Unterbringung der Flüchtlinge in Berlin: Die Turnhallen bleiben belegt
Schreckensnachricht vor Weihnachten: Viele Flüchtlinge bleiben auf nicht absehbare Zeit in Hallen. Grund: Die Ausschreibungen des Landesamts sind nichtig.
Die rund 3.300 Flüchtlinge, die derzeit in 38 Turnhallen nur notdürftig untergebracht sind, werden dort auf absehbare Zeit bleiben müssen. In diesem Jahr werde keine einzige Turnhalle mehr „freigezogen“, erklärte der Sprecher des Landesamts für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF), Sascha Langenbach, am Freitag.
Der Grund: Das Amt müsse die Betreiberverträge für die Containersiedlungen, genannt Tempohomes, in die die Flüchtlinge umziehen sollen, neu ausschreiben. Die bislang erfolgten Ausschreibungen seien von unterlegenen Bietern vor der Vergabekammer angefochten worden. Daraufhin habe man die Ausschreibungen zurückgezogen, so Langenbach.
Damit verschiebt sich der Zeitplan zum Freizug der Turnhallen erneut. Ursprünglich sollten alle Flüchtlinge diese Notunterkünfte schon im Spätsommer verlassen haben. Zuletzt hieß es, bis Jahresende wolle man die Sporthallen frei bekommen. Dafür sollen noch 13 Tempohomes mit 250 bis 450 Plätzen entstehen, zusätzlich zu den beiden, die bereits in Betrieb sind.
Vier Containerdörfer sind laut Langenbach fast fertig und könnten in den nächsten Wochen bezogen werden. Doch nun müssen erneut Betreiber gesucht werden.
Für die betroffenen Flüchtlinge sei das bitter, gab Langenbach zu. Man sei sich bewusst, dass die Situation in den Massenunterkünften für viele eine enorme psychische Belastung sei. „Uns allen im Haus geht die Lage in den Turnhallen sehr zu Herzen“, betonte er. Man arbeite mit den Betreibern der Unterkünfte zusammen, um kurzfristig zur Überbrückung die Situation wenigstens etwas zu verbessern – etwa durch mehr Personal, das sich um die Menschen kümmert.
Um die neuen Ausschreibungen rechtssicherer zu machen – vollständige Rechtssicherheit sei bei europaweiten Ausschreibungen ohnehin nie zu erreichen, so Langenbach – benötige das Amt nun Expertise durch Vergabeexperten von außen. „Wir haben versucht, mit anderen Behörden zu kooperieren. Aber Vergabeexperten sind überall Mangelware“, so Langenbach.
Daher habe Sozialsenator Mario Czaja (CDU) bereits im Frühsommer sechs bis sieben Millionen Euro im Hauptausschuss beantragt, um entsprechend spezialisierte Kanzleien beauftragen zu können. Dieses Geld sei jedoch bis zur Wahl nicht bewilligt worden.
Nun habe man endlich einen Teil der Mittel bekommen: rund 1,5 Millionen Euro. Damit wolle man nun Experten einkaufen, um möglichst schnell die ersten Ausschreibungen vorzubereiten. Ehrgeiziges Ziel sei, eventuell bis Ende Januar die ersten der 13 Tempohomes beziehen zu können.
Im kommenden Jahr werde man jedoch weitere Mittel für externe Vergabeexperten benötigen, so Langenbach. „Auf das LAF kommen in den nächsten eineinhalb Jahren 100 bis 150 Ausschreibungen zu, was für unser Haus eine kaum zu bewerkstelligende Aufgabe bedeutet.“
Neben den 13 Tempohomes gehe es um 60 geplante Modulare Flüchtlingsunterkünfte, also Heime in Leichtbauweise, sowie um 80 der rund 100 „Bestandsobjekte“,für die Verträge auslaufen beziehungsweise es noch gar keine gibt. Nicht eingerechtet seien hier zudem die ebenfalls notwendigen Ausschreibungen für Sicherheits-Dienstleistungen in den Heimen, so Langenbach. In der neu aufgestellten Behörde arbeiteten derzeit elf Mitarbeiter im Bereich Vergabeverfahren.
Ein wichtiger Grund für die Probleme der Behörde bei den Vergabeverfahren liegt laut Langenbach in dem zunehmenden Wettbewerb von Firmen im Bereich Heimunterbringung. „Damit kann man viel Geld verdienen“, so der LAF-Sprecher – und es gebe viele neue Anbieter, nationale und internationale, „die versuchen, in Berlin Fuß zu fassen“. Und für einige lohne es sich eben auch, Anwaltskanzleien zu engagieren, die Vergabeverfahren genau unter die Lupe nehmen – und gegebenenfalls anfechten, wenn ihr Mandant unterliegt.
Es gibt freilich einen weiteren Grund, warum das LAF mit den gesetzlichen Vorgaben des Vergabewesens auf Kriegsfuß steht: Es hat schlicht keine Erfahrung mit europaweiten Ausschreibungen. Bisher wurden Aufträge für den Betrieb von Heimen in der Regel gar nicht ausgeschrieben, sondern „freihändig vergeben“, indem das Amt entweder auf Betreiber gezielt zuging oder nur einige wenige bat, sich zu bewerben.
Dass dies in der Tat eine Ursache für die aktuellen Probleme ist, gab Langenbach auf taz-Nachfrage zu: „Da wurde sich in der Vergangenheit nicht so drum gekümmert.“ Die rechtswidrige Praxis der Freihandvergabe hatte vor rund eineinhalb Jahren ein externe Wirtschaftsprüferfirma in ihrem Bericht über die Arbeitsweise des Amts, damals noch Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lageso), moniert.
Die Wirtschaftsprüfer waren eingesetzt worden, nachdem Unregelmäßigkeiten bei Vergaben bekannt geworden waren und der Vorwurf im Raum stand, der damalige Lageso-Chef Franz Allert habe die Firma seines Patensohns bei der Auswahl von Betreibern bevorzugt.
Warum das Amt ausgerechnet jetzt, wo es vor allem darum geht, die Flüchtlinge möglichst schnell aus den Turnhallen zu bekommen, den juristisch korrekten aber hoch komplizierten Vergabeweg geht und nicht einfach weiter „freihändig“ und dafür schnell Betreiber sucht, erklärte Langenbach ebenfalls mit dem veränderten Marktgeschehen. Die vielen Anbieter würden eben genau schauen, wer wie zum Zuge kommt. „Wenn wir freihändig vergeben, bekommen wir auch wieder Dresche.“
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