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Ungarn und die RechtsstaatlichkeitEU-Parlament will Geld streichen

Wegen Streits über LGBT-Rechte wollen die Abgeordneten EU-Gelder für Budapest schnell abdrehen. Doch die Kommission will sich bis Herbst Zeit lassen.

Bekommt Ungarns Regierungschef Viktor Orbán noch im Sommer neue EU-Hilfen? Foto: Olivier Matthys/reuters

Brüssel taz | Der Streit über den Rechtsstaat in Ungarn wird zur Machtprobe zwischen dem Europaparlament und der EU-Kommission. Die Abgeordneten forderten am Mittwoch in Straßburg, den bereits seit Januar gültigen neuen Rechtsstaatsmechanismus endlich anzuwenden und die Streichung von EU-Geldern für die autoritäre Regierung in Budapest vorzubereiten.

Man dürfe nicht länger warten, hieß es vor dem Hintergrund des Skandals um LGBT-Rechte in Ungarn. In einem neuen Gesetz, das am Donnerstag in Kraft treten soll, will Regierungschef Viktor Orbán jede Form von „Werbung“ für Homosexuelle und andere sexuelle Minderheiten verbieten. Orbáns Vorgehen zeige, dass man jetzt einschreiten müsse, hieß es.

EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen will sich jedoch noch bis Herbst Zeit lassen. Zwar habe ihre Behörde bereits begonnen, mögliche Verstöße gegen den Rechtsstaat zu prüfen, erklärte die CDU-Politikerin. Man wolle jedoch ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs abwarten. Dort hatten Ungarn und Polen gegen den EU-Mechanismus geklagt. Das Urteil wird im Oktober erwartet.

In Brüsseler EU-Kreisen besteht kein Zweifel daran, dass die Richter den neuen Sanktionsmechanismus billigen werden. Umso unverständlicher sei es, dass von der Leyen immer noch zögere, erklärte der grüne Europaabgeordnete Daniel Freund. Er legte ein von seiner Fraktion bestelltes Rechtsgutachten vor, demzufolge EU-Finanzmittel für Ungarn gestrichen werden sollten.

Beim Corona-Aufbaufonds ist von der Leyen auf das Ja von Orbán angewiesen

In dem Gutachten bemängeln drei Wissenschaftler eine intransparente Verwendung von EU-Geldern, fehlende Verfolgung von Steuerhinterziehung sowie die fehlende Garantie unabhängiger Gerichte in Ungarn. Es habe sich gezeigt, dass öffentliche Aufträge an Freunde und die Familie von Orbán gingen.

„Die EU-Kommission kann Ungarn die EU-Gelder streichen und muss diesen Schritt jetzt auch unmittelbar gehen“, sagte Freund der taz. Sonst würden „dreistellige Millionenbeträge in die Abschaffung der Demokratie in Ungarn“ fließen. Gemeint ist Ungarns Anteil am Corona-Aufbaufonds „Next Generation EU“. Die Auszahlung soll bereits Ende Juli beginnen.

Kann es also sein, dass Orbán noch im Sommer neue EU-Hilfen bekommt, bevor es im Herbst Finanzsanktionen setzt? Muss der Rechtsstaat so lange warten? Es sieht ganz danach aus. Denn genau diese Abfolge war beim EU-Gipfel im Dezember 2020 unter deutschem Ratsvorsitz festgelegt worden. Kanzlerin Merkel fädelte damals mit Orbán und von der Leyen einen umstrittenen Deal ein.

Der Kompromiss sah vor, dass Orbán dem Rechtsstaatsmechanismus unter dem Vorbehalt zustimmt, dass er nicht sofort angewendet wird – und sein Land zunächst vor dem EU-Gericht klagen kann. Im Kern ist es ein Stillhalteabkommen: Orbán kann das Gesicht wahren, zugleich kann der neue Mechanismus in Kraft treten, wenn auch mit verspäteter Wirkung.

Zeitliche Verquickung mit Corona-Aufbaufonds

Was damals kaum jemand beachtet hat, ist die zeitliche Verquickung mit dem Corona-Aufbaufonds. Auch dieser 750 Milliarden Euro schwere schuldenfinanzierte Sonderfonds ist Teil des Deals. Er sieht für Ungarn ebenso wie für alle anderen EU-Länder neue Milliardenhilfen vor. Damit das Geld fließt, müssen jedoch noch alle 27 Mitgliedsländer zustimmen.

In der Praxis heißt das, dass von der Leyen auf das „Ja“ von Orbán angewiesen ist. Auch dies sei ein Grund dafür, dass die Kommissionschefin mit Sanktionen zögert, heißt es in Brüssel. Würde sie schon jetzt gegen Orbán vorgehen, könnte dieser „Next Generation EU“ blockieren.

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