Unruhen in Kasachstan: Schlechtes Timing für den Kreml
Russland kommt der Aufstand in seinem Nachbarland sehr ungelegen. Reflexartig wird eine US-Verschwörung unterstellt.
Der Unmut ist allerdings hausgemacht. Kasachstan ist reich an Öl und Gas, doch dieser Reichtum kommt bei vielen Menschen nicht an. Die Preise, nicht nur für Flüssiggas, waren zuletzt stark angestiegen, viele Jüngere sehen kaum Perspektiven im Land. Ventile, die Unzufriedenheit loszuwerden, fehlen im autoritär geführten Kasachstan. Der Langzeitherrscher Nursultan Nasarbajew hat stets die Fäden im Hintergrund gezogen. Auch nachdem er mit Kassym-Schomart Tokajew einen Nachfolger installiert hatte.
Russlands Präsident Wladimir Putin hat Nasarbajew, dem „Führer der Nation“ (kasachisch: Elbassy), stets Anerkennung zukommen lassen. Tokajew hingegen hat er zuletzt kaum noch erwähnt. Nun stürzen die Nasarbajew-Statuen im Land und Tokajew macht sich selbst zum Chef des Sicherheitsrats – eine heftige Degradierung Nasarbajews. „Die Schizophrenie der Doppelmacht in Kasachstan hat ein Ende“, sagt der russische Politologe Arkadi Dubnow vom Moskauer Carnegie-Zentrum dazu.
Für Russland, das derzeit in staatlichen Ferien weilt, kommt die Krise bei seinem engen Verbündeten Kasachstan zu einem ungünstigen Zeitpunkt. An der Grenze zur Ukraine hat Moskau Truppen zusammengezogen und bedroht das Nachbarland, während es vehement Sicherheitsgarantien vom Westen einfordert. Kreml-loyale Beobachter sehen in den Protesten in Kasachstan eine Verschwörung: Der Westen wolle damit Russland zu Zugeständnissen zwingen, raunen sie.
Souverän und wirtschaftsstark
Kasachstan ist mit Russland in der Eurasischen Wirtschaftsunion vereint. Ebenfalls sind beide Länder Partner im von Russland ins Leben gerufenen Militärbündnis, der Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit (ODKB). Tokajew hat die ODKB, die eigentlich bei Bedrohung von außen eingreifen sollte, angerufen und erklärte den Bündnisfall dadurch, dass die Unruhen in seinem Land einem terroristischen Angriff von außen gleichkämen. Russland schickt Soldaten als Friedenstruppen nach Kasachstan – und könnte dadurch mehr Einfluss im Land bekommen.
Bereits 2014 hatte Putin bei einem seiner Auftritte davon gesprochen, dass Kasachstan Teil der „großen russischen Welt“ sei und nie eine eigenständige Staatlichkeit gehabt habe. Erst Nasarbajew habe diese geschaffen. Es war auch stets Nasarbajew, der trotz der Partnerschaft eine Distanz zu Moskau zu pflegen versuchte und es auch schaffte, weil sein Land – im Gegensatz zur Ukraine zum Beispiel – wirtschaftlich stark war.
„Apokalypse für autoritäre Autokraten“
Auch der Ukraine spricht der Kreml die Staatlichkeit ab. Zudem leben vor allem im Norden Kasachstans viele ethnische Russen. Diese könnte Moskau durch die Unruhen bedroht sehen und vorgeblich retten wollen. Ohnehin betrachtet Russland den kasachischen Norden historisch als russisches Territorium.
Die heftigen Auseinandersetzungen in Kasachstans Städten führen dem Kreml vor allem auch vor Augen, dass der Machtübergang von Nasarbajew zu Tokajew nicht als der Erfolg gesehen werden kann, den der Kreml stets als solchen wahrnahm. Putin selbst hat seine Nachfolge noch nicht geregelt.
Das, was in Kasachstan passiere, so sagt Politologe Dubnow, sei eine „Apokalypse für autoritäre Autokraten“.
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