Uni-Klinik ohne Stadtbahnanschluss: Trouble um die Tram
Die Medizinische Hochschule Hannover soll einen großen, teuren Neubau kriegen. Doch beim Stadtbahnanschluss haben sich Land und Region verzankt.

taz | Es ist ja nicht so, dass man hier nicht groß denken würde: „Eine der modernsten Uni-Kliniken Europas“ soll entstehen, ein „Hannover Health Science Campus für die Medizin der Zukunft“ – so jedenfalls klingt das in der schnörkeligen Pressemitteilungsprosa, die die Medizinische Hochschule Hannover (MHH) und das niedersächsische Wissenschaftsministerium (MWK) verwenden, wenn mal wieder ein Meilenstein bei diesem Mammutprojekt erreicht ist.
Die Medizinische Hochschule Hannover ist als Klinik und Forschungseinrichtung unbestreitbar eine der wichtigsten Einrichtungen des Landes. Sie beschäftigt (nach eigenen Angaben) rund 8.600 Menschen, hat 1.520 Betten und behandelt rund 54.000 Patienten im Jahr stationär und weitere 285.000 ambulant.
Doch ihre Gebäude stammen zum großen Teil aus den 1960er-Jahren, was bedeutet, dass sie erstens hässlich und zweitens marode sind. Schon seit Jahren wird deshalb über einen Neubau diskutiert. 1,05 Milliarden Euro hat das Land Niedersachsen dafür in einem Sondervermögen bereitgestellt – mit der gleichen Summe wird die Universitätsmedizin Göttingen (UMG) bedacht.
2019 gab man nach rund zehn Jahren Diskussion bekannt: Es soll einen Neubau auf einem 16 Hektar großen Baufeld nördlich des jetzt bestehenden Klinikgeländes geben. Pläne, das Klinikum auf dem alten Gelände Stück für Stück abzureißen und neu zu bauen, wurden damit ad acta gelegt.
Löst ein Shuttlebus das Problem?
Daraus, mahnte die Region Hannover schon damals, ergeben sich aber ein paar Probleme für den Anschluss an den öffentlichen Nahverkehr. Die sind bis heute nicht wirklich gelöst. Stattdessen haben sich Fronten gebildet: MHH und Land auf der einen, Stadt und Region Hannover auf der anderen Seite. Beide Seiten versuchen nun mit den ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln Fakten zu schaffen.
Bisher führt die Stadtbahnlinie 4 direkt an das MHH-Gelände. Eine weitere Haltestelle – an der auch noch ein paar mehr Busse fahren – ist 220 Meter vom südlichen Zipfel des Geländes entfernt. Das Erweiterungsgelände befindet sich allerdings nord-westlich des aktuellen Geländes. Dort gab es bisher nur Brachflächen und Kleingärten.
Um von der alten Haltestelle dahin zu transportieren, schlugen die MHH-Vorstände vor, könnte man doch Shuttlebusse einsetzen. Vielleicht ja sogar autonom fahrende wie an der Charité.
Stadt und Region halten das für einigermaßen irre: In den Spitzenzeiten steigen an der Station bis zu 250 Menschen auf einmal aus – wie viele Kleinbusse will man denn einsetzen? Das Umsteigen stellt zudem für viele eine Barriere dar – zumal die geplante Haltestelle für den Shuttlebus auch noch 200 Meter von der Tramstation entfernt ist.
Das, befürchten die kommunalen Verkehrsplaner, führt am Ende dann eben dazu, dass die Leute lieber ins Auto steigen. Parkhäuser sind in den Planungen der MHH ja an jeder Ecke vorgesehen.
Es gibt allerdings noch einen Grund, warum die örtliche Politik und Verwaltung ziemlich scharf darauf ist, lieber eine neue Bahntrasse zu bauen. Das könnte nämlich der erste Baustein für eine Ringlinie sein.
Hannovers Stadtbahnsystem ist bisher sternförmig angelegt, was den Nachteil hat, dass man eigentlich immer erst in die Innenstadt und dann wieder hinausfahren muss. Die Querverbindungen zwischen benachbarten Stadtteilen mit Bussen funktionieren eher schlecht als recht.
Nun gäbe es hier die Gelegenheit, eine Querverbindung zwischen zwei hochfrequentierten Linien zu schaffen und gleich noch die MHH optimal anzubinden. So gute Werte bei der Wirtschaftlichkeit einer Strecke habe er noch nie gesehen, erklärt Ulf-Birger Franz, der seit 15 Jahren Verkehrsdezernent der Region ist. Um eine Förderung von Bund und Land zu erhalten, muss für neue Linien eine Kosten-Nutzen-Analyse vorgelegt werden, die beweist, dass diese volkswirtschaftlich sinnvoll sind. In diesem Fall rechnet die Region mit 1.600 Fahrgästen pro Werktag und Kosten von 118 Millionen Euro.
Sorge um medizinische Geräte
Zwei Varianten, die einen weiteren Bogen um das MHH-Gelände schlagen und damit den Campus nicht so sehr zerschneiden,wie es die MHH befürchtet, stehen zahlenmäßig etwas ungünstiger da, wären aber wirtschaftlich auch noch vertretbar. Der Widerstand von MHH und Land gegen die von der Kommunalpolitik favorisierte Streckenführung stützt sich aber nicht nur auf dieses Campus-Argument.
Die MHH führt außerdem die Sorge ins Feld, dass ihre empfindlichen medizinischen Geräte durch die Erschütterungen und elektromagnetischen Schwingungen beeinträchtigt werden. Dazu gibt es auch ein entsprechendes Gutachten. Stadt und Region haben daraufhin ein eigenes Gutachten in Auftrag gegeben, das zu dem Schluss kommt, dass sich dieses Risiko mit einigen Abschirmungsmaßnahmen praktisch ausschließen lässt.
Dieser Konflikt schwelt nun schon einige Zeit vor sich hin. Zuletzt hat er aber noch einmal Fahrt aufgenommen. Das, obwohl alle Beteiligten immer wieder betonen, man sei weiter im Gespräch und obwohl die politisch Verantwortlichen, Wissenschaftsminister Falko Mohrs (SPD) und Regionspräsident Steffen Krach (SPD), aus derselben Partei kommen.
Nicht genug Platz für eine Stadtbahn
Zuletzt registrierten Stadt und Region aufgeschreckt, dass bei den aktuell vorliegenden Entwürfen der beiden von der MHH beauftragten Architekturbüros gar nicht mehr genug Platz für eine Stadtbahn wäre.
Der „Stadtfelddamm“, auf dem sie fahren sollte, ist nämlich für Zufahrten und Transportwege verplant worden. Abstände, von denen man bei Stadt und Region glaubte, dass sie fest vereinbart waren, wurden dabei unterlaufen.
Bevor hier jetzt also Fakten geschaffen werden, wollen Stadt und Region lieber selbst welche schaffen. Die Stadt plant, den Bebauungsplan so zu ändern, dass neben dem Stadtfelddamm ein Korridor von zwölf Metern freizuhalten ist. Die Region bereitet derweil die Freigabe weiterer Planungsmittel vor, um die Detailplanung vorantreiben zu können.
Für die MHH, beschwören beide, entstünden dadurch gar keine großen Probleme. Man könne die bisherige Planung einfach um zwölf Meter nach Westen versetzen, auf dem Baufeld sei genug Platz.
Grollende Stellungnahmen
Das liest sich in den ersten grollenden Stellungnahmen aus MHH und MWK allerdings ein wenig anders: „Aus Sicht des MWK hat eine möglichst schnelle Inbetriebnahme des Neubaus Priorität. Das ergibt sich schon aus dem baulichen Zustand der Bestandsgebäude. Eine Neuplanung würde die Eröffnung absehbar verzögern sowie erhebliche Mehrkosten bedeuten und wird daher abgelehnt.“
Dieser Zeitdruck ist möglicherweise der eigentliche Schmerzpunkt für die MHH. Ursprünglich hätte das Mammutprojekt ja längst im Bau sein sollen. Von einem Baubeginn 2021 war anfangs die Rede, mittlerweile heißt es, 2028 könnte es so weit sein. Und das auch nur für den ersten von drei Abschnitten, der 2032 in Betrieb gehen soll.
Ärgerlicherweise – zumindest aus Sicht der Hannoveraner – liegt das praktisch zeitgleich gestartete zweite große Universitätsklinikprojekt in Göttingen erheblich besser im Zeitplan.
Gemeinsam für freie Presse
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Alle Artikel stellen wir frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade in diesen Zeiten müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass kritischer, unabhängiger Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert