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Untersuchungsausschuss zu rechten Morden„Es darf nicht bei Worten bleiben“

Gastkommentar von Serpil Unvar

Serpil Unvar hat vor dem Hanau-Untersuchungsausschuss gesprochen. Wir veröffentlichen ihre Rede.

Serpil Unvar in den Räumlichkeiten der Begegnungsstätte #SayTheirNames Foto: Felix Schmitt

F ast zwei Jahre ist der rechte Anschlag in Hanau her: Am 19. Februar 2020 wurden neun Menschen aus rassistischen Motiven getötet. Sie hießen: Ferhat Unvar, Gökhan Gültekin, Hamza Kurtović, Said Nesar Hashemi, Mercedes Kierpacz, Sedat Gürbüz, Kaloyan Velkov, Vili Viorel Păun und Fatih Saraçoğlu. Anschließend tötete der Täter seine Mutter und sich selbst.

Seit dem Sommer 2021 beschäftigt sich ein Untersuchungsausschuss des hessischen Landtags mit der sicherheitspolitischen Dimension des Falls. Sein Ziel ist es, herauszufinden, ob die Landesregierung und die Sicherheitsbehörden Fehler gemacht haben. Am Freitag, den 21. Januar, findet die 9. Sitzung des Untersuchungsausschusses statt, bei der auch drei Zeu­g*in­nen aus dem Kreis der Angehörigen der Hanauer Mordopfer zu Wort kommen. Die Rede von Serpil Unvar, der Mutter von Ferhat Unvar, veröffentlichen wir hier.

Die Rede von Serpil Unvar

Dieser Untersuchungsausschuss ist für uns Familien sehr wichtig. Wir haben dafür gekämpft. Viele Fragen zu dem Geschehen stellen sich alle Angehörigen, Verletzten und Überlebenden der Tatnacht und wir stellen sie auch hier im Untersuchungsausschuss: Hätten die Morde verhindert werden können? Welche rassistischen und rechten Strömungen ermöglichen eine solche Tat? Wird wirklich etwas getan werden, um solche Angriffe in der Zukunft zu verhindern? Wird es eine vollständige Aufklärung geben?

Serpil Unvar

46 Jahre. Die Kurdin und frühere Journalistin lebt seit 25 Jahren in Deutschland, ihre vier Kinder sind in Hanau geboren. Ferhat war ihr ältester Sohn.

Wir wollen Aufklärung und Antworten auf unsere vielen Fragen. Das ist jetzt Ihre Aufgabe. Sorgen Sie dafür, dass es mit den Ausreden und Ausflüchten der Behörden ein Ende hat!

Es wurden bei den Ermittlungen Fehler gemacht. Diese sollten aufgeklärt und eingestanden werden. Denn Aufklärung ist die Bedingung für Konsequenzen und Veränderung in der Zukunft.

In meinem ersten Brief an Frau Merkel habe ich geschrieben, dass diese Tat aufgeklärt werden muss, damit mein Sohn nicht ein zweites Mal getötet wird. Ich habe diesen Brief in der Hoffnung geschrieben, dass es eine lückenlose Aufklärung geben wird. Diese Hoffnung in die Politik habe ich inzwischen nicht mehr. Aber unabhängig davon, was am Ende bei diesem Untersuchungsausschuss herauskommt: Meine Hoffnung und meine Kraft ist die Gesellschaft.

Bis heute ist immer wieder von einem „Einzeltäter“ die Rede, und keiner hat sich der Verantwortung gestellt. Es gibt Lücken in euren Gesetzen. Und damit macht ihr viel Platz für diese vielen rassistischen Einzeltäter. Rassistische Morde haben niemals aufgehört. Das heißt, dass es ein Defizit in diesem System gibt, das endlich gelöst werden muss.

Aber diesmal kann niemand einfach “Einzeltäter“ sagen, die Akten schließen und dann war’s das. Denn eines haben wir gelernt in diesen vergangenen 23 Monaten: Wenn genug Druck von der Gesellschaft kommt, dann geht das nicht so einfach. Wir haben auch gelernt, dass es viele Menschen gibt, hier in Deutschland, die nicht wollen, dass sich die rassistische Gewalt immer wieder wiederholt. Große Teile der Gesellschaft wollen, dass das endlich aufhört. Wenn die Gesellschaft sich verändert und etwas in Bewegung gerät, dann entsteht etwas Neues.

Es ist nicht wie früher: Wir halten zusammen und wollen etwas verändern. Für die Zukunft. Wir haben in Hanau gezeigt, dass wir alle gemeinsam etwas schaffen können. Die ersten Schritte sind gemacht. Und wir kämpfen in Hanau auch für viele andere Opfer rassistischer Anschläge. Über all diese sinnlosen Tode soll etwas Neues geboren werden, etwas anderes. Und das machen wir.

Ihr Politiker redet ganz schön jetzt, aber es darf nicht bei Worten bleiben. Wir vergessen nicht, was ihr gesagt habt. Wir werden euch an alle Versprechen erinnern. Manche sagen, dass auch mal Schluss sein muss – und dass es nach 2 Jahren mit dem Thema Hanau reicht. So lange die Tatnacht nicht aufgeklärt ist, so lange nicht eingestanden wird, dass nach den Morden von der Polizei und der Staatsanwaltschaft Fehler begangen wurden, kann die Akte Hanau nicht geschlossen werden.

Ich habe die Verantwortung übernommen, so lange weiterzumachen, bis ich nicht mehr kann. Ich habe als Mutter die Leiche von meinem Sohn umarmt und geküsst. Das, was ich tue, das ist nicht für mich. Ferhat und all unsere Kinder sollen nicht umsonst gestorben sein. Die Zukunft liegt in unseren Händen.

Ich frage Sie: Was wollen Sie wirklich tun, damit sich etwas verändert? Was tun Sie ganz konkret, damit das rassistische Morden ein Ende hat? Wir haben viele schöne Reden gehört in all diesen Monaten. Aber wir wollen auch Konsequenzen sehen. Wollen Sie etwas verändern in dieser Gesellschaft? Dann kommen Sie mit.

Wenn wir das geschafft haben für die Zukunft, dann bleiben ihre Namen und die Erinnerung für immer lebendig. Mein Sohn hat bei Facebook geschrieben: “Tot sind wir erst, wenn man uns vergisst.“

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1 Kommentar

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  • Bei aller verständlicher Trauer und Wut: An einigen Stellen wäre mehr Klarheit wichtig. "Es gibt Lücken in euren Gesetzen. Und damit macht ihr viel Platz für diese vielen rassistischen Einzeltäter.." - Was für Lücken? Welche Gesetze? "Eure" Gesetze?



    "Aber diesmal kann niemand einfach Einzeltäter sagen..."-War er nun ein Einzeltäter oder Teil eines rechten Netzwerkes? Denn natürlich gibt es Einzeltäter, die sich im Netz radikalisieren. Da spielt dann ein virtuelles Netzwerk eine Rolle.



    "Das heisst, dass es ein Defizit in diesem System gibt, dass endlich gelöst werden muss."- Die besten Gesetze können keine Verbrechen verhindern. Mord und Massenmord sind nicht erlaubt in Deutschland. Die Mutter sieht das Defizit offensichtlich im Rechtssystem in Deutschland, ich sehe es in Menschen, die dieses Rechtssystem ablehnen. Sicherlich kann man Sachen nachbessern. Aber es bleibt zu befürchten, dass neue Taten geschehen könnten.