Unter deutscher Erde

■ Mit seinem neuen Film „Ein einzelner Mord“ hat der Regisseur Karl Fruchtmann ein Kammerspiel über die deutschen Richter und Henker der Nazi-Zeit gedreht

Karl Fruchtmann ist immer für einen spottenden Satz gut. Bremens wohl bekanntester Film- und Fernsehregisseur sitzt da im Synchronstudio der Radio-Bremen-Fernsehabteilung und wettert: „Wir müssen uns abgewöhnen, die Fernsehzuschauer für so blöd zu halten, wie das Programm meistens ist.“ Und: „Der Zuschauer ist ein mündiger Bürger und nicht bloß der Konsument eines Clips.“ Gerade wurde Fruchtmanns neuer Film „Ein einzelner Mord“ vor Mitwirkenden und JournalistInnen voraufgeführt, und wieder mutet der 1915 geborene Regisseur den mündigen ZuschauerInnen mit seiner so antiquiert gewordenen Form des Fernsehens einiges zu.

Es rieselt Erde einen Hang hinab. Es ist deutsche Erde, unter der wie in Wolfgang Staudtes Film „Kirmes“ manchmal eine Leiche liegt. Der Tote hier heißt Anton Reinhardt. Auf der Flucht aus einem Lager streift der 17jährige Jugendliche aus Waldshut am Karfreitag 1945 durch den (süd-) deutschen Wald. Anton ist Zigeuner. Ein Volkssturmtrupp verhaftet ihn. Die Kommandeure der Einheit, Franz Hindenburg Wipfler und der Förster Karl Hauger, denken sich Gründe für seine Erschießung aus. Erst quälen sie Anton Reinhardt, dann lassen sie ihn sein eigenes Grab schaufeln, bis Hauger ihn höchstpersönlich erschießt. Die Mörder werden nach dem Krieg wegen Totschlags verurteilt. Aber länger als zwei Monate muß keiner von ihnen büßen. Es ist bloß ein einzelner Mord.

Der Vorsitzende des Zentralrats der Sinti und Roma in Deutschland und Fruchtmann-Freund Romani Rose hat den Regisseur auf die Geschichte aufmerksam gemacht. Sie ist nur eine von vielen tausenden, die in der Dokumentationsstelle in Ludwigsburg unter Aktendeckeln verstauben. Allein aus Roses Familie haben die Nazis dreizehn Menschen ermordet. So und schlimmer erging es vielen anderen Sinti und Roma, die erst seit 1982 auch offiziell anerkannte Opfer eines Völkermordes während der Nazi-Diktatur sind. Jetzt, so sagt Romani Rose, ist wenigstens „Anton Reinhardt ein Denkmal gesetzt“.

Dieses filmische Denkmal ist so spröde wie beklemmend. In das Bild von der rieselnden Erde blendet Fruchtmann die erste von vielen Gesprächsaufzeichnungen ein. Nun läßt er erschreckend gute SchauspielerInnen jene Texte durchleben, die als Verhör- und Aussageprotokolle in der Akte Anton Reinhardt abgeheftet sind: Anton (David Cesmeci) in seiner Hilflosigkeit, Antons Mutter (Monica Bleibtreu) in ihrem wütenden Leid, den Täter Hauger (Christian Doermer) in seiner selbstgerecht-soldatischen Uneinsichtigkeit, den in Stimme und Atem bebenden, von Reue gepeinigten Täter Wipfler (August Schmölzer) und all die anderen Zeugen und Mitwisser. Nur wenige Spielszenen aus dem betont kulissenhaft eingerichteten Studio oder von betont künstlich ausgeleuchteten Außenschauplätzen ergänzen die Montage der Aussagen.

Fruchtmanns Film ist ein Kammerspiel im ganz klassischen Sinn. Wie sich die Richter und Henker aus ihrer Schuld hinaus- und in ein teils abstruses Geflecht aus Befehlsnotstand und Lüge hineinwinden, ist so aufwühlend wie erschütternd. Man möchte alle bedauern, die mit solchen Eltern oder Großeltern an einem Tisch sitzen mußten und über die Nazi-Zeit mit ihnen nicht reden konnten. Mit seinem zeitlich in den 50er Jahren angesiedelten Film archiviert Fruchtmann Denkweisen einer vergangenen Epoche. Der Regisseur hat sich nach eigenen Angaben „bemüht, so fair wie möglich zu sein“ und die Moralkeule im Sack gelassen. Aber den Kampf gegen die à la Guido Knopp wohl „zeitgemäßen“ Formen der historischen Dokumentation im aktuellen und aktualisierungsgeilen Medium Fernsehen hat dieses still-schreiende Dokumentarspiel längst verloren.

So ist „Ein einzelner Mord“ ein – wie man so sagt – wichtiger Film. Ganz so wie Rolf Schübels „wichtiger Film“ namens „Das Heimweh des Walerjan Wrobel“ über den jugendlichen Zwangsarbeiter aus Polen, den Bremer Richter zum Tod verurteilt haben, wird auch der 84minütige Film „Ein einzelner Mord“ nur wenige ZuschauerInnen erreichen. Das liegt nicht nur am Sendetermin 23 Uhr, unter dem die auf Quote schielende ARD den Fruchtmännern des öffentlich rechtlichen Fernsehens noch Reservate anbietet. Karl Fruchtmann muß man mögen für seinen Spott und respektieren für seine Unverdrossenheit. Sollen doch andere kommen und die Frage beantworten, wie man mit solchen Themen wieder die Kurve zu einem jüngeren und vor allem zahlreicher einschaltenden Publikum kriegt.

Christoph Köster

Sende- und/oder Videoaufzeichnungstermin 5. Mai, 23 Uhr, ARD