Vergleich zur Hauptstadt Duschanbe: das Pamirgebirge Foto: YAY Images/imago

D ie Straße durchs tadschikische Pamirgebirge ist in grauenhaftem Zustand. Sie nennt sich Pamir Highway, aber oft ist sie nicht mal asphaltiert. Als schmaler Streifen schlängelt sie sich an majestätischen Bergen entlang, rechts der senkrechte Abgrund, links hohe Felswände. Oft sperrt Steinschlag den halben Tag die Piste, und allwöchentlich stürzen Lkw-Fahrer in den Tod.

Back­pa­cke­r:in­nen in ihren gemieteten Jeeps lieben die wilde Romantik dieser Straße. Die Abgeschiedenheit hat indigene Traditionen bewahrt, den archaischen Lebensstil der Yak-Hirten auf windumtosten Plateaus und die völlig eigenen Sprachen in selbst einander nahen Tälern. Die Einheimischen hingegen, mit denen wir hier per Anhalter durch die Gebirgsgalaxis kriechen, hassen diese Straße, aus denselben Gründen. Weil sie tödlich ist und die Region im ewig gleichen Zustand einfriert.

Es fühlt sich hier nicht an wie Tadschikistan. Die Menschen gehören zu anderen Ethnien als unten in der Hauptstadt Dushanbe, kleiden sich anders, glauben anders – mehrheitlich sind sie ismailitische Schiiten, nicht Sunniten. Eine pamirische Unabhängigkeitsbewegung scheiterte, Reden darüber kann gefährlich sein. Im Gespräch sagen viele Menschen dennoch automatisch „die Tadschiken“, wenn sie über jene da unten sprechen.

Manchmal treibt diese eigene Welt seltsame Blüten. Noch nie war ich in einem Staat, wo man auf dem Land liberaler ist als in der Hauptstadt. Im Pamir tragen viele Frauen das Haar offen, suchen ihren Mann selbst aus, kleiden sich relativ freizügig – im Gegensatz zu den verhüllten Frauen in der Hauptstadt. „Warum ziehen die sich dort plötzlich an wie Frauen in der Türkei oder in den Golfstaaten?“, klagt eine pamirische Frau. „Das ist nicht unsere Tradition.“ Die eher säkulare Kultur aus Sowjetzeiten ist hier noch verankert. Der politische Islam kommt in die Stadt.

wochentaz

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Auch ich habe beim Trampen längst gelernt, die Trucker aus Dushanbe zu fürchten, die im ersten Moment übergriffig werden und im nächsten Bilder ihrer Kinder zeigen. Die Ehen in Dushanbe seien arrangiert, erzählt mir eine junge pamirische Frau, deren Partner uns im Auto mitnimmt. Pamirische Frauen würden deshalb keine Männer von dort nehmen. „Die da unten sind wie in Afghanistan.“

Die da unten und die da oben, wer weiß, wie lange das gut geht, wenn der alte Diktator mal tot ist. Andererseits ist Macht hier weit weg. Die positivste PR betreibt Nachbar China – weil er derzeit die verdammte Straße asphaltiert. Und wenn China den Pamir annektiert? Ein Lieferfahrer, dem ich diese Frage stelle, weist auf das stille, menschenleere Flusstal. „Welchen Unterschied macht das?“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Alina Schwermer
freie Autorin
Jahrgang 1991, studierte Journalismus und Geschichte in Dortmund, Bochum und Sankt Petersburg. Schreibt für die taz seit 2015 vor allem über politische und gesellschaftliche Sportthemen und übers Reisen. Autorin mehrerer Bücher, zuletzt "Futopia - Ideen für eine bessere Fußballwelt" (2022), das auf der Shortlist zum Fußballbuch des Jahres stand.
Mehr zum Thema

0 Kommentare