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Union Berlin spielt im OlympiastadionFernbeziehung nach Charlottenburg

Gareth Joswig
Kommentar von Gareth Joswig

Union will zur Champions League ins Olympiastadion. Die Fans diskutieren kontrovers über den Umzug.

Ganz gemütlich im Olympiastadion: Union-Fans beim Derbysieg am 18. Spieltag Foto: imago/Nordphoto

I n Köpenick wird seit Montag kontrovers über den 1. FC Union Berlin diskutiert: Ist es richtig oder falsch, die Champions-League-Heimspiele im Olympastadion auszutragen, wo sonst der Lokalrivale Hertha BSC spielt?

Der Verein, der organisch mit dem kleinen, aber feinen Stadion an der Alten Försterei mit fast ausschließlich Stehplätzen verwachsen ist, hatte angekündigt, alles daran zu setzen, die Heimspiele im eigenen Wohnzimmer auszutragen. Nach einer vor kurzem getroffenen Entscheidung der Uefa, die die 1998 im Europapokal eigentlich verbotenen Stehplätze im Rahmen eines Modellversuchs weiter erlaubt, wäre das auch möglich gewesen. Nun hat sich der Klub doch anders entschieden, wie Vereinspräsident Dirk Zingler am Montag den Mitgliedern per langer Mail mitteilte, um die antizipierbare Wut abzumildern.

Man werde die Heimspiele der Champions League im Olympiastadion austragen, die Spiele der Youth League hingegen im Stadion an der Alten Försterei, hieß es da. Es gebe rationale Gründe dafür, aber insbesondere wolle man allen Unio­ne­r*in­nen die Möglichkeit geben, teilzuhaben am größten Erfolg der Vereinsgeschichte. Da hat er nicht ganz unrecht.

Denn tatsächlich platzt die Alte Försterei schon lange aus allen Nähten, Union hat mittlerweile über 56.000 Mitglieder, Karten gibt es jenseits von Dau­er­kar­ten­in­ha­be­r*in­nen nur für Mitglieder im nervigen Losverfahren oder auf einer fast unbedienbaren Zweit-Markt-Hölle auf der Internetseite. Das liegt an den begrenzten Kapazitäten: Ins eigene Stadion passen nur 22.000 Zuschauer*innen, im Olympiastadion finden über 74.000 Platz – alle Mitglieder, die wollen, können also nächste Saison zu den Europapokal-Heimspielen gehen.

Eine paar Millionen gute Gründe

Einfacher dürfte die Entscheidung gemacht haben, dass dem Verein durch den Mehrverkauf an Karten nun auch ein paar zusätzliche Millionen winken – einige schätzen einen mittleren einstelligen Millionenbetrag.

Aber trotzdem ist es für Fuß­ball­pu­ris­t*in­nen natürlich die falsche Entscheidung: Die Alte Försterei gilt mit seinem hohen Stehplatzanteil als einmaliger Fußballtempel und ist unbestreitbar ein stimmungsvoller Standortfaktor, der Schiedsrichter und gegnerische Spieler einschüchtert und die eigene Mannschaft beflügelt. Das Olympiastadion hingegen ist ein zugiges Nazi-Mausoleum mit Laufbahn, in dem man vom Oberrang ohne Opernglas kaum was erkennen kann.

Innerhalb der Fanszene gibt es bereits erste Boykott-Bekundungen. Man wolle nur die Heimspiele der Jugendmannschaft in der Youth League in der Alten Försterei schauen und werde garantiert nicht freiwillig die halbe Weltreise (50 Minuten) mit der S3 nach Charlottenburg auf sich nehmen.

Joa, kann man so sehen, ist aber auch ein bisschen albern. Denn erstens heißt es in einem der vielen Fangesänge: „wo du auch spielst, ja wir folgen dir“ – und zweitens ist das Olympiastadion längst fast so etwas wie ein gelegentlicher Zweitwohnsitz für Union geworden. Da sind nicht nur zahlreiche schöne Derby-Erinnerungen gegen Hertha BSC, in dem sich die Kulisse dank reger Anreise von Unio­ne­r*in­nen und lautstarkem Support für Union wie ein Heimspiel angefühlt hat, sondern auch die dort offiziell als Heimspiel ausgetragenen Europapokal-Spiele zu Corona-Zeiten, die nicht wenigen in positiver Erinnerung sind.

Und früher oder später müssen eh alle Dau­er­kar­ten­in­ha­be­r*in­nen nach Charlottenburg: Denn in der Spielzeit 2024/25 will Union ohnehin seine Spiele im Olympiastadion austragen – denn dann soll die Alte Försterei zu einer neuen Försterei mit Oberrang und 37.700 Plätzen aufgemöbelt werden. Spätestens dann muss man sich an den vorübergehenden Zweitwohnsitz gewöhnen – vielleicht fällt die Fernbeziehung ja leichter, wenn man dann schon zuhause im Olympiastadion Real Madrid besiegt hat.

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Gareth Joswig
Redakteur Inland
Arbeitet seit 2016 als Reporter und Redakteur bei der taz. Zunächst in den Lokalredaktionen von Bremen und Berlin, seit 2021 auch im Inland und Parlamentsbüro. Davor Geschichts- und Soziologiestudium. Themenschwerpunkte: extreme Rechte, AfD, soziale Bewegungen, Mietenpolitik, dies, das, verschiedene Dinge.
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