Unterwegs in Denver: Hoch im Westen
Cowboymode und Goldgräberreichtum, zeitgenössische indigene Kunst und ein knallbuntes Restaurant aus „South Park“ – in Denver kann man viel entdecken.
Die Berge sind das Aushängeschild einer Großstadt, die vielen heute vor allem als Sprungbrett für den Outdoortourismus dient. Gegründet wurde sie erst 1858, kurz nach ersten Goldfunden in der Region. „Rom der Rockies“ und „Athen des Westens“ nannte man sich.
Die ionischen Säulen an den Gebäuden, die geborgte Historie aus Europa lud das Versprechen auf ein besseres Leben mit neuer Bedeutung auf. Europäer, darunter viele jüdische Einwanderer aus Osteuropa, christliche und jüdische Deutsche, bald auch freie Schwarze haben die Stadt geprägt.
Dass die Neuankömmlinge keineswegs die ersten Menschen vor Ort waren, lässt sich bis heute im Renaissance Hotel nachvollziehen; an den Innenwänden der heutigen Lobby verewigte ein Maler seinerzeit die indigenen Bewohnerinnen und Bewohner des Hochplateaus und der umliegenden Berge. Einst war das Hotel die erste Bank Colorados, noch immer finden sich hier die Türen des Tresors, in dem die Reichtümer durch die abgebauten Bodenschätze lagerten.
Der Sog des Wilden Westens
Der Goldrausch manifestierte sich in Denvers Architekturen – den ehemaligen Bordellhäuschen am Larimer Square, dem Brown Palace Hotel, der Union Station, die rausgeputzt ist wie ein Museumsgebäude. Anschauung für den Sog des Wilden Westens ist bis heute der Mode- und Ausstattungsladen „Rockmount Ranch Wear“, wo Gründer Jack Weil, geboren 1901, bis im Alter von 103 Jahren noch selbst hinter der Theke stand.
Weil prägte den Ausspruch, dass der Westen kein Ort, sondern ein Bewusstseinszustand sei. Auf ihn gehen außerdem die Druckknöpfe und die Brusttaschen in der markanten „Saw Tooth“-Form am Westernhemd zurück. Kein Touristennepp, sondern ernst zu nehmende Arbeitskleidung; zur Rodeo-Saison sieht man RangerInnen damit durch die Straßen ziehen.
Doch so schillernd die Geschichte, so schmal fällt – im Vergleich zu manch anderem Ort in den USA – die Einschreibung in die Popgeschichte aus. Vielleicht ist Colorados Hauptstadt für viele auch deshalb ein weißer Fleck, weil die Stadt kaum in TV und Kino vorkommt. Da ist die 80er-Jahre-Ölproduzenten-Soap „Denver Clan“ und da ist die Cartoonserie „South Park“, angesiedelt in einem unspektakulären Vorort Denvers.
Aber, wie es bei von sich selbst unbeeindruckten Gegenden so ist, sie können ungeahnte Anziehung entwickeln. Etwa das in der Serie vorgestellte „Casa Bonita“, ein real existierendes Themenrestaurant für mexikanische Küche, untergebracht in einem bonbonpinken Gebäude mit Live-Mariachi-Bands und einem neun Meter hohen Wasserfall mit echten Klippenspringern.
Lange galt das Lokal eher als ein halbguter Witz, bis es die „South Park“-Erfinder selbst übernahmen – plötzlich wollten alle nach Denver und Tex-Mex im rosa Zuckerbäckerhaus essen. Doch die sagenumwobene Warteliste ist lang; kein Tisch im Casa Bonita.
Fantastische Festung der Postmoderne
Ansonsten fährt die Stadt in diesen Tagen alles auf, was sie zu bieten hat. Der Himmel strahlt so blau und klar, dass die Wolken in dramatisch eckigen Formationen daran abprallen wie die kurzen Unwetter. Die Höhensonne multipliziert sich auf der Echtgoldkuppel am State Capitol, an dem die Stars and Stripes neben der hübschen Flagge Colorados wehen.
Auf der anderen Seite des Civic Center Parks befindet sich eine fantastische Festung der Postmoderne: Das Denver Art Museum, 1971 nach Plänen von Gio Ponti errichtet, dessen Fenster und Minibalkone Skyline und Berge rahmen. 2006 kam ein Daniel-Libeskind-Bau mit schön schiefen Ausstellungswänden hinzu.
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Eine Etage ist der präkolumbischen Kunst des Kontinents gewidmet, ergänzt durch zeitgenössische indigene Positionen. Und dann steht man in der Schau, die das Bild des amerikanischen Westens durchdekliniert, mit all seinen Widersprüchen. Die Verheißungen der neuen Welt, die reale Verzauberung durch ihre spektakuläre Landschaft. Der Westen als Ausbeuter, Eroberer, Gleichmacher, Chancenbringer.
Und es gibt Bilder, die man kaum gesehen hat: Schwarze Cowboys, die ein Fünftel aller Cowboys ausmachten – ihnen widmet sich auch das privat geführte Black American West Museum. Native Americans zu Pferd im Tennis-Shirt, bar jeder Exotisierung. Die großartige Malerei des indigenen Künstlers Fritz Scholder (1937–2005).
Problemlos könnte man einen ganzen Tag hier verbringen. Und dann befindet sich nebenan auch noch das Clyfford Still Museum, mit Werken des in Deutschland kaum bekannten, vielleicht aufregendsten Pionier des Abstrakten Expressionismus.
Denver ist eine sehr amerikanische Stadt, doch zugleich ziemlich Europäer-kompatibel. Die Anbindung mit dem ÖPNV ist besser als anderswo in den USA, viele Strecken kann man laufen oder mit dem Rad fahren. Hinzu kommen etliche Viertel, in denen sich eine vertraut erscheinende Americana-Essenz an die nächste reiht: die Wassertürme auf den ehemaligen Industrieblöcken rund um den Bahnhof. Downtown mit seinen Wolkenkratzern, die tagsüber unzählige Menschen verschlucken.
Ungeachtet der global öden Glas- und Stahlblöcke sind es die Hochhäuser der 1910er bis 1980er Jahre, die begeistern, weil man sie in den europäischen Metropolen so ja nicht kennt. Wer den Broadway noch weiter herunterfährt, landet irgendwann am Mayan Theatre, das 1930 die Vorliebe für eine präkolumbianische Exotik mit Art déco vereinte.
Holzhäuschen-Hügel und historische Villen
Es gibt Viertel, die sich selbst erfunden haben, wie River North. Ausgelobt von einem Graffitikünstler, verändern sich die Mauern und Gassen von RiNo praktisch täglich – mal sind Wandgemälde offiziell beauftragt, mal zumindest geduldet. Dann die historischen Villen in Capitol Hill und die Holzhäuschen-Hügel in Highland.
Hier liegt das Ash’Kara, in dem Chefkoch Reggie Dotson israelische, arabische und türkische Gerichte fusioniert. Gerade hat der Guide Michelin intensiver in Denver vorbeigeschaut. Neben mehreren Sternerestaurants gibt es Entdeckungen wie das Fruition, in dem Fine-Dining-Küche ohne viel Aufhebens, aber mit selbstbewussten Aromen auf der Karte steht: Pilze werden so zubereitet, dass sie wie BBQ-Chicken schmecken, Crème brûlées mit intensivem Lebkuchengeschmack serviert.
All dies mag neben der besonderen Lage dazu beitragen, dass Denver in den letzten Jahren so viele neue Bewohnerinnen und Bewohner verzeichnete wie wenige andere Großstädte der USA. So hört man als Besucher schon mal den – in Zeiten von Overtourism natürlich wohlklingenden – Satz: Bitte, mehr Touristinnen! Anstatt, klar, weitere neue Bewohner.
Die Ausmaße der heutigen Metropolregion entdeckt man freilich erst, wenn man Denver verlässt. In Richtung Rocky Mountains, die hier so nahe liegen, zu jeder Jahreszeit in komplett anderer Erscheinung. Der Weg führt nach Idaho Springs: Morgens eine verschlafene Westernstadt, später strömen Tagestouristen und Leute auf der Durchreise ein.
An diesem unwahrscheinlichen Ort scheint plötzlich alles zusammen zu laufen. Das Gold, der Westen, die Verheißungen einer alternativen Geschichtsschreibung: Hängt dort im Mahlwerk der historischen Argo Mill doch tatsächlich eine Stromanlage, die Nikola Tesla höchstpersönlich eingebaut haben soll. Der Erfinder, der an der kabellosen Energieübertragung forschte, lebte gleich um die Ecke in Colorado Springs.
Und dann kommt nach dem Rundgang durch das einstige Goldgräbertunnelwerk unverhofft auch noch die Popgeschichte zur Tür herein. Jemand erzählt von seinem Lehrer, der als Vorbild für einen sehr berühmten „South Park“-Charakter gedient habe. Der damit, wie so vieles in der Serie, siehe die Casa Bonita, ja gar nicht wirklich ausgedacht war. Hier irgendwo muss der Westen, die alte, neue Mythenmaschine, wohl tatsächlich zu Hause sein.
Transparenzhinweis: Die Recherche wurde in Teilen unterstützt vom Colorado Tourism Office.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!