Unendliche Vielfalt: Im regenbogenbunten Puzzle
Das Universum macht in seiner Sonderausstellung „Lieblingsräume“ Inklusion erlebbar – und beglückt die Gäste mit einer warmen Komplimentedusche
![](https://taz.de/picture/1723041/14/9fd3b354c298149319561439ea775ca3_edited_59896716_a878d51788.jpeg)
Lieblingsraum 1 stellt die moderne Küche als wahr gewordene Utopie gelungener Inklusion vor. Dort veredelt der syrische Neubremer Darwish Barkel gehacktes Fleisch neuseeländischer Lämmer mit deutschen Kartoffeln, chinesischem Knoblauch, marokkanischem Koriander, indischem Ingwer, indonesischer Muskatnuss, schwarzem Mauritius-Pfeffer und Tomaten aus Holland zu einem Auflauf – alle Zutaten haben gleichberechtigt teil an dieser Koalition verschiedener Kochkulturen. Die Gewürze sind im Universum zur olfaktorischen Verköstigung anwesend. Die Geschmacksknospenreize bleiben in Barkels Kochshowfilm leider verborgen.
An solchen Video- wie auch an Audiostationen werden die Inklusionsaspekte in jedem der acht Ausstellungsräume personalisiert. Wo zudem erkenntniserhellende Objekte sowie lustig platzierte Fakten um spielerische Zugänge ergänzt werden. Die Gags der Ausstellung sind schlecht versteckt, also gut zu finden.
Schon am Eingang: Wer lauffaul ist, findet einen Rollstuhl für zwei im Parkbankdesign. So wird mit lässigem Humor die positiv konnotierte Sitzart des tugendhaften Müßiggangs mit der mitleidig konnotierten Fortbewegungsart Gehbehinderter vereint.
Selbstverständlich ist die Ausstellung dank abgesenkter Bodenkanten barrierefrei, alle Erläuterungen hängen auch in Braille aus, der Raumplan ist zu ertasten, Filmzuspielungen sind untertitelt – „und alle Texte in einer bei uns entwickelten leicht verständlichen Sprache verfasst“, sagt Benedikt Hache, Pressesprecher des Martinsclubs.
Ums Thema Schönheit und Körperkult geht’s im Lieblingszimmer Bad. „Medial vermittelte Normvorstellungen und soziale Richtlinien, was schön sei, wollen wir hinterfragen“, sagt Haller. Gegen diese „ästhetische Monokultur mit der Abwertung vermeintlicher Unzulänglichkeiten“ will man „zum inklusiven Blick auf sich selbst ermuntern – und zum wohlwollenden Blick auf den Mitmenschen“, erklärt Haller.
Im Videoporträt ist Lisa Haalck zu sehen, Sie kann nicht mit wallender Lockenpracht einem weiblichen Schönheitsideal nacheifern, ist haarlos aufgrund einer Autoimmunkrankheit – und erklärt, wie es funktioniert, sich genau so schön zu finden: „Ich bin mehr als meine Haare.“ Zum Beispiel Initiatorin eines Fotokunstprojektes.
Kerstin Haller, Kuratorin
Ergebnisse sind an den Badwänden zu sehen: In harmonisch komponierten Arrangements stellen amputierte, vernarbte, fettleibige Menschen nackt ihre angeblichen Schönheitsmakel aus – nach dem Ausstellungsmotto: Es ist normal, verschieden zu sein. Daneben hängt Bademode an der Wand – Hosen mit Windeleinlage für Inkontinente, Bikinis in Übergrößen für Mollige etc. Haller: „So verstehe ich Inklusion, dass Objekte sich helfend den Menschen und nicht diese sich den Objekten anpassen.“
Also etwa zum sportlich minimierten Schwimmsporthöschen einen Sixpack antrainieren. Auch liegen im Bad Postkarten aus, auf denen der Satz vollendet werden muss: „Ich bin schön, weil ich …“
Als Antworten haben es bereits an die Pinwand geschafft: „… lange Wimpern habe“, „… gut gelaunt bin“, „… schön sein will“, „… meine Mama das sagt“ und „… schwanger bin“. Auf die Ohren gibt es etwas unter drei Schwimmbadfön-Installationen: Statt heißer Luft strömen warmherzige Berichte über uneingeschränkte Teilhabe am gesellschaftlichen Miteinander: Eine querschnittgelähmte Schneiderin stellt ihr Mode-Label, eine Martinclub-Schwimmgruppe sich selbst vor.
Das ist einer der zwei Kritikpunkte an der Schau: Dass sich der Martinsclub allzu oft in Szene setzt. Der andere: Daten, Zahlen, Hintergründe tauchen meist ohne Quellenangabe auf.
Egal ist das in der Komplimentedusche. Zieht der Besucher den Vorhang zu, wird er minutenlang mit Lobesworten betröpfelt wie: „Ich freue mich immer, wenn ich dich sehe.“ Kein Duschgel hatte je eine solche prickelnde Wirkung. Gleich nebenan gibt es noch eine Zugabe – wer an einem markierten Standort verharrt, wird mit Applaus überschüttet. Es geht in diesem Lieblingsraum um die unbedingte Zugehörigkeit aller an kulturellen Aktivitäten – am Beispiel der Stadtteiloper, Chor Don Bleu und Tanzbar Bremen.
Im „Wohnzimmer“ hat Pro Familia einige Verhütungsmittel ausgestellt – und lädt zum Quiz. „Ab wann dürfen Jugendliche in Deutschland Sex haben?“ Na, hätten Sie es gewusst? Ab 14 Jahren, lautet die Antwort. Und wer zu Familienfotos die fehlenden Mitglieder aus einem Repertoire von Porträtaufnahmen addiert, für den funktioniert das Puzzle der regenbogenbunten Lebensgemeinschaften als humorvolles Spiel mit dem Präfaktischen unseres Urteilsvermögens, den Vorurteilen. Anderthalb Stunden sollten Entdeckungsfreunde ab sechs Jahren mindestens einplanen.
Mo–Fr, 9 bis 18 Uhr, sams-, sonn- und feiertags, 10 bis 18 Uhr, bis 7. 1. 2018
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!