piwik no script img

Ungarns Regierungschef bei der CSU„Ich bin Ihr Grenzschutzkapitän“

Orbán wird in Bayern freundlich empfangen. Er stellt seinen Plan für die Flüchtlingskrise vor – und verbittet sich „moralischen Imperialismus“.

Christlich-soziale Willkommenskultur: CSU-Chef Seehofer begrüßt Ungarns Regierungschef Orbán. Foto: reuters

KLOSTER BANZ/BAD STAFFELSTEIN taz | Ein sehr kleiner Horst Seehofer in Lederhosen lässt sich wie ein Kind an der Hand von einem sehr großen Victor Orbán führen, der eine Rolle Stacheldraht in der Hand hält: So karikiert die bayerische SPD das Geschehen am Mittwochmorgen auf einem Protestplakat, das sie mit einem Lieferwagen vor das Kloster Banz gefahren hat.

Hier, im Bildungszentrum der CSU-nahen Hanns-Seidel-Stiftung im fränkischen Bad Staffelstein, hält die CSU-Landtagsfraktion ihre diesjährige Herbstklausur ab – wohin CSU-Chef Seehofer auch den ungarischen Premierminister geladen hat.

Als Markus Rinderspacher, Vorsitzender der SPD-Fraktion im bayerischen Landtag, um 9 Uhr vor dem Plakat gegen den Besucher demonstriert, steht er zunächst ganz allein da. „Was will die CSU denn von diesem Rechtspopulisten, der seit Jahren EU-Recht und Menschenrechte mit Füßen tritt, lernen? Wie man mit Wasserwerfern, Schlagstöcken und Tränengas gegen Flüchtlinge vorgeht?“, fragt er.

Als weitere Demonstranten, Vertreter der Grünen und der Linken mit Trillerpfeifen und Schildern – „Mister Orbán, tear down this wall“, „Horst the Worst“ – eingefunden haben, ist der dunkle Wagen mit dem ungarischen Regierungschef allerdings längst im Klosterhof verschwunden. Orbán ist schon eine halbe Stunde eher ankommen als ursprünglich geplant.

Die Südgrenzen Bayerns

Zu den Protestierenden gehören auch Margarete Bause, Fraktionsvorsitzende der bayerischen Grünen, sowie Anton Hofreiter, der Fraktionsvorsitzende der Grünen im Deutschen Bundestag. Das im Vorfeld dieses Treffens immer wieder angeführte Argument der CSU, man müsse mit Orbán reden, bringt Hofreiter sichtlich auf: „Mit so jemanden muss man streiten, und zwar in EU-Gremien, und nicht, indem man ihn zur Klausur einlädt und ihm damit seine Wertschätzung zeigt.“

Wir sind Ungarn. Wir wollen uns nicht ändern durch eine massenhafte Einwanderung.

Viktor Orbán

Als Orbán gemeinsam mit Seehofer und dem CSU-Europaabgeordneten Manfred Weber vor die Presse tritt, gibt er sich selbstbewusst: „Die Südgrenzen Bayerns werden heute von Ungarn beschützt. Ich bin Ihr Grenzschutzkapitän“.

Dass vor allem Bayern derzeit die Folgen der „Wir schaffen das“-Politik der Bundeskanzlerin zu tragen habe und damit alsbald überfordert sei, betont an diesem Tag auch Thomas Kreuzer, CSU-Fraktionschef im Bayerischen Landtag: Kommunen, Städte, Sicherheitskräfte und Ehrenamtliche seien am Limit. „Unsere Gesellschaft ist nicht unbegrenzt belastbar.“

Sein Kollege Klaus Stöttner, Landtagsabgeordneter für den Wahlkreis Rosenheim, pflichtet ihm bei: „In Bayern geht der Platz aus, wir mussten übers Bayerische Rote Kreuz 10.000 Betten aus Kanada einfliegen lassen!“ Der Markt für Wohncontainer sei leergefegt, überall würden Turnhallen und sogar Schwimmbäder in Unterkünfte verwandeln.

Stimmungsmache von rechts

Trotzdem will Stöttner nicht als Rechtspopulist gesehen werden: Er habe selbst bei sich im Wahlkreis gemeinsam mit SPD, Grünen und Linken zwei Kundgebung gegen rechtsgerichtete Stimmungsmacher organisiert, betont er. Zugleich gelte es aber, die wachsenden Ängste in der bayerischen Bevölkerung ernst zu nehmen.

„Die Menschen fürchten um unsere freiheitliche Art, zu leben. Schulen schicken jetzt Briefe an Eltern, sie sollten darauf aufpassen, dass ihre Töchter sich nicht zu freizügig anzögen.“

Vor der Presse erläuterte Orbán seinen „Sechs-Punkte-Plan“, den er auch beim Treffen der EU-Regierungschefs in Brüssel darlegen will. Dazu gehört unter anderem eine mögliche militärische Sicherung der griechischen Außengrenzen auch mit freiwilliger militärischer Unterstützung anderer EU-Länder.

Ungarn bleibt ungarisch

Er will Wirtschafts- von Kriegsflüchtlinge noch außerhalb des Schengengebiets trennen und eine Liste sogenannter sicherer Drittstaaten, die auf europäischer Ebene definiert werden sollte. Zudem sollten nach Orbáns Vorstellung alle Länder ihre Ausgaben um ein Prozent reduzieren und die Einsparungen zum Management dieser „Völkerwanderungskrise“ verwenden. Man solle mit der Türkei und Russland enger zusammenarbeiten und ein Weltkontingent aufstellen.

Einen „moralischen Imperialismus“ aber verbitte er sich. Ob sich die deutsche Gesellschaft verändern soll und will, das sollten die Deutschen für ihr Land entscheiden – aber bitte nicht für Ungarn. „Wir sind Ungarn. Wir wollen uns nicht ändern durch eine massenhafte Einwanderung.“

Auf die Frage eines ungarischen Journalisten, wann er die neu eingerichteten technischen Grenzsicherheitsanlagen an der Grenze zu Kroatien scharfstellen will, antwortet Orbán, er habe bereits die Zustimmung des ungarischen Parlaments erhalten, militärische Kräfte und Material dorthin zu verlagern.

40.000 mal Danke!

40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
  • „Die Menschen fürchten um unsere freiheitliche Art, zu leben. Schulen schicken jetzt Briefe an Eltern, sie sollten darauf aufpassen, dass ihre Töchter sich nicht zu freizügig anzögen.“

    Das ist keine Populismus, sondern Realität:( http://www.welt.de/politik/deutschland/article144193209/Ab-wann-ist-ein-Hoeschen-zu-heiss-fuer-die-Schule.html )

    Zitat:

    "Der Schulleiter des Wolkenberg-Gymnasiums im brandenburgischen Michendorf informierte vor wenigen Wochen seine Schüler, dass "Mimik und Gestik sowie Kleiderordnung von Menschen aus anderen Kulturkreisen falsch verstanden werden könnten". Vor allem die Schülerinnen wurden gewarnt, jenen hundert Asylbewerbern, die in der benachbarten Turnhalle untergebracht waren, offen ins Auge zu blicken. Auch das Tragen von Miniröcken und Hotpants sei zu vermeiden, um Missverständnissen vorzubeugen."