Unterwegs in Athen: Ein heilloses Durcheinander
Die Lage wird immer unübersichtlicher: So werden auf einer Pro-EU-Demo in Athen Linksautonome von Syriza-Anhängern als „Faschisten“ beschimpft.
Das habe sie eigentlich auch nicht anders erwartet. „Die Wahlversprechen die Tsipras von sich gegeben hat – die waren ja unrealistisch“, sagt Makri. Dennoch habe sie bei den Wahlen im Januar für die linke Syriza gestimmt und lacht. „Hier in Griechenland ist das mittlerweile alles sehr verquer“, erklärt sie. „Für eine linke Partei stimmen nicht nur Linke, sondern auch Verzweifelte.“ Ihr Gehalt sei ebenfalls gekürzt worden. Ihr Mann habe seinen Job verloren, weil die Firma pleite ging.
„Mit der Syriza hoffte ich auf eine Änderung“, betont sie. Sie habe große Sorge, dass die Syriza dem Druck der Gläubiger nun nicht standhalten kann. „Aber sicher ist bisher noch nichts“, scheint sich die Frau sich selbst zu beruhigen. Die Verhandlungen der griechischen Regierung mit den Gläubigern liefen ja noch. Ja, auch sie sei auf der Pro-EU-Demonstration vor dem Parlamentsgebäude gewesen.
Tausende Menschen hatten sich dort am Montagabend versammelt, um ihr Anliegen deutlich zumachen: „Wir wollen in der EU bleiben“, sagt Makri und spricht damit aktuellen Umfragen zufolge für knapp 70 Prozent der GriechInnen. „Aber unter menschlichen Umständen“, fügt sie leise hinzu.
Die Zeit drängt
Die Anspannung in der Bevölkerung wächst, denn die Zeit drängt. Ende Juni läuft das aktuelle Hilfsprogramm für Griechenland aus. Zusätzlich muss eine Zahlung in Höhe von 1,6 Milliarden Euro an den Internationalen Währungsfonds (IWF) getätigt werden. Sollte es nicht bald zur Übereinstimmung zu einem neuen Sparprogramm kommen, um so die dringend benötigte Auszahlung in Höhe von 7,2 Milliarden Euro zu erhalten, droht dem Land die Staatspleite.
Arm in Arm mit ihrem Mann läuft Eva Tsimikali die große Hauptstraße neben dem Parlamentsgebäude hinauf. Das Paar Ende 50 war ebenfalls auf der Pro-EU-Demonstration gewesen. Tsimikali war früher Mitglied der Synaspismos, einer der größten Partei des Parteien-Bündnisses Syriza, erzählt sie. „Als sich die Syriza bildete, bin ich allerdings ausgetreten.“
Sie habe damals schon das Durcheinander kommen sehen, das ein so großes Bündnis aus über zehn unterschiedlichen linken Strömungen hervorrufen wird. „Die Syriza sind für mich keine Linken. Sie werden genau das gleich machen, wie andere Regierungen vorher – ihre eigenen Leute in gute Positionen holen“, prognostiziert sie. Sie und ihr Mann bezeichnen sich selbst als Sozialisten und hoffen endlich auf einen demokratisch funktionierenden Sozialstaat.
EU oder Drachme
Etwas abseits der Hauptstraße sitzt Student Giorgios auf den Stufen vor dem Parlamentsgebäude und nippt an seinem Milchkaffee im Pappbecher. Er habe das Geschehen am Montag aus der Ferne beobachtet, denn er wisse nicht mehr ob er für die EU oder die Drachme sein soll. Es sei ein heilloses Durcheinander hier. Gegen Ende der Demonstration seien plötzlich Linksautonome aufgetaucht und hätten für ein paar Minuten die Demo aufgemischt, berichtet er. Sogar die Polizei sei kurz dazwischen gegangen.
Dann der Clou, lacht er: „Die Linksautonomen wurden von Syriza-Anhängern als Faschisten beschimpft!“ Die Auseinandersetzungen endeten glimpflich. Der junge Mann wirkt nachdenklich. Dann sagt er leise: „Egal, was Tsipras auch versprochen hat und egal, was er davon vielleicht nicht einhalten kann – ich bin froh, dass er das griechische Volk dazu gebracht hat, die Syriza zu wählen.“ In einer solch unruhigen Zeit wären sonst mit größter Wahrscheinlichkeit die wirklichen Faschisten der Partei Xrisi Avgi (Goldene Morgenröte) gewählt worden.
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