Unicef-Studie zu Flüchtlingsunterkünften: Heime sind nicht kindgerecht
Zu eng, zu dreckig, zu unsicher – eine Studie sieht Mängel bei der Unterbringung minderjähriger Flüchtlinge in deutschen Heimen.
Demnach führe „fehlende Privatsphäre, nicht abschließbare Sanitäranlagen und das Miterleben von Gewalt und Konflikten“ zu einer erheblichen Behinderung der Integration, so Adam Naber, Sprecher des Bundesfachverbandes für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge e.V. und einer der Autoren der Studien.
Für die nicht-repräsentative Studie hat der Fachverband 447 haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeitern in Flüchtlingsunterkünften per online-Fragebögen interviewt.
Zwar lobt Unicef die Arbeit der Bundesrepublik bei der Bewältigung der sogenannten Flüchtlingskrise. Im internationalen Vergleich nehme die Deutschland sogar eine Vorreiterrolle ein.
Doch viele Flüchtlingsunterkünfte seien nicht kindgerecht, so Mitautor Naber. Demnach leben die Kinder mit zu vielen, fremden Menschen auf zu engem Raum – teilweise „unter unzureichenden hygienische Bedingungen“. Zudem seien sie häufig Zeugen von Spannungen und Konflikten. Laut Studie sollen sogar zehn Prozent der Kinder selbst Opfer von verbaler und physischer Gewalt geworden sein.
Hinzu kämen die langen Wartezeiten bei den Asylverfahren, sagt Naber. Mit Inkrafttreten des ersten „Asylpakets“ 2015 ist die maximale Zeitspanne, die minderjährige Flüchtlinge in Massenunterkünften verbringen können, von drei auf sechs Monate verdoppelt worden.
Schulbesuch abhängig vom Bundesland
Integration könne so nicht gelingen, beanstanden die Autoren. Vor allem Kinder und Jugendliche aus sogenannten sicheren Herkunftsstaaten litten unter den Zuständen in Notaufnahmeeinrichtungen. Sie würden zusätzlich von anderen Mitbewohnern ausgegrenzt und diskriminiert.
Christian Schneider, Geschäftsführer von Unicef Deutschland kritisiert, dass es vom jeweiligen Bundesland abhängig sei, ob ein Kind einen Kindergarten oder eine Schule besuchen könne. Nur ein Drittel der befragten Mitarbeiter in Erstaufnahmeeinrichtungen bestätigte, dass die Kinder eine Regelschule besuchten. Teils erhielten die Kinder in der Unterkunft Unterricht, aber 20 Prozent der Mitarbeiter gaben an, dass die Mädchen und Jungen in ihren Einrichtungen gar keine Schulbildung erhielten. Auch die ärztliche Versorgung beispielsweise von Müttern mit Kleinkindern schwanke von Bundesland zu Bundesland.
Schneider hob hervor, dass jedes Kind, unabhängig davon, wo es herkommt, ein Recht auf den Zugang zu Bildung und Gesundheitsversorgung habe. Denn „gerade den Kindern die bestmögliche Starthilfe in Deutschland zu geben, ist eine gute, wenn nicht eine der wichtigsten Investitionen für unsere Gesellschaft“, sagt Schneider.
Deshalb fordern Unicef und der Bundesverband für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge einheitliche Mindeststandards. Explizit fordern sie eine gesetzliche Regelung, die gewährleistet, dass Kinder mit ihren Familien möglichst zügig in eigene Wohnungen ziehen können und Zugang zu Bildungseinrichtungen erhalten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Studie Paritätischer Wohlfahrtsverband
Wohnst du noch oder verarmst du schon?
Bis 1,30 Euro pro Kilowattstunde
Dunkelflaute lässt Strompreis explodieren
Armut in Deutschland
Wohnen wird zum Luxus
Leben ohne Smartphone und Computer
Recht auf analoge Teilhabe
Ansage der Außenministerin an Verbündete
Bravo, Baerbock!