Unruhe vor dem Clásico: Geheime Aufrufe
Trotz der vorsorglichen Verlegung: Beim Duell zwischen Real Madrid und dem FC Barcelona ist mit massiven Protesten zu rechnen.
Der Clásico war noch nie ein Spiel wie jedes andere. Doch heute wird das Aufeinandertreffen der beiden Starclubs der spanischen Liga, FC Barcelona und Real Madrid, noch mehr als üblich unter dem Zeichen der Politik stehen. Das Match wurde aus Sicherheitsgründen vom 26. Oktober auf den heutigen vorweihnachtlichen Mittwoch verschoben. Denn im Oktober war Barcelona Schauplatz großer Proteste, nachdem neun Unabhängigkeitspolitiker und -aktivisten in Zusammenhang mit dem katalanischen Unabhängigkeitsreferendum 2017 wegen Aufruhr zu bis zu 13 Jahren Haft verurteilt worden waren.
Nacht für Nacht brannten die Barrikaden. Der „Tsunami Democràtic“, eine Bewegung, die über soziale Netzwerke mobilisiert, rief dazu auf, den Clásico für den Unabhängigkeitskampf zu nutzen. Mit einer Blockade des Flughafens in Barcelona hatten sie Stärke bewiesen. Die Liga wollte sich dieser Gefahr nicht aussetzen.
Doch der „Tsunami“ gibt nicht auf. Das heutige Spiel werde ruhig verlaufen, wenn die Hauptforderung des „Tsunami“ „Spain, sit and talk“ deutlich im Stadion zu sehen sei, hieß es in einem Kommuniqué der Bewegung, von der keiner weiß, wer sie steuert.
Und es gibt einen Aufruf: „Am Mittwoch brauchen wir Tausende von Personen für eine Aktion.“ Was genau geschehen soll, wird kurzfristig über ein Nachrichtenkanal auf dem Messengerdienst Telegram und über eine spezielle App verbreitet werden, die mittlerweile in Katalonien Hunderttausende auf ihrem Handy installiert haben. Wer mitmachen will, soll „ein Radio, Wasser und belegte Brote“ mitbringen und „alle sind eingeladen, das Spiel zu sehen“. Die Presse berichtet von über 20 Bussen, mit denen Protestierende aus ganz Katalonien anreisen sollen.
Großer Polizeieinsatz
Sowohl die spanische Nationalpolizei und Guardia Civil als auch die katalanischen Mossos d’Esquadra bereiten sich auf die Proteste vor. Sondereinsatzkommandos werden mit über 3.000 Beamten vor Ort sein. Die Busse beider Mannschaften werden unter massivem Schutz von einem nahe gelegenen Hotel ins Stadion fahren.
Ob „Tsunami“ oder nicht, ein Großteil der Fans wird einmal mehr Spruchbänder für die Freiheit der Inhaftierten sowie katalanische Unabhängigkeitsfahnen mitbringen. Die Polizei wird dies kaum verhindern können. Bisher gelang das nur beim Pokalendspiel 2018, in dem der FC Barcelona den FC Sevilla besiegte.
Zinedine Zidane
Damals beschlagnahmte die spanische Nationalpolizei an den Eingängen zum Stadion alles, was für sie nach Symbolen der Unabhängigkeitsbewegung aussah. Doch das Spiel fand in Madrid im Stadion von Atlético statt und nicht wie heute im Camp Nou in Barcelona, wo selbst der Vereinsvorstand die Forderung nach Dialog und Freilassung der Inhaftierten unterstützt. „Gefängnis ist nicht die Lösung“, hieß es in einer Klub-Erklärung kurz nach dem umstrittenen Urteil im Oktober.
„Wir werden auf den Rasen gehen und ein Spiel spielen, das war’s“, erklärt der Trainer des FC Barcelona, Ernesto Valverde, auf die Frage nach Sicherheit und Polizeipräsenz. Sein Kollege bei den Königlichen aus Madrid, Zinedine Zidane, warnt, vor lauter Politik den Sport zu vergessen: „Es wird viel außen herum geredet. Aber die Leute wollen ein gutes Spiel sehen.“
Spannend wird es allemal. Anders als in den vergangenen Jahren ist der FC Barcelona nicht mehr die alles überragende Mannschaft. Die Katalanen liegen derzeit punktgleich mit Real Madrid an der Tabellenspitze. Während Zidane auf fünf wichtige, verletzte Spieler – unter ihnen Marcelo und Marco Asensio – verzichten muss, hat Valverde freie Wahl.
Beide Trainer profitieren von der verworrenen politischen Lage und der Verschiebung des Clásico um knapp zwei Monate. Im Oktober steckten beide Mannschaften in einer vorübergehenden Krise. Dem Unterlegenen hätte aller Wahrscheinlichkeit eine Entlassung gedroht. Jetzt haben sich sowohl Barca als auch Real wieder gefangen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Kochen für die Familie
Gegessen wird, was auf den Tisch kommt
Angriffe auf Neonazis in Budapest
Ungarn liefert weiteres Mitglied um Lina E. aus
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Mangelnde Wirtschaftlichkeit
Pumpspeicher kommt doch nicht