piwik no script img

Union-Fan wandert zu Auswärtsspiel„Mich zu quälen reizt mich“

Der Berliner Union-Fan Sascha Koschitzke geht 630 Kilometer zu Fuß zum Auswärtsspiel seines Teams ins württembergische Aalen. Warum bloß?

Kurz vor dem Ziel: Union-Fan Sascha Koschitzke wandert zum Auswärtsspiel am Freitag nach Aalen. Bild: Koschitzke
Jens Uthoff
Interview von Jens Uthoff

taz: Herr Koschitzke, wo erwische ich Sie gerade?

Sascha Koschitzke: Ich bin in einem Nest namens Jagstzell, etwa 30 Kilometer vor Aalen – sagt zumindest mein Wander-Navi. Es geht hier immer durch kleine Waldstücke, es ist ein bisschen wellig. Traumhaft.

Wie viele Kilometer haben Sie schon in den Knochen?

Wenn ich heute Abend in Aalen ankomme, bin ich 630 Kilometer gelaufen. Das hat dann aber auch insgesamt 15 Tage gedauert – 14 Etappen, ein Ruhetag.

Wie viele Stunden waren Sie täglich unterwegs?

Ich bin jeden Tag etwa 10 Stunden gelaufen. Im Schnitt waren die Etappen 45 Kilometer lang. Ich laufe immer so zwischen 5 und 6 Stundenkilometer schnell, aber man bleibt ja auch mal stehen, isst was oder macht ein Foto.

Was machen die Blasen an den Füßen?

Die sind gut versorgt. Ich habe mir Desinfektionszeug mitgenommen und so ’ne kleine, spitze Schere. Ich habe die Dinger dann jeden Abend aufgestochen.

Das Duell gegen Aalen

Fußball-Zweitligist Union Berlin spielt am Freitag (18.30 Uhr) beim VfR Aalen. Es ist ein richtungsweisendes Spiel für den Tabellenfünfzehnten aus Köpenick: Mit einem Sieg gegen den direkten Konkurrenten aus Aalen würde man sich von den Abstiegsrängen entfernen. Fehlen könnte den Unionern dabei der zuletzt am Sprunggelenk verletzte Verteidiger Fabian Schönheim.

Union-Fanvertreter wollen in der Halbzeit der Partie den "JWD-Pokal" an den Klub aus Aalen vergeben, mit dem sie den gastfreundlichsten Verein der vergangenen Saison küren. Jotwede steht in diesem Fall für: Jut wars, danke! (jut)

Im Interview: Sascha Koschitzke

38, lebt in Berlin-Mitte, ist kaufmännischer Angestellter und seit 30 Jahre Union-Fan.

Warum tun Sie sich das Ganze überhaupt an: Ist das Ihr persönlicher Gang nach Canossa?

Eigentlich bin ich Radsportler, das ist meine große Leidenschaft. Dieses Sich-Quälen, Sich-an-Grenzen-Bringen reizt mich.

Aber wie kamen Sie darauf, diesen Spaziermarathon mit einem Union-Spiel zu verbinden?

Ich hatte noch zwei Wochen Urlaub und wusste nicht, wohin ich fahren sollte. Ich wollte nicht das Übliche. Irgendwann hörte ich ein Interview mit Reinhold Messner: Der erzählte davon, wie er einst zu seinem 60. Geburtstag 2.000 Kilometer durch die Wüste Gobi gelaufen war. So was Ähnliches wollte ich im eigenen Land machen. Von Berlin aus bis zu den Alpen laufen war zum Beispiel eine Idee. Dann fiel mir aber ein, dass ich in der Zeit die Union-Spiele verpassen würde – meine andere große Leidenschaft käme also zu kurz.

Und so findet man sich auf dem Weg nach Aalen wieder.

Genau. Ich hab geguckt, wo Union auswärts spielt. Aalen lag gut 600 Kilometer entfernt, das passte. Sicher war ich mir dennoch nicht, ob ich das auch wirklich durchziehe. Nach unserem Sieg gegen Leipzig vor einigen Wochen waren wir dann alle so euphorisiert, dass meine Kumpels gesagt haben: „Jetzt musst du das aber auch machen!“

Mit dem schlechten Tabellenplatz hatte es also nichts zu tun?

Nee. Wir sind ja Unioner. Klar wollen wir nicht absteigen, aber in dieser Saison – mit neuem Trainer und neuem Konzept – muss man schon ein bisschen Geduld haben.

Sind Sie in Trikot und mit Fan-Utensilien unterwegs?

Ich habe nur einen Schal dabei. Den habe ich auch erst seit zwei Tagen um. Vorher war es dafür zu warm. Jetzt gab es hier einen richtigen Kälteeinbruch.

Was haben Sie unterwegs erlebt?

Viel Natur gesehen! Ich bin ein Stadtmensch. Ich komme aus Mitte, aber ich bin auch großer Naturliebhaber. Am frühen Morgen war es am schönsten, meistens bin ich gegen halb acht losgegangen. Ich habe mich mit Bauern unterhalten, wenn die mit ihren Traktoren über die Felder fuhren. Aber ich habe auch viel gelitten. Mein Rucksack wog am Anfang 17,5 Kilo, das ging richtig auf den Nacken.

Wo haben Sie übernachtet?

In Hotels oder Landgaststuben. Das war oft sehr familiär. Die heiße Dusche am Abend und die Beine hochzulegen war meine Belohnung.

Warum machen ausgerechnet Union-Fans immer so komische Sachen?

Gute Frage – aber: Weiß ich auch nicht.

Wenn Union verliert, geht’s dann zu Fuß zurück?

Nee. Wenn ich noch Urlaub hätte, könnte man darüber nachdenken. Aber ich gehe sowieso davon aus, dass wir mindestens einen Punkt holen.

Sie geben sich nach 630 Kilometern mit einem Punkt zufrieden …?

Na ja, das letzte Auswärtsspiel, das Union gewonnen hat, war Ende 2013 in Bochum. Da wird man bescheiden. Aber natürlich darf’s auch gerne ein Dreier sein!

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!