Unternehmerin über Putzen als Job: „Es war ein schrecklicher Umgang“
Das Ende von Unterbezahlung und Leiharbeit: Verena Schneider hat die Besserwischer gegründet, um Putzkräften faire Jobs zu bieten.
taz: Warum ist der Umgang mit Reinigungskräften so verklemmt, Frau Schneider?
Verena Schneider: Ich glaube, vielen Leuten ist es unangenehm, wenn andere für sie putzen. Sei es in Büros oder privat – sie wollen ihnen nicht begegnen. Ich denke, vielen ist bewusst, dass die Leute sehr wenig Geld verdienen und Drecksarbeit machen, die die anderen nicht machen wollen.
Das müsste bei Ihren AuftraggeberInnen ja anders sein, weil die MitarbeiterInnen faire Löhne bekommen.
Wir haben nur noch zwei Mitarbeiterinnen, die für private Auftraggeber arbeiten. Da ist der Umgang deutlich ein anderer, die sind mit vielen Kunden inzwischen befreundet. In den Büros mögen es meine Leute oft selbst nicht, wenn da noch viele Leute sind – einfach weil sie in Ruhe arbeiten wollen und nicht immer sagen müssen: „Können Sie hier mal den Tisch freiräumen?“
War es für Sie wichtig, dass sich AuftraggeberInnen und die Reinigungskräfte, die für sie arbeiten, einmal begegnen?
Ich biete das meinen Leuten eher an, damit ihre Arbeitszeiten nicht zu früh oder zu spät sind. Ich sagen ihnen, fangt doch schon um 17 Uhr an, das ist für die Kunden okay, aber viele wollen das nicht. Und dann möchte ich wiederum meinen Leuten nicht aufdrängen, bitte geh dich einmal vorstellen. Das wollen manche Kunden.
Spontan würde man denken: Fair bezahlte Putzkräfte, das ist unfassbar naheliegend, es müsste massenhaft solche Betriebe geben – tut es aber nicht.
Ich zahle mehr als den Tariflohn und vor allem sage ich das auch. Und was ich inzwischen noch wichtiger finde: Wir haben keine Zeitverträge, keine Leihverträge, die Leute sind fest angestellt. Gerade war eine Mitarbeiterin bei mir, die fragte: „Ich bin seit einem Jahr bei dir. Ist das jetzt zu Ende?“ Ich habe gefragt: „Wie kommst du auf die Idee? Es ist doch alles super.“ „Weil mein Mann sagt, die Verträge sind immer befristet.“ Es ist ganz oft so, dass die Leute in den großen Unternehmen über Jahre immer nur befristete Verträge bekommen, und sie sind jedes Jahr total nervös, ob sie wieder einen Vertrag bekommen – das war mir gar nicht so klar.
Was bedeutet „mehr als der Tariflohn“ konkret?
46, hat vor elf Jahren das Hamburger Reinigungsunternehmen Besserwischer gegründet, das seinen MitarbeiterInnen fairen Lohn zahlt.
Der Tariflohn liegt gerade bei 11,07 Euro und wir zahlen 11,50 Euro bei Einstieg. Eigentlich wollte ich dieses Jahr mindestens auf 12 Euro gehen, aber Corona hat uns auch gebeutelt, deswegen muss das noch ein bisschen warten.
Eigentlich kann man nicht alt werden in diesem Beruf, der Rücken will irgendwann nicht mehr, die Knie.
Viele sprechen nicht gut genug Deutsch, um eine andere Perspektive zu haben oder haben keine Ausbildung. Es stimmt, es ist nicht unbedingt etwas fürs Alter. Am Anfang hatte ich über Aushänge an der Uni eigentlich nur Studentinnen und Studenten, und ich habe immer gesagt: „Sei dir bewusst, es ist wirklich hart.“ – „Ja, ja, das kann ich, das kann ich.“ Aber ganz viele konnten es dann nicht.
Was sind das für Leute, die jetzt bei Ihnen arbeiten?
Als ich angefangen habe, habe ich eine Annonce beim Stellenwerk eingestellt: Wir sind neu, wir wollen das versuchen, es ist gerecht und grün. Da bewerben sich sicherlich andere Leute, als wenn du sagst: „Hier ist Firma Hanseclean, wir brauchen noch Leute für die Schulreinigung.“ Es ist ganz gemischt, aus allen möglichen Ländern, alle möglichen Altersstufen. Die allermeisten sind nicht Deutsche.
Gibt es MitarbeiterInnen, die putzen, weil sie die Tätigkeit mögen – und nicht, weil sie keine besseren Alternativen haben?
Einer meiner langjährigen Mitarbeiter sagt: „Ich habe da meine Ruhe, ich kann meine Musik hören, ich kann es mir relativ frei einteilen. Ich bin ein bisschen soziophob, für mich ist das super.“ Ein anderer sagt: „Ich putze wirklich gern.“ Ansonsten ist es einfach ein Job und ich weiß nicht, wie viele Leute man fragen sollte: „Ist das deine Erfüllung?“
Haben Sie selbst mal als Reinigungskraft gearbeitet?
Das war als Studentin, da haben wir in der Speicherstadt in Hamburg eine riesige Werbeagentur geputzt und man hat ein paar Scheine bar auf die Hand bekommen. Einmal hat eine Freundin von mir dort einen Ex-Kommilitonen getroffen, der inzwischen Werber war. Das war sehr lustig: Er sagte: „Oah, was machst du denn hier?“ und sie: „Oah, was machst du denn hier? Oh Gott, du bist Werber geworden.“
Man sagte lange „Putzfrau“, jetzt sagt man „Reinigungskraft“, als wäre „Putzfrau“ ehrenrührig.
Da fängt die Verklemmung an. Reinigungspersonal, Reinigungsfachkraft, Perle. Für mich sind es nur meine Mitarbeiter. Ich erlebe es so: Wenn ich Leute kennenlerne und sage, ich habe eine Putzfirma, fragen sie noch einmal nach und dann finden es manche super und bei manchen geht die Klappe runter. „Das ist doch gar nicht fancy“, sagte mal eine Kundin zu mir.
Und was sagen die Reinigungskräfte selbst?
Unterschiedlich. Die meisten sagen, dass sie bei Besserwischer arbeiten, das hört sich besser an als „Ich bin Putzfrau oder Putzmann“. Manche sagen aus Spaß: „Ich bin ja nur die Putze.“
Die Linke ist bei Ihnen Kunde, die Grünen – also die politisch Korrekten?
Das passt natürlich gut. Wir haben aber genauso auch Werbeagenturen, die seit Jahren sehr nette Kunden sind.
Auf Ihrer Internetseite schreiben Sie, dass es möglich ist, faire Löhne zu zahlen – man dürfe als UnternehmerIn nur nicht zu gierig sein.
Ich denke, das ist so. Die Margen in der Gebäudereinigung gehen ja von bis. Ich frage Kunden, was sie vorher gezahlt haben und manchmal habe ich dann niedrigere Preise gemacht, weil ich dachte, das ist ja totale Abzocke. Und gleichzeitig setzen sie für 400 Quadratmeter eine halbe Stunde Arbeitszeit an. Bei anderen Firmen hat man nach zehn Jahren eben ein Einfamilienhaus, ich habe das nicht.
Wann kam Ihnen die Idee, eine solche nicht gierige Unternehmerin zu werden?
Ich hatte ein Callcenter in einer Firma aufgebaut, da kamen meine Chefs zu mir und sagten: „8,50 Euro, das ist viel zu viel, die telefonieren ja nur.“ Danach bin dann zu einer kleinen Marktforschungsfirma gegangen, da ging es auch um Corporate Social Responsibility. Anschließend bekam ich Arbeitslosengeld und konnte den Existenzgründungszuschuss beantragen. Aber schon vorher, als ich Geographie und Soziologie studiert habe, ging es ganz oft um migrantische und ungerechte Arbeitswelten.
Gerecht und grün hätte theoretisch ja auch eine ganz andere Firma sein können. Warum wurde es das Putzen?
Es war ein bisschen Zufall, zum Teil, weil ich selber geputzt hatte, zum Teil, weil es zulassungsfrei war. Eine Schreinerei hätte ich nicht aufmachen können. Und: Als ich im Büro arbeitete, traf ich auf die Leute, die dort putzten und fand, dass es ein schrecklicher Umgang miteinander war. Dieses „schnell weg“ von beiden Seiten. Ich fand, man sollte das ans Licht holen.
Als Außenstehende hat man so eine naive Vorstellung, dass es interessant sein muss, in Privathaushalten zu putzen, weil man in ein anderes Leben tritt, Schauplätze von Geschichten, die man sich vorstellen kann.
Tatsächlich wollen viele meiner Mitarbeiter gar nicht in Privatwohnungen, weil es ihnen zu intim ist, die machen lieber Büros. Ich biete es auch nicht mehr gerne an, weil es oft zu detailliert und emotional ist.
Inwiefern?
Es gibt manchmal unerfüllbare Wünsche. Die eine Kundin regt sich darüber auf, dass ihr Toilettenpapier so gefaltet ist wie im Hotel. Sie kommt nach Hause und fühlt sich wie im Hotel, das kann sie nicht ertragen. Die nächste sagt: „Das ist ja super, ich fühle mich wie im Hotel.“ Das ist das Komische beim Putzen, auch im Großraumbüro: Hier wird noch der kleinste Fleck beanstandet und gleichzeitig wird gesagt: Es ist ja nur Putzen. Wenn es ums Kürzen von Rechnungen geht, heißt es: Das dauert ja nur fünf Minuten, einen Staubsauger irgendwo reinzuhalten.
Die prekäre Situation von Reinigungskräften, sei es in Firmen oder als SchwarzarbeiterInnen, ist lang bekannt – aber es tut sich nicht wirklich etwas.
Ich finde das auch in meinem eigenen Bekanntenkreis schwierig. Schwarzarbeit hat in gewissen Situationen ihre Berechtigung, wenn die Leute ohne Papiere hier sind und sonst nicht arbeiten können. Schwierig wird es, wenn die Auftraggeber sagen: „Wir zahlen doch zwölf Euro die Stunde, das ist doch super.“ Wenn die Person aber mal krank ist oder frei haben möchte, dann habe ich oft gehört: „Wieso sollten wir zahlen, sie kommt ja nicht.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
US-Interessen in Grönland
Trump mal wieder auf Einkaufstour
Täter von Magdeburg
Schon lange polizeibekannt
Abschiebung erstmal verhindert
Pflegeheim muss doch nicht schließen
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml