Unterbringung minderjähriger Flüchtlinge: Bremen bleibt bei Turnhalle

Die Bremer Linksfraktion kritisiert die Unterbringung von Geflüchteten in einer Turnhalle. Der Flüchtlingsrat spricht von Kindeswohlgefährdung.

Kuscheltiere liegen in der Turnhalle des Dresdener Gymnasiums Bürgerwiese auf einem Regal.

Für den Flüchtlingsrat verweigerte Jugendhilfe: Unterbringung in einer Turnhalle, hier in Dresden Foto: dpa / Robert Michael

BREMEN taz | Trotz ausreichend freier Plätze in den Erstaufnahmeeinrichtungen sind zur Zeit 14 unbegleitete minderjährige Geflüchtete in Bremen in einer Turnhalle untergebracht. Die Linksfraktion fordert die Sozialbehörde auf, diese Unterbringung zu beenden: „Da werden besonders Schutzbedürftige ohne Not schlecht untergebracht – und aus unserer Sicht ohne guten Grund.“ Die Unterbringung in Sporthallen sollte das letzte Mittel sein, wenn ansonsten Obdachlosigkeit drohe. Das sei aktuell nicht der Fall, denn es gebe viele freie Plätze.

Die Bremer Rechtsanwältin Nina Markovic schließt sich der Kritik an: „Meiner Einschätzung nach verstößt die Unterbringung in Turnhallen gegen die europarechtliche Aufnahmerichtlinie.“ Es gebe besondere Standards für unbegleitete minderjährige Geflüchtete.

In der Bürgerschaftssitzung beantwortete der Senat die Fragen der Linksfraktion zum Thema: Die Turnhalle sei im Dezember 2022 in einer Zeit der massiven Überbelegung von Flüchtlingsunterkünften angemietet worden. Für insgesamt ein Jahr solle die Turnhalle dazu dienen, die schwankenden Zu- und Wegzugszahlen auszugleichen. Einige der 14 Jugendlichen in der Turnhalle sollen in andere Bundesländer umverteilt werden. Der Großteil ist offenbar aus anderen Bundesländern nach Bremen zurückgekehrt.

Doch warum steckt der Senat die Jugendlichen in eine Notunterkunft, wenn zur Zeit in den Erstaufnahmeeinrichtungen 80 Plätze frei sind? Wolf Krämer, Sprecher der Sozialbehörde, bezeichnet es als „fachlich sinnvoll“, diese Jugendlichen an einem anderen Ort unterzubringen. Den jungen Menschen werde so deutlich, dass eine neue Phase in ihrem Verfahren beginne. „Es handelt sich hier keineswegs um ein Druckmittel“, versichert Krämer.

Gundula Oerter, Flüchtlingsrat Bremen

„Die Jugendlichen wissen, was passieren könnte, wenn sie sich der Umverteilung verweigern“

Seit einer Gesetzesänderung 2015 dürfen minderjährige Geflüchtete in ein anderes Bundesland verteilt werden, wenn ein Land seine Aufnahmequote erfüllt hat. Davor war „aus fachlicher, pädagogischer und menschlicher Sicht klar, dass das kindeswohlgefährdend ist,“ sagt Gundula Oerter vom Flüchtlingsrat Bremen. „Wir müssen uns klarmachen: hier geht in erster Linie um Kinder und Jugendliche, die dem Jugendhilfegesetz unterliegen, schutzsuchende Minderjährige, die eine traumatisierende Flucht erlebt haben.“

Dieses Verteilsystem hat seine Tücken: Denn die Jugendlichen, die gerne in Bremen bleiben wollen, können auch gegen ihren Willen verschickt werden – unter Androhung von Gewalt. Laut einer Verwaltungsanweisung ist die Verteilung von unbegleiteten minderjährigen Geflüchteten „mit Zwangsmitteln durchsetzbar“. Es sind Fälle bekannt geworden, bei denen die Geflüchteten von der Polizei in Hand- und Fußfesseln in andere Bundesländer gebracht wurden.

Bremen als Großstadt ist trotz der schlechten Versorgungslage besonders für People-of-Color-Geflüchtete attraktiver als ländliche Regionen. Zu den Sozialarbeiter*innen, Bezugs­betreue­r*in­nen und anderen Geflüchteten bauen sie nach ihrer Ankunft in Bremen schnell Bindungen auf. „Diese sind schützenswert, da sie zur psychosozialen Stabilisierung enorm wichtig sind,“ sagt Gundula Oerter. Auch deshalb darf das Verfahren, mit dem das Jugendamt eine Umverteilung der Jugendlichen prüft, nur wenige Wochen dauern.

„Das gezielte Downgrading der Unterbringung in Turnhallen ist mindestens verweigerte Jugendhilfe und Kindeswohlgefährdung,“ kritisiert Oerter vom Flüchtlingsrat Bremen. Das müsse im Kontext der Gewaltandrohung von Handfesseln gesehen werden. Und die Androhung von Gewalt sei bereits Gewalt. „Die Jugendlichen wissen, was passieren könnte, wenn sie sich der Umverteilung verweigern“, sagt Oerter. „Das ist der Einzug von komplettem Autoritarismus in die Jugendhilfe.“

Oerter weist auch darauf hin, dass der Wille der Jugendlichen laut dem Sozialgesetzbuch bei den Entscheidungen der Jugendämter berücksichtigt werden müsse. Eine Umverteilung gegen den Willen der Jugendlichen komme „so gut wie nie vor“, versichert der Sprecher der Sozialbehörde.

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