Unterleibskrankheit bei Frauen: Endlich Endometriose ernst nehmen
Die Ampel will zwar Gendermedizin stärken, gegen eine der häufigsten Frauenkrankheiten tat sich bisher jedoch nichts. Eine Petition macht nun Druck.
Nach 48 Stunden war die Schwelle von 50.000 Unterschriften bereits geknackt. Jetzt, zwei Wochen später, haben mehr als 90.000 Menschen unterzeichnet. Damit habe sie nicht gerechnet, sagt die 19-Jährige der taz. „Wir waren komplett überrascht und überwältigt.“
Die grüne Bundestagsabgeordnete Kappert-Gonther hatte schon im Oktober 2021 von der alten Bundesregierung schriftlich abgefragt, was diese gegen Endometriose unternommen habe. Die Antwort war relativ kurz. Man verwies darauf, dass man Informationen gesammelt und bereitgestellt habe, beim RKI und auf drei weiteren staatlichen Webseiten. Das Gesundheitsministerium habe außerdem 2019 ein entsprechendes Symposium gefördert. Darüber hinaus seien bei dieser Krankheit Selbsthilfeinitiativen besonders wichtig.
Endometriose, eine der häufigsten Unterleibserkrankungen bei Frauen (und trans, inter und nicht-binären Personen mit Uterus), ist recht unbekannt. Zum Beispiel fehlt es an Aufklärung, damit Ärzt*innen die Krankheit, welche meist starke Schmerzen während der Regelblutung verursacht, erkennen. Oder an Geld: für bessere Therapiemöglichkeiten, zum Beispiel, und für Grundlagenforschung. Endometriose ist mit 40.000 neuen Diagnosen pro Jahr die zweithäufigste gynäkologische Erkrankung in Deutschland. Zwei Millionen Menschen leiden unter der Krankheit. Die Ursache? Immer noch unbekannt.
Theresia Crone ist selbst betroffen. Gemeinsam mit der Endometriose-Vereinigung e. V. fordert sie von der Bundesregierung und Gesundheitsminister Lauterbach eine Aufklärungskampagne, bundesweite Fördergelder für Forschung und einen „nationalen Aktionsplan“ zu geschlechtergerechter Medizin.
Bisher unklar, was die Krankheit auslöst
Bei Endometriose handelt es sich um eine chronische Erkrankung. Gewebe, das der Gebärmutterschleimhaut ähnelt, wuchert außerhalb der Gebärmutter im Körper, zum Beispiel an den Eierstöcken, im Becken und im Bauchraum.
Die gutartigen Wucherungen, auch Endometrioseherde genannt, können überall im Körper wachsen. Sie äußern sich über schwere Menstruationsschmerzen, treten aber auch unabhängig vom Zyklus in Bauch, Rücken, Beinen und Unterleib auf. Toilettengang kann schmerzhaft sein, genau wie Geschlechtsverkehr; die Endometrioseherde bilden Zysten, die stark bluten können. Folgen von Endometriose können Organschäden und ungewollte Kinderlosigkeit sein, verbunden mit psychischen Erkrankungen.
Weil nicht bekannt ist, was die Krankheit auslöst, können therapeutisch nur Symptome gelindert werden, oft mit starken Schmerzmitteln; auch werden die Endometrioseherde häufig operativ entfernt. Betroffene erzählen nicht nur von den teilweise unerträglichen Schmerzen, die sie als sehr belastend empfinden. Eine zweite Belastung kommt noch dazu. Denn bis zu einer Diagnose vergehen in Deutschland laut RKI durchschnittlich zwischen sechs und zehn Jahren.
Viele berichten davon, dass sie in dieser Zeit der Unklarheit von Ärzt*innen nicht ernst genommen wurden. „Ich konnte nur noch mit Opiaten schlafen“, erinnert sich auch Theresia Crone, „und trotzdem habe ich von medizinischem Fachpersonal so Sachen gehört wie: ‚Das sind normale Schmerzen für eine Frau‘ oder ‚Du übertreibst‘.“
Die Politik sucht das Gespräch
In der medizinischen Versorgung gibt es eine geschlechtsspezifische Verzerrung: den Gender Bias. Medizinische Forschungsergebnisse gelten häufig nur für cis-Männer, genauso wie es zu 90 Prozent Männer sind, die in Deutschland über Inhalte und Lehrpläne im Medizinstudium entscheiden.
„Ich bin dankbar, dass Betroffene wie Theresia Crone Druck machen und auf diese Schieflage hinweisen“, sagt die Gesundheitspolitikerin Saskia Weidenhaupt (Grüne). Auch aus dem Gesundheitsministerium heißt es, es sei ein Anliegen, die von Endometriose Betroffenen zu unterstützen: „Mit den Forderungen wird sich das BMG auseinandersetzen und auch den Fortgang des geplanten nationalen Plans zur Endometriose in Frankreich verfolgen.“ Was man konkret tun will, bleibt unklar.
In Frankreich hatte Emmanuel Macron im Januar in einer eigens produzierten Video-Ansprache verkündet, Endometriose sei ein gesamtgesellschaftliches Problem. Der französische Aktionsplan sieht Schulungen für medizinisches Personal vor, Fachzentren und ein im Gesundheitsministerium angesiedeltes Forschungsteam.
Etwas Vergleichbares in Deutschland wünscht sich Theresia Crone. „Es muss ja nicht gleich vom Bundeskanzler kommen“, sagt sie, „aber von der Regierung erwarte ich ganz klar, Endometriose als gesellschaftliches Problem anzuerkennen.“ Das Feedback aus der Politik sei ausschließlich positiv, man suche das Gespräch.
Auch zahlreiche Betroffene hätten sich gemeldet, sagt Crone. „Es ist richtig cool zu sehen, dass so viele Menschen, die in ihrem Leiden bisher nicht gehört wurden, jetzt zum ersten Mal in ihrem Leben die Hoffnung haben, dass sich etwas ändern könnte. Und die Hoffnung habe ich natürlich auch.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Eine ganz normale Woche in Deutschland
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin