Unruhen im Westjordanland: Ein neues Symbol für Tod und Hass
Beim Anblick eines israelischen Soldaten soll ein Junge im Westjordanland tot umgefallen sein. Der Vorfall schürt die aggressive Stimmung weiter an.
Der Cousin des Jungen, Mohammed Suleiman, erklärte gegenüber dem Nachrichtenkanal Al Jazeera, dass Rayan von einem Soldaten gejagt und angeschrien wurde. Als er den Soldaten vor sich gesehen habe, sei er vor Angst tot umgefallen. Israels Militär weist die Verantwortung zurück. Laut einem Armeesprecher habe der israelische Offizier „sehr ruhig“ mit dem Vater gesprochen und sei dann gegangen.
Im Westjordanland wurden die Fotos von Rayans leblosem Körper unter einem Laken im Krankenhaus über Nacht zu einem neuen Symbol im Westjordanland – in den sozialen Medien und auf der Straße. Eine ohnehin angespannte Lage wird noch explosiver.
Seit Anfang des Jahres sind bei einer Reihe von palästinensischen Anschlägen 19 Menschen in Israel getötet wurden. Seitdem macht das israelische Militär im Westjordanland Jagd auf Terrorverdächtige. Dabei geht es hauptsächlich um Militante des Islamischen Dschihad, der Hamas und der Al-Aksa-Märtyrerbrigaden, vor allem in den nördlichen Städten Jenin und Nablus. „Operation Wellenbrecher“ hat das Militär die Durchsuchungen und Razzien genannt.
Stundenlange Schusswechel
Die dortigen Flüchtlingslager werden von Israel als Brutstätten des Terrorismus betrachtet. Verzweiflung und Gewaltbereitschaft sind dort besonders groß. Tote auf palästinensischer Seite bei Razzien sind an der Tagesordnung, es sind Militante wie Zivilist:innen, einige von ihnen sind Teenager. Am Tag vor Rayans Tod wurden bei stundenlangen Schusswechseln in einem Flüchtlingslager in Jenin 4 Palästinenser:innen getötet und 44 weitere verletzt.
Was viele besorgt, – Israelis und Palästinenser:innen: Immer mehr junge Menschen, die nicht an eine militante Organisation gebunden sind, greifen zu den Waffen. Mohammed Alatar, palästinensischer Filmemacher und Universitätsdozent aus Ramallah, macht sich vor allem um diese jüngere Generation von Palästinenser:innen Sorgen.
Keine politische Lösung in Sicht
Es sind diejenigen, die unter der Militärbesatzung aufwachsen und mit dem Bau der israelischen Sperranlage im Jahr 2002 auch keine Israelis kennenlernen – wenn, dann nur als Soldat:innen an den Checkpoints und bei Razzien. Alatar hat an der Uni täglich Kontakt zu ihnen: „Ich habe wirklich Angst vor der nächsten Generation, weil nichts mehr einen Sinn für sie hat. Nicht das, was wir als Palästinenser tun, nicht das, was Israel tut.“
Alatar zeigt aus dem Fenster seiner Wohnung Richtung Norden, wo Nablus und Jenin liegen: „Für mich ist es unglaublich, dass so viele dieser Männer, die im nördlichen Westjordanland Waffen tragen, unter 20 Jahre alt sind.“ Die Entmenschlichung durch die Besatzung treibe die jungen Menschen dazu.
Friedensaktivist:innen auf beiden Seiten sind sich einig, dass nur eine politische Lösung zu Stabilität führen kann. Doch fast 30 Jahre nach dem Oslo-Friedensabkommen ist eine solche in weiter Ferne.
In einem Video des israelischen Militärs von vergangener Woche erklärt Armeechef Aviv Kochavi gegenüber hochrangigen Offizieren, er werde zusätzliche reguläre und Reservebataillone entsenden, um die „Terrorwelle zu brechen“. Seit einigen Monaten sind bei den Razzien im Westjordanland auch Drohnen im Einsatz, um Palästinenser:innen mit Langstreckenfeuer zu töten, räumte das israelische Militär im Juli ein.
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