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Unruhen in NordirlandHeuchelnd ins Verderben

Ralf Sotscheck
Kommentar von Ralf Sotscheck

Nordirland erlebt unruhige Nächte. Das hat mit dem Begräbnis eines IRA-Mannes zu tun – aber vor allem mit Tricksereien beim Brexit.

Nationalisten kämpfen in Belfast mit der Polizei Foto: Peter Morrison/ap

A n Heuchelei ist man in Nordirland schon lange gewöhnt. Aber dass Premierministerin Arlene Foster und ihre Parteikollegen von der Democratic Unionist Party (DUP) die Krawalle verurteilen, die seit mehr als einer Woche die Krisenprovinz erschüttern, ist mehr als dreist. Schließlich hat Foster erheblich dazu beigetragen, die Situation anzuheizen.

Seit Ende vorigen Jahres, als das Nordirlandprotokoll als Teil des Brexitvertrags unterzeichnet wurde, agitieren Foster und Co. dagegen, denn Nordirland gehört weiterhin dem EU-Binnenmarkt an und muss sich an die Zollregeln der EU halten. Das sei Verrat, schreien sie und malen den Teufel – die Vereinigung Irlands – an die Wand. Manch unionistische paramilitärische Verbände, die sich dem Drogenhandel zugewandt haben, greifen das gerne auf, um unter dem politischen Deckmantel zum Widerstand gegen die Polizeirazzien anzustacheln.

Foster appelliert zwar an die Achtung von Recht und Gesetz, stellt gleichzeitig aber die Legitimität der Polizei in Frage. Sie verlangt den Rücktritt des Polizeichefs Simon Byrne und verweigert jedes Gespräch mit ihm, weil er nicht gegen die Sinn-Féin-Mitglieder vorgeht, die voriges Jahr beim Begräbnis eines prominenten IRA-Mannes die Pandemie-Restriktionen missachtet haben. Es ist zwar verständlich, dass das von unionistischer Seite als zweierlei Maß gesehen wird, doch Fosters Äußerungen sind indirekte Aufforderungen zur Gewalt.

Darüber hinaus war es die DUP, die seit Jahren sämtliche Alternativen zum Nordirlandprotokoll per Veto verhindert hat – in dem naiven Glauben, dass der britische Premierminister Boris Johnson zu seinem Wort stehen und Nordirland nicht dem Brexitvertrag opfern würde. Langsam müssten auch die Unionisten gemerkt haben, dass sie den Politikern in London völlig egal sind. Die hatten die irische Frage während der Brexit-Verhandlungen gar nicht auf dem Schirm und waren überrascht, dass die EU soviel Rücksicht auf die kleine Nachbarinsel nahm. Das Momentum für die irische Vereinigung nahm dadurch an Fahrt auf.

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Ralf Sotscheck
Korrespondent Irland/GB
Geboren 1954 in Berlin. 1976 bis 1977 Aufenthalt in Belfast als Deutschlehrer. 1984 nach 22 Semestern Studium an der Freien Universität Berlin Diplom als Wirtschaftspädagoge ohne Aussicht auf einen Job. Deshalb 1985 Umzug nach Dublin und erste Versuche als Irland-Korrespondent für die taz, zwei Jahre später auch für Großbritannien zuständig. Und dabei ist es bisher geblieben. Verfasser unzähliger Bücher und Reiseführer über Irland, England und Schottland. U.a.: „Irland. Tückische Insel“, „In Schlucken zwei Spechte“ (mit Harry Rowohlt), „Nichts gegen Iren“, „Der gläserne Trinker“, "Türzwerge schlägt man nicht", "Zocken mit Jesus" (alle Edition Tiamat), „Dublin Blues“ (Rotbuch), "Mein Irland" (Mare) etc. www.sotscheck.net
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2 Kommentare

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  • Wirklich sehr guter & treffender Kommentar!

    Aber wie wird es wohl weitegehen? Beruhigung der Lage oder ein Summer voller Krawalle? Wie irisch wird die sichtbare Wirtschaft, die Lebensmittel und Einkaufszentren? Und in wieweit hängt die Zukunft Nordirlands mit der von Schottlands zusammen?

    Es sind wahrlich interessante Zeiten - in Nordirland halt leider im Sinne des Chinesischen Fluches...

  • Also dass es dem Boris und seinen Tories ziemlich egal ist, was aus Nordirland wird, das konnte man schon vor einigen Moanten in der Le Monde Diplomatique lesen. Da analysierte ein Autor die Brexit-Strategie Johnsons als Orientierung auf einen Englischen Nationalismus. Johnson setzt also auf die Mehrheitsbevölkerung des Vereinigten Königreiches, denn ohne England sind Schottland, Wales und Nordirland weder politisch noch wirtschaftlich überlebensfähig.