Untersuchungsausschuss zu Afghanistan: Das Desaster aufarbeiten

Grüne, FDP und Linke wollen den Bundeswehreinsatz aufklären. Ein U-Ausschuss nach der Wahl ist fast sicher, der genaue Auftrag ist strittig.

Annegret Kramp-Karrenbauer spricht mit Soldaten

Die Evakuierungsmission ist vorbei; die Verteidigungsministerin in Taschkent, 27.08.2021 Foto: Marc Tessensohn/Bundeswehr/dpa

BERLIN taz | Einen letzten Versuch starten die Grünen – noch vor der Wahl am 26. September wollen sie den Bundestag über ein Löschmoratorium abstimmen lassen. Das Plenum soll die Regierung auffordern, alle Akten und Daten zum Thema Afghanistan zu sichern. Gemeint sind vor allem Unterlagen aus den letzten Monaten, in denen es um den Abzug der Bundeswehr und die Rettung afghanischer Ortskräfte geht. Die Ministerien sollen alle Mit­ar­bei­te­r*in­nen in ihren Zuständigkeitsbereichen anweisen, bloß nichts zu löschen. Das Moratorium soll dabei helfen, das Afghanistan-Desaster in der Zukunft aufzuarbeiten.

Ob etwas daraus wird? Am Mittwoch hatten die Grünen einen entsprechenden Antrag schon im Auswärtigen Ausschuss zur Abstimmung gestellt, dort waren sie gescheitert. Mit den Stimmen von SPD, Union und AfD wurde das Moratorium abgelehnt. Von einem „Schaufensterantrag“ sprach der CDU-Außenpolitiker Jürgen Hardt: Die „gesetzliche Grundlage in Deutschland, wie offizielle Stellen mit Akten umzugehen haben“, reiche völlig aus. Ein Sprecher des Auswärtigen Amts sagte am Freitag, in seinem Ministerium würden „keine Akten geschreddert und keine Mails vernichtet“.

Den Grünen reichen solche Beteuerungen nicht aus. Der außenpolitische Sprecher Omid Nouripour sagte der taz, beim Thema Löschen könne man einer Regierung nicht vertrauen, die „die ganze Zeit nur damit beschäftigt war, die Zahl der Ortskräfte herunterzufrisieren, der bei der Warburg-Bank Unterlagen fehlen und der bei der Berateraffäre plötzlich Daten nicht mehr zur Verfügung standen“. Die Gesetzesgrundlage reiche nicht aus, zusätzlich müsse der „politische Wille bekundet“ werden.

Vollkommen grundlos ist sein Misstrauen nicht. Zuletzt konnte das Verteidigungsministerium dem U-Ausschuss zur Berateraffäre keine SMS der Ex-Ministerin Ursula von der Leyen vorlegen, weil deren Mobiltelefone auf den Werkzustand zurückgesetzt wurden.

Auftrag umstritten

Dass es auch zu Afghanistan einen Untersuchungsausschuss geben wird, ist nach dieser Woche sehr wahrscheinlich. In dieser Legislaturperiode wird daraus zwar nichts mehr, da die Arbeit solcher Ausschüsse Monate dauert. Grüne, FDP und Linke haben allerdings bereits angekündigt, im nächsten Bundestag einen U-Ausschuss einsetzen zu wollen. Für die Einsetzung reicht es aus, wenn ein Viertel aller Abgeordneten zustimmt – kein Problem also, sollte nicht noch eine Fraktion aus Rücksicht auf künftige Koalitionspartner einen Rückzieher machen.

Einigen müssen sich die Fraktionen allerdings noch auf den genauen Untersuchungsauftrag. Am umfassendsten will ihn die Linksfraktion definieren. „Die Linke ist dafür, sowohl das Totalversagen der Bundesregierung in den vergangenen Monaten, insbesondere von Außenminister Maas und Verteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer, zu untersuchen, als auch den ganzen Einsatz“, sagte der Parlamentarische Geschäftsführer Jan Korte der taz. Ihm zufolge soll die Untersuchung schon bei der Frage ansetzen, warum Rot-Grün die Kriegsbeteiligung 2001 beschlossen hat und warum die Mandate seitdem Jahr für Jahr verlängert wurden.

Die FDP will den Auftrag dagegen enger fassen. Fraktionsvize Alexander Lambsdorff sagte, der Ausschuss solle nur klären, „wie es dazu kommen konnte, dass der Abzug aus Afghanistan so unvorbereitet und chaotisch ablief“. Weitere Fragen soll dann ein anderes Gremium beantworten: „Darüber hinaus fordern wir in der nächsten Legislaturperiode eine Enquetekommission, die den Afghanistan-Einsatz insgesamt bewertet. Dass die Bundesregierung einer solchen Bewertung, wie es sie in USA längst gibt, bisher nicht zugestimmt hat, ist ein Fehler. Deutschland muss aus den Erfolgen und Misserfolgen der Afghanistan-Mission lernen – auch um unsere Soldatinnen und Soldaten in laufenden und zukünftigen Einsätzen bestmöglich zu schützen.“

Eine solche Enquetekommission bestünde aus Abgeordneten und externen Sachverständigen. Auch den Grünen schwebt vor, dass sich der U-Ausschuss auf die letzten Monate konzentriert und die allgemeine Evaluation in einem Extra-Gremium stattfindet. Sie denken dabei aber eher an eine reine Ex­per­t*in­nen- als an eine gemischte Enquetekommission.

Listen für die Taliban

Was so oder so zumindest als Randaspekt Thema im Untersuchungsausschuss werden könnte: Die Frage, ob die Taliban Listen erhalten haben, auf denen die Namen von Mit­ar­bei­te­r*in­nen deutscher Stellen in Afghanistan stehen. Das US-Magazin Politico berichtete am Freitag, das US-Militär habe den Taliban Listen mit Namen seiner eigenen Ortskräfte übergeben.

Ziel sei es gewesen, dass die Personen durch Taliban-Checkpoints hindurch zum Kabuler Flughafen kommen. US-Abgeordnete befürchten nun, dass die Personen durch die Aktionen in Gefahr geraten seien, da die Taliban die Ortskräfte als Feinde ansehen. Deutsche Stellen hätten keine solchen Listen an die Taliban übergeben, sagte ein Sprecher des Außenministeriums in Berlin am Freitag. Ob die Namen deutscher Ortskräfte über die US-Armee an die Taliban gelangt sein könnten? Dafür gebe es „keinen Anhaltspunkt“.

Noch fahrlässiger als die US-Amerikaner sind offenbar die britischen Behörden mit sensiblen Daten umgegangen. Die Times berichtet, dass in der britischen Botschaft in Kabul Listen mit Namen und Kontaktdaten lokaler Mit­ar­bei­te­r*in­nen liegengeblieben seien. Auch diese Listen könnten nun in den Händen der Taliban sein.

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