piwik no script img

Unruhen in SerbienAngekratzte Autokratie

Erich Rathfelder
Kommentar von Erich Rathfelder

Die Protestbewegung in Serbien verdient mehr internationale Rückendeckung. Berlin und Brüssel bangen stattdessen um das begehrte Lithium.

Menschen in Belgrad blockieren schweigend eine Straße aus Protest gegen die korrupte Regierung Foto: Darko Vojinovic/AP/dpa

B isher gingen viele Menschen auf dem Balkan davon aus, sie seien gegenüber den modernen europäischen Staaten in Europa rückständig. Bis vor Kurzem war das auch so. In Serbien waren es angesichts der Repression nur wenige, die sich offen gegen das autokratisch-nationalistische System des Aleksandar Vučić stellten.

Dass jetzt ausgerechnet in Serbien Massendemonstrationen gegen das rechte Regime stattfinden und seit Jahrzehnten erstmals endlich wieder Studenten und weite Teile der Bevölkerung gemeinsam die Machtfrage stellen, ist schon bemerkenswert. Der Pfusch am Bau des Bahnhofsgebäudes in Novi Sad und die 15 Toten beim Einsturz sind zum Symbol einer Bewegung geworden, die nach Demokratie und Rechtsstaatlichkeit ruft.

Indem sie sich gegen die Korruption wendet wie gegen den Raubbau an der Natur, gelingt es ihr, mit Massendemonstrationen nicht nur in den großen Städten, sondern überall im Land die Macht des Regimes herauszufordern. Aleksander Vučić konnte seine Leute nicht mehr wie früher mobilisieren. Das Argument, die Bewegung sei vom Ausland gesteuert, zieht nicht mehr. Die Gegenveranstaltung in einem Dorf in der „Palanka“ war kläglich. Vučić musste am Freitag seinen Premierminister opfern.

Doch der Potentat hat immer noch Pfeile im Köcher. Er kann auf seine Freunde in Moskau und Budapest zählen. In einer Zeit, die von Putin, Trump und den rechten Parteien in Europa geprägt ist und in der sich die liberalen Demokratien auf dem Rückzug befinden, stehen solche Oppositionsbewegungen wie jetzt in Serbien schnell alleine da.

Europa und auch Deutschlands Balkanpolitik ist nach wie vor fragwürdig. Für den Preis von Lithium sind Berlin und Europa bereit, Vučić zu stützen. Die Europäische Union hat sich immerhin mit einer Resolution halb auf die Seite der Demonstranten gestellt. In Wirklichkeit jedoch sehen Berlin und Brüssel Serbien als einen Hort der Stabilität an. Tatsächlich war das Serbien unter autokratischer Kontrolle seit Milošević und seinem ehemaligen Propagandaminister Vučić nie.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Erich Rathfelder
Auslandskorrespondent Balkanstaaten
Erich Rathfelder ist taz-Korrespondent in Südosteuropa, wohnt in Sarajevo und in Split. Nach dem Studium der Geschichte und Politik in München und Berlin und Forschungaufenthalten in Lateinamerika kam er 1983 als West- und Osteuroparedakteur zur taz. Ab 1991 als Kriegsreporter im ehemaligen Jugoslawien tätig, versucht er heute als Korrespondent, Publizist und Filmemacher zur Verständigung der Menschen in diesem Raum beizutragen. Letzte Bücher: Kosovo- die Geschichte eines Konflikts, Suhrkamp 2010, Bosnien im Fokus, Berlin 2010, 2014 Doku Film über die Überlebenden der KZs in Prijedor 1992.
Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!