Und noch ein Hype: Der Burger-Bullshit
Alle essen Burger – und sitzen dabei in Wohnzimmerläden mit Grill. Und wir dachten, Fast-Food-Fleisch sei von gestern. Ist es auch.
Super Fleisch. Super Tierhaltung. Super hip. Super cooler Laden. Super Burger. Supereasy. Super Leute. Supertasty, supercrazy, supersexy, supergeil. Dies könnte der neue Songtext für all die Burgerläden sein, die in den vergangenen zehn Jahren wie die Pilze aus dem Erdboden geschossen sind. Die neue Lust auf das Fleisch ist omnipräsent – man findet sie in den urbanen Zentren ebenso wie in der Provinz. Deutschland isst wieder Burger. Aber warum?
S-Bahn Station Schönhauser Allee in Prenzlauer Berg, Berlin. Rechts ein Burger King, links ein McDonald’s und gleich daneben eine kleine Burgermanufaktur. Der Chef des Yellow-Burgerladens ist ein ehemaliger Clubbesitzer, der jetzt auf Burger macht. Abbröckelnder Stuck an der Decke, alte Holzstühle, gelbe Sitzbänke, Elektrojazz aus dem Radio, perlenbesetzter Kronleuchter, unverputzte Ziegelwand, coole Wohnzimmeratmosphäre mit Grill. Zum Essen gibt es einen „Etagenburger“ mit Manchego-Käse, Neuland-Fleisch, gebratenen Pilzen und gegrillten Auberginen. Und das alles für läppische 6,90 Euro. Serviert wird der Burger auf einer flachen schwarzen Marmorplatte. Das Publikum: urban, familiär, aufgeklärt, lässig, alternativ.
Der redesignte Burger ist in der Mitte des Bildungsbürgertums angekommen. Gäste, die vor ein paar Jahren noch beim Anblick von Fast-Food-Fleischessern ihre Nase gerümpft hätten, beißen jetzt herzhaft in den hausgemachten Burger hinein. In der Yellow-Burgermanufaktur sitzen nun die guten Fleischesser, und gleich dort drüben, bei McDonald’s, verzehren die unteren sozialen Schichten ihren Big Mac. Man distinguiert sich durch die feinen Unterschiede im Geschmack. Der Burger hat sich neu erfunden, der Burger ist jetzt supersexy.
Die neuen Burgerien tragen coole Namen – sie heißen: Burgeramt, The Bird, White Trash, Fast Food, Schillerburger, Zsa Zsa World oder To Beef Or Not To Beef. Sie sind klein, unabhängig, lässig. Alles ist homemade, die Soßen, die Pommes. Der Look ist retro. Die Musik Elektro. Das Beef natürlich „natural“. Die Form bestimmt den Inhalt.
Kann die EU ein Zuhause sein? Ja, finden Silvia Koch-Mehrin und Ursula von der Leyen. Für wen Brüssel ein Sehnsuchtsort ist und wie junge Griechen in einer verslumten Gasse ihre Zuversicht wiederfinden, lesen Sie in der taz.am wochenende vom 12./13. April 2014. Außerdem: Die letzte Fotoreportage von Anja Niedringhaus. Sie wurde bei ihrer Arbeit in Afghanistan erschossen. Und: Warum viele Palästinenser bei einem Filmprojekt über Jerusalem nicht mitmachen. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.
Der postmoderne Neoburger
Ein Burger ist ein Burger ist ein Burger. Falsch. Anstatt mit Rindfleisch kann man ihn wahlweise auch mit Lammfilet, Entenbrust oder Serrano-Schinken bekommen. Garniert wird er mit Schweizer Raclettekäse, rotem Currydip oder mit Feigen, Ziegenkäse und Thymianhonig. Der Burger ist ein kleines Meisterwerk, eine avantgardistische Kreation, die man je nach Belieben auch individuell zusammenstellen kann. Der postmoderne Neoburger entspricht unserem Wunsch nach Individualisierung und Exklusivität.
Der neue Burger ist öko, bio, artgerecht. Das Fleisch kommt von glücklichen Kühen aus der Region. Fleisch essen verträgt sich so wieder mit einem ökologischen Bewusstsein.
Die neue Lässigkeit. Ich darf mit den Fingern essen, ohne mich zu blamieren. Das Abenteuer der Jagd, die Kraft des Fleisches, das Zitat einer unverfälschten, kraftvollen, vormodernen und archaischen Lebensweise, ganz ohne Risiko und ganz ohne Blut.
Der Kampf David gegen Goliath. McDonald’s ist das Böse: billiges Fleisch aus Massentierhaltung, Umweltzerstörung, Ausbeutung der Mitarbeiter, globale Konfektionsware, fett machender American Way of Life, Junk Food. Als Alternative dazu die Europäisierung des Burgers durch Neuland-Fleisch, coolen hippen Mitarbeitern im Underground-Look, exklusiven Slow-Food-Kreationen, improvisierter Inneneinrichtung und sympathischen Kleinunternehmern. Man steht auf der Seite des Guten, Schönen und Gerechten.
Das Exklusive ist Mode geworden
Bullshit. Der neue Burger ist eine Lüge, ein Mythos – er entspricht dem Zeitgeist der neuen Bürgerlichkeit. Der neue Burger ist – ebenso wie die H-Milch oder der Wackelpudding von Edeka, alles andere als supersexy, supercrazy oder supergeil.
Die Exklusivitätslüge. Der neue Burger ist nahezu ebenso standardisiert wie der „Royal TS“ von McDonald’s. Das Wesen des neuen Burgers ist, dass er mit anderen Zutaten serviert wird. Aber wenn alle ihren Burger mit Serrano-Schinken, Manchego-Käse oder Thymianhonig essen, wird das Außergewöhnliche zum Herkömmlichen. Das Exklusive ist Mode geworden, die Mode hat sich das Exklusive einverleibt.
Die Individualitätslüge. Geschmack, so Pierre Bourdieus zentrale Aussage, ist nie etwas Individuelles und schon gar kein persönliches Verdienst, sondern muss immer als etwas Gesellschaftliches gesehen werden. Die Gäste in den neuen Burgerläden definieren sich über ihr gleiches Anderssein. Sie lesen die gleichen anderen Bücher, schauen die gleichen anderen Filme, hören die gleiche andere Musik und essen die gleichen anderen Burger.
Ein totes Tier bleibt ein totes Tier
Die Abenteuerlüge. Ich habe kein Tier erlegt, habe kein Blut gesehen. Das Fleisch ist kein Fleisch: Man hat es für mich portioniert, geformt, gebraten. Die in mich hineinströmende Kraft des Tiers ist ein Phantasma, meine Sehnsucht nach einem archaischen Leben bleibt unerfüllt.
Die Ethiklüge. Das Biosiegel verspricht eine artgerechte Tierhaltung. Das Rind lebt dennoch auf engstem Raum, wird gemästet, transportiert, getötet und geschlachtet. Ein totes Tier bleibt ein totes Tier.
Die Avantgardelüge. Ein Burger ist leicht herzustellen. Die neuen Zutaten sind ein selbstreferenzielles Spiel mit postmodernen Zitaten. Der neue Burger ist keine Innovation, er ist banal, schlicht und ordinär.
Kurzum: Der neue Burger-Hype verkörpert die Sehnsucht nach Einfachheit, Natur, Heimat, Geborgenheit, Vergangenem. Er ist die Reduktion von Komplexität zwischen zwei Brötchendeckeln.
Tatsächliche Innovationen bleiben aus, setzen sich nicht durch. Schade eigentlich. Man stelle sich doch nur einmal eine bezahlbare und sättigende Molekular-Imbissgastronomie vor. Das wäre wäre doch wirklich einmal eine originelle und geistreiche Neuerfindung der hiesigen Geschmackskultur.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Eine Chauffeurin erzählt
„Du überholst mich nicht“
Misogynes Brauchtum Klaasohm
Frauenschlagen auf Borkum soll enden
SPD im Vorwahlkampf
Warten auf Herrn Merz