Unruhen in Nordirland: Heuchelnd ins Verderben
Nordirland erlebt unruhige Nächte. Das hat mit dem Begräbnis eines IRA-Mannes zu tun – aber vor allem mit Tricksereien beim Brexit.
A n Heuchelei ist man in Nordirland schon lange gewöhnt. Aber dass Premierministerin Arlene Foster und ihre Parteikollegen von der Democratic Unionist Party (DUP) die Krawalle verurteilen, die seit mehr als einer Woche die Krisenprovinz erschüttern, ist mehr als dreist. Schließlich hat Foster erheblich dazu beigetragen, die Situation anzuheizen.
Seit Ende vorigen Jahres, als das Nordirlandprotokoll als Teil des Brexitvertrags unterzeichnet wurde, agitieren Foster und Co. dagegen, denn Nordirland gehört weiterhin dem EU-Binnenmarkt an und muss sich an die Zollregeln der EU halten. Das sei Verrat, schreien sie und malen den Teufel – die Vereinigung Irlands – an die Wand. Manch unionistische paramilitärische Verbände, die sich dem Drogenhandel zugewandt haben, greifen das gerne auf, um unter dem politischen Deckmantel zum Widerstand gegen die Polizeirazzien anzustacheln.
Foster appelliert zwar an die Achtung von Recht und Gesetz, stellt gleichzeitig aber die Legitimität der Polizei in Frage. Sie verlangt den Rücktritt des Polizeichefs Simon Byrne und verweigert jedes Gespräch mit ihm, weil er nicht gegen die Sinn-Féin-Mitglieder vorgeht, die voriges Jahr beim Begräbnis eines prominenten IRA-Mannes die Pandemie-Restriktionen missachtet haben. Es ist zwar verständlich, dass das von unionistischer Seite als zweierlei Maß gesehen wird, doch Fosters Äußerungen sind indirekte Aufforderungen zur Gewalt.
Darüber hinaus war es die DUP, die seit Jahren sämtliche Alternativen zum Nordirlandprotokoll per Veto verhindert hat – in dem naiven Glauben, dass der britische Premierminister Boris Johnson zu seinem Wort stehen und Nordirland nicht dem Brexitvertrag opfern würde. Langsam müssten auch die Unionisten gemerkt haben, dass sie den Politikern in London völlig egal sind. Die hatten die irische Frage während der Brexit-Verhandlungen gar nicht auf dem Schirm und waren überrascht, dass die EU soviel Rücksicht auf die kleine Nachbarinsel nahm. Das Momentum für die irische Vereinigung nahm dadurch an Fahrt auf.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Angeblich zu „woke“ Videospiele
Gamer:innen gegen Gendergaga
Unterwanderung der Bauernproteste
Alles, was rechts ist
Experten warnen vor Trump-Zöllen
Höhere Inflation und abhängiger von den USA
Die Brennelementefabrik und Rosatom
Soll Lingen Außenstelle von Moskaus Atomindustrie werden?
Klimagipfel in Baku
Nachhaltige Tierhaltung ist eine Illusion