Undercover-Journalist: „V-Leute sind gekaufte Nazis“
Thomas Kuban recherchiert undercover bei Rechtsextremen. Er findet es verheerend, dass sich der Verfassungsschutz von Nazis verarschen lässt.
taz: Herr Kuban, 2013 wird das mögliche NPD-Verbot ein bestimmendes Thema sein. Sind Sie für ein Verbot?
Thomas Kuban: Ein NPD-Verbot macht Sinn. Es würde dadurch die Nachwuchswerbung für die neonazistische Bewegung insgesamt für einige Zeit erschwert. Die NPD hat die Strategie des Blood-and-Honour-Netzwerkes perfektioniert, mit Musik junge Leute zu ködern. So werden beispielsweise Schulhof-CDs verschenkt, deren Lieder es auch kostenlos im Internet gibt. Die NPD könnte dann auch nicht mehr ihren Parteistatus nutzen, um öffentliche Großveranstaltungen abzuhalten und antisemitisches Gedankengut zu verbreiten. Ich habe 2009 beispielsweise eine Rede von Udo Pastörs in Sachsen dokumentiert, in der er sich antijüdisch und ausländerfeindlich geäußert hat. Und 2007 habe ich zwei NPD-Funktionäre gefilmt, als sie den Hitlergruß zeigten.
Aber mit der NPD verschwänden die Neonazis nicht.
Nein. Aber gegenwärtig finanzieren Demokraten mit ihren Steuergeldern eine Partei mit, deren Funktionäre den Parteienstaat am liebsten untergehen sehen würden und beispielsweise extra nach Ungarn reisen, um dort die verlorene SS-Schlacht um Budapest zu betrauern. So ist das 2007 passiert, als der damalige Parteivorsitzende Udo Voigt und zwei weitere führende Parteivertreter dort am sogenannten Tag der Ehre gesprochen haben – vor gut 1.000 strammstehenden Rechtsextremisten auf dem „Heldenplatz“.
Würde die rechtsextreme Szene nach einem NPD-Verbot in den Untergrund gehen?
Das sehe ich nicht so. Es ist zwar zu erwarten, dass die entsprechenden Aktivisten weitermachen wollen – aber dann kommt es eben darauf an, dass die Sicherheitsbehörden das unterbinden. Und sollte es zu einer politischen Arbeit im Untergrund kommen, würde das zumindest die Nachwuchswerbung erheblich erschweren. Die Bewegung insgesamt könnte also nicht mehr so schnell weiterwachsen, im Idealfall würde sie personenmäßig sogar schrumpfen. Es würde auf jeden Fall ein paar Jahre dauern, bis sich der parlamentarische Arm der Neonazi-Bewegung reorganisiert hätte.
Auf einer Schulhof-CD der NPD findet sich der Song „Am Puls der Zeit“. Ein Lied, mit dem die Terroristen der NSU ihre CD unterlegt haben. Wieso wird solche Musik nicht verboten?
Zumindest auf einer Schulhof-CD gab es Lieder, die als jugendgefährdend eingestuft wurden. Die meisten Titel, die rechtsextreme Bands heutzutage herausbringen, sind jedoch legal. Und gerade die Songs auf Schulhof-CDs sollen die Hörer nicht erschrecken, sondern mit möglichst seriös klingenden Inhalten ansprechen. Das Lied „Am Puls der Zeit“ ist ein gutes Beispiel dafür. Es ist ein inhaltlich gemäßigtes Lied, von der inzwischen aufgelösten Band „Noie Werte“, die einen Rechtsanwalt als Sänger hatte. Dass Terroristen diesen Song genutzt haben, hat mich überrascht. Das deutet darauf hin, dass auch vermeintlich harmloses Liedgut politische Botschaften enthalten oder Stimmungen transportieren kann, die die Extremsten der Extremen ansprechen. Und die NPD nutzt dieses Lied, um Jugendliche zu rekrutieren.
Bevor sich die Bundesländer im Dezember 2012 dafür entschieden haben, ein neues Verbotsverfahren gegen die NPD zu starten, gab es lange Diskussionen. Finden Sie es angemessen, dass mit dem Parteiverbot so vorsichtig umgegangen wird?
Im Gegenteil. Ich halte es, gelinde gesagt, für sehr unvorsichtig, wenn die Feinde unserer demokratisch geprägten Gesellschaft und unserer Grundwerte exzessiv Rechte missbrauchen können, um ebendiese Rechte zu bekämpfen. Denn Freiheit ist in der Tat die Freiheit der jeweils Andersdenkenden. Und die NPD ist Teil einer neonazistischen Bewegung in Deutschland und darüber hinaus in Europa, die Andersdenkenden am liebsten nicht nur ihre Freiheit, sondern gleich ihr Leben rauben würde. Im Übrigen hatte das Scheitern des ersten NPD-Verbotsverfahrens nichts mit irgendeiner Sensibilität zu tun, sondern mit der Unfähigkeit der Verfassungsschutzbehörden, entsprechende Erkenntnisse über die Partei zu gewinnen, ohne dass führende NPD-Leute als sogenannte Vertrauensleute fungieren …
Der Mann: Thomas Kuban heißt eigentlich anders. Seit den 1990er Jahren recherchiert der freiberufliche Journalist undercover in der rechtsextremen Musikszene in Deutschland und Europa. Seine wahre Identität verschleiert er zu seinem Schutz.
Das Buch: Thomas Kuban: „Blut muss fließen. Undercover unter Nazis“, Campus 2012, 19,99 Euro
Der Film: Thomas Kuban und Filmemacher Peter Ohlendorf haben aus neun Jahren Recherche bei Rechtsrock-Konzerten einen Film gemacht. „Blut muss fließen“ wurde auf der Berlinale 2012 gezeigt. Außerdem läuft er in Kinos, Hallen und Schulen. Termine finden sich auf www.filmfaktum.de.
Es lässt sich nur nicht einschätzen, ob noch V-Leute in den NPD-Gremien sitzen.
Wenn aus diesem Grund ein neues Verbotsverfahren scheitern sollte, dann wäre das fatal. Dann würde die NPD – wie schon nach dem Scheitern des ersten Verfahrens – gestärkt und mit neuem Selbstbewusstsein weitermachen.
Sie bezeichnen V-Leute als gekaufte Nazis.
Es sind keine Beamten, es sind Nazis. Nazis, die von Sicherheitsbehörden dafür bezahlt werden, dass sie Informationen über ihresgleichen liefern. Es ist absurd, dass der Schutz der Verfassung mit staatlich bezahlten Nazis sichergestellt werden soll. Der Verdacht liegt doch nahe, dass sie vor allem Informationen liefern, die der Szene nicht wehtun. Mir ist es ein Rätsel, wie man das zur Standardermittlungsmethode machen konnte. Es ist doch klar, dass ein Beamter über eine Nazi-Veranstaltung mehr erfährt, wenn er sie selbst besucht, als wenn er nur mit einem Nazi darüber redet.
Verfassungsschutz und Polizei sollten Ihre Arbeitsmethoden übernehmen?
Durchaus. Die Behörden müssen mit verdeckten Ermittlern arbeiten, die Überwachungstechnik einsetzen. Ein V-Mann kann ein besoffener Nazi sein, der sich an vieles nicht mehr erinnern kann. Ein verdeckter Ermittler hat hingegen eine geschulte Wahrnehmung und fühlt sich seinem Arbeitgeber verpflichtet. Es ist verheerend, wenn sich Sicherheitsbehörden so amateurhaft anstellen, dass sie auf V-Leute setzen und es dadurch in Kauf nehmen, von Nazis verarscht zu werden.
Harte Worte.
Das bayerische Innenministerium hat im Frühjahr auf eine Landtags-Anfrage hin eingeräumt, dass es bei einem Rechtsrockkonzert zu Straftaten gekommen ist, obwohl Staatsschutz-Leute anwesend waren. Die irre Begründung: Die Liedtexte seien nicht zu verstehen gewesen.
Was gibt es bei dem Szene-Evergreen „Wetzt die langen Messer auf dem Bürgersteig, lasst die Messer flutschen in den Judenleib“ nicht zu verstehen?
Wer das Lied kennt, versteht selbstverständlich auch den Text. In Berlin gibt es Beamte, die Nazisongs kennen und erkennen. Sie haben also die Möglichkeit, bereits vor einem Gasthaus, in dem ein Nazikonzert läuft, strafbare Passagen zu identifizieren. Wenn ich da aber, wie ich das in Bayern mehrfach erlebt habe, Beamte stehen habe, die keine Ahnung haben, dann ist klar, dass die Polizei nicht eingreift. Allerdings gab es dort auch Hitlergrüße, die selbst schlecht ausgebildete Beamte als Straftaten erkennen müssen. Straftaten sind bei konspirativ organisierten Nazikonzerten die Regel – ich habe bei meinen Recherchen keine derartige Veranstaltung erlebt, die strafrechtlich nicht zu beanstanden gewesen wäre.
Die Neonazis müssen also keine Angst vor der Polizei haben?
So pauschal trifft das nicht zu. Aber die Staatsmacht präsentiert sich leider häufig machtlos. In Österreich habe ich sogar ein Konzert erlebt, bei dem es zum Shakehands und zum Schulterklopfen zwischen Nazis und Polizisten kam – eine Beamtin lächelte, als sich ein Nazi zu einem Erinnerungsfoto neben sie stellte. Die Polizei lässt vielerorts rechtsfreie Räume zu, in denen sich die Nazibewegung ausbreitet.
Sie waren überwiegend in der Rechtsrock-Szene unterwegs. Sie haben aber auch im etablierten politischen Bereich undercover recherchiert. Hat Sie dort noch etwas überraschen können?
Ich war zum Beispiel beim Studienzentrum Weikersheim, einem rechtsreaktionären Zusammenschluss mit vielen CDU-Mitgliedern. Dort habe ich den damaligen Brandenburger Innenminister Jörg Schönbohm dokumentieren können, mit einer Rede, in der er ausländerfeindliche Ressentiments bediente. Er lästerte über den Besuch in einem Plattenbau, in dem es nicht nach deutschem Kohl gerochen habe.
Was schließen Sie daraus?
Ich habe den Eindruck gewonnen, dass der Rechtsextremismus nicht unbedingt am Rande der Gesellschaft entsteht, sondern in ihrer Mitte. Es gibt ein Selbstverständnis unter Nazis, das in etwa so lautet: „Die Alten reden nur – wir tun was!“ Der Rechtsextremismus wird hierzulande unterschätzt, es gibt sogar einen Gewöhnungseffekt: Dass die NPD in diversen Landtagen sitzt, scheint zum Beispiel inzwischen selbstverständlich geworden zu sein.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Anbrechender Wahlkampf
Eine Extraportion demokratischer Optimismus, bitte!
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund