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Union-Busting bei Pflegekonzern OrpeaImmer mehr Prozesse

Zwei Bremer Betriebsrätinnen wehren sich erfolgreich gegen ihre Kündigung. Der Pflegekonzern Orpea kämpft aber mit allen Mitteln weiter gegen sie.

Vor dem Landesarbeitsgericht Bremen hatte die Kündigung zweier Betriebsrätinnen keinen Erfolg Foto: Carmen Jaspersen/dpa

Bremen taz | Der Betriebsrat der Seniorenresidenzgruppe in Bremen hat gewonnen: Der Vorsitzenden des Betriebsrats und ihrer Stellvertreterin dürfen nicht gekündigt werden; nach dem Arbeitsgericht hat in zweiter Instanz am Mittwoch auch das Landesarbeitsgericht den Antrag des Arbeitgebers auf Kündigung zurückgewiesen.

Überraschend ist der Ausgang nicht, die Klage gegen die Betriebsrätinnen beruhte rein auf Vermutungen: Urkundenfälschung und Arbeitszeitbetrug unterstellte die Seniorenresidenzgruppe, die zum französischen Pflegekonzern Orpea gehört, den beiden Frauen.

Die mit detektivischem Eifer betriebene Auswertung von Telefon- und Computerdaten der Betriebsrätinnen nutzten dem Arbeitgeber nichts: Zwar war die Vorsitzende nicht zu jedem einzelnen Zeitpunkt ihrer Arbeitszeit ins System eingeloggt oder am Telefonieren, aber „dass Betriebsratsarbeit nur an einer Betriebsstätte oder am Computer erfüllt werden kann, überzeugt mich nicht“, sagte Richter Stephen Böggemann und entkräftete so den Vorwurf des Arbeitszeitbetrugs.

Komplizierter konstruiert war der Vorwurf der Urkundenfälschung. Konkret geht es um die Protokolle zweier Betriebsratssitzungen. Die Residenzgruppe argumentiert, dass diese Protokolle entweder in Details falsch seien oder die Sitzungen nie stattgefunden hätten; so ganz eindeutig entschieden hat sich der Konzern da nicht.

Eine Vielzahl von Prozessen gegen den Betriebsrat

Beweise hat man nicht, stattdessen stellte der Anwalt der Residenzgruppe schon in der ersten Instanz Mutmaßungen darüber an, wie gut der Betriebsrat die Urlaubspläne anderer Betriebsteile auswendig wüsste. In der zweiten Instanz jetzt versuchte er aus einem Bindestrich zwischen den Worten „Gesamtbetriebsrat“ und „Wirtschaftsausschuss“ in einem Terminkalender herzuleiten, dass eine Sitzung nie stattgefunden habe. Richter Böggemann reichte beides nicht.

Vorbei ist mit dem gewonnen Prozess für die Betriebsratsvorsitzende Nicole Meyer noch nichts. Das Unternehmen führt weitere Kämpfe gegen seinen Betriebsrat, an allen Fronten. Das Kündigungsverfahren läuft auch noch vor dem Arbeitsgericht in Weyhe, am Sitz des Arbeitgebers.

Auch gegen ein Hausverbot für Meyer musste vor Gericht vorgegangen werden und gegen eine plötzliche Streichung ihres Lohns. Das ist nicht alles: Angefochten wird aktuell auch die Betriebsratswahl für 2022, bei der Meyer und ihre Stellvertreterin wiedergewählt worden sind. Der Konzern möchte, dass jedes Altenheim der Gruppe jetzt als eigener Betrieb gilt; die Betriebsräte dort wären dann kleiner, hätten weniger Möglichkeiten zur Mitwirkung und vor allem: keine Freistellung ihrer Mitglieder.

Dazu kommen Klagen wegen übler Nachrede gegen Meyer persönlich. Sie glaubt, dass an ihr ein Exempel statuiert werde, um Betriebsräte vor zu viel Engagement zu warnen. Ob Meyers Fall tatsächlich in erster Linie abschreckend wirkt, sei aber dahin gestellt: Die Solidarität mit ihr ist groß, vor dem Gericht sammeln sich bei den Prozessen Mitglieder von Gewerkschaften und Aktivist*innen. Im neu gegründeten europäischen Betriebsrat von Orpea ist Nicole Meyer vergangenes Jahr zur Vorsitzenden gewählt worden.

Inwiefern Orpea sich mit den Verfahren einen Gefallen tut, ist also fraglich. Schließlich ist jeder Gerichtsprozess auch Anlass für Berichterstattung. Und die ist für Orpea momentan ohnehin eher unerwünscht. Im Januar ist in Frankreich ein Enthüllungsbuch des Journalisten Victor Castanet zu Missständen bei Orpea erschienen: In „Les Fossoyeurs“ („Die Totengräber“) schreibt der Autor über Verwahrlosung von Be­woh­ne­r*in­nen und Kontrolle von Mitarbeitenden; der Orpea-Konzern hat an der Börse nach der Veröffentlichung einen Wertverlust von 3 Milliarden Euro erlitten.

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