: Und es bewegt sich doch was
KONSEQUENZEN Nach dem Scheitern der Verfassungsreform und dem Rücktritt Renzis kommt womöglich eine Übergangsregierung für Italien. Ziel: erst Wahlgesetz, dann Neuwahlen. Und dann gibt es ja noch Berlusconi
AUS ROM Michael Braun
„Es muss sich alles ändern, damit alles so bleibt, wie es ist.“ Diesen Satz aus dem Roman „Der Leopard“ könnte man heute in Italien auf den Kopf stellen: „Es muss alles so bleiben, wie es ist, damit sich alles ändert.“ Nach dem Referendum vom Sonntag bleibt die alte Verfassung zwar unverändert in Kraft – aber mit ihrer Entscheidung haben die Wähler ein politisches Erdbeben ausgelöst.
Bis zuletzt hatte Premierminister Matteo Renzi gehofft, die Demoskopen würden – genauso wie beim Brexit oder bei Donald Trumps Wahlsieg – ein Debakel erleben. Doch diesmal lagen die Meinungsforscher, die ihm seit sechs Monaten konstant die Niederlage voraussagten, völlig richtig. Vertan hatten sie sich in ihren Prognosen bestenfalls zu Renzis Gunsten. Dessen Niederlage fiel weit vernichtender aus als erwartet.
Renzi selbst hatte sein Schicksal an den Ausgang der Volksabstimmung geknüpft. Er hat hoch gepokert, wie es seinem Naturell entspricht, und hoch verloren. Schon in der Wahlnacht zog er die Konsequenzen und kündigte seinen Rücktritt an. Noch am Montagabend wollte er sich zu Staatspräsident Sergio Mattarella begeben und seine Demission einreichen.
Aber wer regiert, wenn Renzi nicht mehr will?
Mattarella könnte das Rücktrittsgesuch ablehnen und Renzi zu einer Vertrauensabstimmung vors Parlament schicken. An Renzis Mehrheit unter den Abgeordneten und Senatoren hat sich ja nichts verändert, weder aus seiner eigenen Partito Democratico (PD) noch von den kleinen Koalitionspartnern der Mitte wurde der Ruf nach Rücktritt laut.
Aber das wird der Präsident wohl nicht tun. Mit 60 Prozent Ablehnung fiel die Ohrfeige für Renzi einfach zu schallend aus. Andererseits sind sofortige Neuwahlen unwahrscheinlich, selbst wenn die rechtspopulistisch-fremdenfeindliche Lega Nord genauso wie Beppe Grillos Movimento5Stelle (M5S – 5-Sterne-Bewegung) dies jetzt lauthals fordern. Grund: Neuwahlen zum jetzigen Zeitpunkt bergen die große Gefahr, das Land unregierbar zu machen.
Italien hat ja weiterhin zwei gleichberechtigte Kammern des Parlaments, das Abgeordnetenhaus und den Senat. Parallel zur Verfassungsreform hatte die Regierung Renzi auch eine Wahlrechtsreform durchgeboxt – allerdings nur für das Abgeordnetenhaus, nicht für den Senat. Die Mitglieder des Senats sollten künftig laut Verfassungsreform von den Regionen entsandt werden.
Deshalb wäre bei Neuwahlen im Abgeordnetenhaus zwar eine klare, regierungsfähige Mehrheit garantiert, soll doch die stärkste Partei automatisch 340 der 630 Sitze erhalten. Der Senat hingegen würde nach reinem Proporz gewählt. Keiner der drei etwa gleich großen politischen Blöcke – der PD, der Rechten mit Silvio Berlusconis Forza Italia und der Lega Nord, schließlich der „Fünf Sterne“ – hätte die realistische Chance, dort eine Mehrheit zu erobern.
Präsident Mattarella dürfte daher nach Beratung mit allen Parteien einen Politiker aus der Renzi-Koalition auffordern, eine Übergangsregierung zu bilden.
Frauen oder Männer? Egal! Bei beiden Geschlechtern konnte Matteo Renzi nur 40 % auf sich vereinigen.
Schulbildung? Egal! Quer durch alle Bildungsschichten stimmten die WählerInnen ähnlich ab.
Regionen? Nicht egal! Der Norden stimmte mit etwa 55 % gegen die Reform. Nur in Südtirol sowie den beiden traditionell linken Hochburgen Toskana und Emilia-Romagna hatte Renzi die Nase vorn. Mit Werten von 65 % bis zu über 72 % wurde er dagegen in den Regionen des abgehängten Südens abgestraft.
Alt oder jung? Nicht egal! Auf 51 % kam das Ja zur Verfassungsreform nur bei den über 55-Jährigen. Bei den 35- bis 54-Jährigen klettert das Nein auf 63 %, bei den Wählern unter 35 Jahren gar auf 68 %.
Und in der eigenen Partei? Ach! Auch unter den AnhängerInnen seiner Partito Democratico musste der Regierungschef 23 % Neinstimmen hinnehmen. (mb)
Mögliche Kandidaten: Dazu zählen vorneweg der bisherige Schatzminister Pier Carlo Padoan und der Senatspräsident Petro Grasso. Beide waren ursprünglich keine Berufspolitiker. Padoan machte als Ökonom unter anderem beim Internationalen Währungsfonds und der Organisation der einflussreichsten Industrieländer, OECD, Karriere. Renzi berief ihn dann im Februar 2014 ins Kabinett. Grasso wiederum war Chef der nationalen Anti-Mafia-Staatsanwaltschaft, ehe er 2013 in den Senat einzog.
Erste Aufgabe dieser Übergangsregierung wäre es, den Staatshaushalt 2017 durchs Parlament zu bringen. Zudem müsste sie das Wahlrecht für beide Häuser des Parlaments reformieren. Um die Vertrauensabstimmung zu gewinnen, hätte sie schon eine Mehrheit zusammen mit den bisherigen Koalitionspartnern, Renzis PD und dem NCD (Nuovo Centro-Destra – „Neues Mitte-Rechts-Lager) des bisherigen Innenministers Angelino Alfano. Offen ist allerdings, ob diese Partner sich auf eine Reform des Wahlrechts einigen können. Und hier kommt jemand ins Spiel, der politisch immer wieder totgesagt wurde, der aber in der Referendumskampagne seine Wiederauferstehung erlebte: Silvio Berlusconi.
Der Expremier hatte für das Nein getrommelt, zugleich aber seine TV-Holding Mediaset als insgesamt Renzi-freundliche Propagandamaschine wirken lassen. Nun könnte er mit seiner Forza Italia die nötigen Mehrheiten für ein neues Wahlrecht garantieren. Dagegen machte Grillos 5-Sterne-Bewegung deutlich, dass sie für parlamentarische Kompromisse nicht zur Verfügung steht.
Nach der Verabschiedung des neuen Wahlgesetzes könnte es dann im Mai oder Juni 2017 zu Neuwahlen kommen.Meinung + Diskussion
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