Unbezahlte Akademiker: Der beherzte Philosoph
Professoren, die unentgeltlich arbeiten – so was gibt's nicht? Doch. Es ist Alltag an deutschen Universitäten. Einer hat nun geklagt.
Und genau darum geht es: um die Titellehre. Um ein universitäres System, das an alten Gepflogenheiten festhält und sich zugleich massiven ökonomischen Zwängen unterworfen sieht. Günter Fröhlich hat das Land Bayern verklagt, weil er mindestens zwei Semesterwochenstunden im Jahr unterrichten muss, wenn er seine Lehrberechtigung behalten will. Unentgeltlich. Das findet er im Zeitalter des Mindestlohns erstens „unsittlich“ und zweitens „unzeitgemäß“.
Im braunen Parka steht Günter Fröhlich an der „Steinernen Brücke“, die einst die einzige Verbindung über die Donau zwischen Wien und Ulm war. Teile der alten Steinquader sind eingerüstet. In der zum Unesco-Welterbe zählenden Altstadt gibt es immer etwas auszubessern. Es pfeift ein eisiger Wind, und obwohl erst früher Nachmittag, hat die Wintersonne ihr gleißendes Licht bereits fahl werden lassen.
Günter Fröhlich mag Regensburg. „Ein Traum von einer Stadt“, sagt der 47-Jährige, der kenntnisreich durch die Stadt führt. Kapellen und Kirchen, „Judensau“ und Eselsturm, Domschatz und die vielen Renaissance- und Fachwerkhäuser, keines gleicht dem anderen. Regensburg war eine römische Handelsniederlassung, katholisch geprägt; nur die Universität ist jung, 1962 gegründet. Hier hat sich Fröhlich 2005 mit einer Arbeit über „Die Einheitlichkeit der ethischen Begründungen bei Immanuel Kant, Max Scheler und Edmund Husserl“ habilitiert. Seither durfte er sich Privatdozent nennen, ein Titel für habilitierte Wissenschaftler ohne Lehrstuhl.
Popularklage eingereicht
Eine typische Universitätskarriere: Fröhlich war wissenschaftliche Hilfskraft, Mitarbeiter, Assistent, Gastprofessor an der Universität Ulm, wo er heute noch einen Lehrauftrag hat. Doch dass er dort unterrichtet, zählt nicht für die Titellehre: Laut Bayerischem Hochschulpersonalgesetz sind Privatdozenten oder „apl. Prof.“ dazu angehalten, mindestens einen Kurs von zwei Wochenstunden im Jahr zu geben, und zwar an der Universität, an der sie sich habilitiert haben. Sonst verliert der Betreffende seine Lehrberechtigung, und dann hätte Fröhlich gar nicht außerplanmäßiger Professor werden können. Und vergäbe jede Chance, später einmal ordentlicher Professor mit einem ordentlichen Gehalt zu werden. Mit 47 kein unbescheidener Wunsch.
Günter Fröhlich hat im Dezember 2014 beim Bayerischen Verfassungsgerichtshof (BVGH) Popularklage eingereicht – dort kann jeder klagen, der sich in einem durch die Landesverfassung gewährten Grundrecht verletzt sieht. „Ein Entscheidungstermin steht noch nicht fest“, heißt es beim BVGH. Ob es zu einer Verhandlung kommt oder das Urteil schriftlich erfolgt, ist ebenfalls offen. Fröhlich hofft auf eine Anhörung. „Ich will mir doch die Show nicht stehlen lassen“, sagt er und lacht. „Ich höre mich schließlich gerne reden.“
Weil er gern auch mit Leuten redet, arbeitet er an zwei Tagen in der Woche im Café Drei Mohren, unweit seiner Wohnung. Günter Fröhlich ist eine auffällige Erscheinung. Die dunklen, lockigen Haare trägt er lang und meist offen, dazu einen kleinen Bart, weißes Hemd, Weste, Uhrkette. Er hat eine Vorliebe für die Renaissance und ihre Philosophen. Das Drei Mohren ist nicht groß, ein Zwischending zwischen Café und Weinbar, mit alten Fliesen und einem stilvollen Tresen, in dessen Auslagen Kuchen und Quiches ruhen. Im Regal liegen Exemplare von Fröhlichs neuem Buch, „Der Affe stammt vom Menschen ab. Philosophische Etüden über unsere Vorurteile“. Wer will, kann es kaufen und mit dem Autor ins Gespräch kommen. „Wie geht’s, Günter?“, fragt ein Stammgast, der neben der Buchauslage sitzt. „Ich schlage mich so durch.“
Eine vornehme Erpressung
Peinlich ist das dem Günter nicht, dass er hier arbeitet. Warum auch? Neben Philosophie hat er Geschichte studiert, mit einem Schwerpunkt auf Verfassungsgeschichte. Der Verfassungsausschuss des Landtags hat sich in seiner Stellungnahme Fröhlichs Argumentation freilich nicht angeschlossen. Dort heißt es: „Rechtlich ist die Titellehre nicht als Pflicht ausgestaltet, sondern als Obliegenheit.“ Eine Art (un)freiwillige Selbstverpflichtung zur Lehre – das Land kann sie nicht einfordern. Es darf aber dem, der ihr nicht nachkommt, das Recht aberkennen, als Privatdozent oder außerplanmäßiger Professor zu unterrichten. „In der Realität ist es damit doch Pflicht“, meint Fröhlich. „Ich halte das für Erpressung.“
Fröhlichs Engagement in eigener Sache begann, als er eines Tages im Drei Mohren dem Regensburger Landtagsabgeordneten Franz Rieger von der CSU seine Situation schilderte. Der versprach, beim Bayerischen Kultusminister vorzusprechen – und fand dort kein Verständnis. „Es besteht für niemanden – nicht einmal mittelbar – ein irgendwie gearteter Druck, Privatdozent zu bleiben“, schrieb Kultusminister Ludwig Spaenle daraufhin an den „lieben Franz“. Die Privatdozentur sei in erster Linie „für Menschen bestimmt, die Freude an der Lehre haben und diese gerne neben ihrem eigentlichen Broterwerb betreiben“. Fröhlich hat Spaß an der Lehre und möchte diese als Broterwerb betreiben. „Da war ich schon sauer“, sagt er – und beschloss zu klagen.
Seine Begründung hat er allein verfasst, sich vorher beraten lassen. Er sieht in der Regelung ein „Berufzugangshindernis“ und damit seine Handlungsfreiheit und den Gleichheitsgrundsatz verletzt. Etwa 200 Privatdozenten gibt es allein an der Uni Regensburg, schätzt Fröhlich. Bundesweit dürften es, sagt Sascha Sven Noack, Justiziar beim Deutschen Hochschulverband, zwischen 5.000 und 7.000 sein, die meisten in den Geisteswissenschaften. „Eine Statistik gibt es nicht.“
Noack ist dankbar dafür, dass Fröhlich vor Gericht zieht. Seit einem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts von 1994 habe sich das niemand mehr getraut. Damals hatten zwei Berliner Privatdozenten geklagt; das Gericht entschied, eine Semesterwochenstunde unentgeltliche Lehre sei zumutbar. Das Urteil von 1994 sei von der Realität „überholt“, meint Noack. Seit der Bologna-Reform wurde das Unterrichtssoll für Privatdozenten überall auf zwei Semesterwochenstunden hochgesetzt, in Baden-Württemberg sogar auf vier.
„Da hört es wirklich auf“
Bei zwei Wochenstunden bleibt es ohnehin nicht, rechnet Günter Fröhlich vor: Vorlesungen vor- und nachbereiten, Hausarbeiten betreuen. Er muss sogar Prüfungen abnehmen. „Da hört es wirklich auf.“ In diesem Sommersemester sei er auf 220 Stunden gekommen, sagt Fröhlich – und er hat nicht mal Anspruch auf ein Büro.
Die GEW Bayern hat eine Solidaritätserklärung herausgegeben. Die Titellehre zementiere „prekäre Beschäftigungsverhältnisse an den Hochschulen“ und betreibe „eine vorsätzliche Dualisierung des wissenschaftlichen Arbeitsmarktes“. Kollegen klopfen Fröhlich zustimmend auf die Schulter, aber niemand auf der Leitungsebene „wagt es einfach mal, einen Privatdozenten zu bezahlen und damit eine Klage zu provozieren“, sagt Fröhlich. Der Regelsatz bei Lehraufträgen beträgt zwischen 30 und 70 Euro, erklärt Sascha Sven Noack vom Hochschulverband in Bonn. Das sei wahrlich nicht viel Geld. „Es geht um die Symbolik.“ Und es geht darum, mit einem akademischen Gewohnheitsrecht zu brechen.
Ist er ein rebellischer Typ? „Nein“, sagt Fröhlich am Abend in seinem Wohnzimmer. „Eine Verfassungsklage hat doch eher etwas Biederes. Mir geht es um die freiheitlichen demokratischen Ideen. Ums Prinzip. Manchmal habe ich halt so heroische Vorstellungen.“ Professor Fröhlich liegt nicht mit dem Unisystem insgesamt über Kreuz. „Die Tätigkeit eines Privatdozenten macht Sinn“, sagt er, „um sich zu qualifizieren.“
Bach und Heavy Metal
Günter Fröhlich, geboren 1969 in Augsburg, protestantisches Elternhaus, kam bereits als Schüler nach Regensburg, ins Musikinternat der Domspatzen. In seiner Wohnstube mit der niedrigen Decke steht ein E-Piano, auf dem er ausschließlich Bachs Goldberg-Variationen übt. „Einen Hang zum Elitären“, bescheinigt er sich selber, aber in der Musikanlage steckt AC/DC. Prominent hängt ein Gemälde an der Wand, das Fröhlichs Freundin Ulrike Angermeier gemalt hat. Es zeigt ihn sitzend, das Kinn auf den Unterarm gestützt, auf den Licht fällt, während der Hintergrund dunkel ist wie bei den holländischen Malern des 16./17. Jahrhunderts. Bei genauerem Hingucken entdeckt man Gewässer, Stätten und Symbole der antiken Philosophie. Fröhlichs Wohnhaus stammt aus dem 16. Jahrhundert, das Aus-der-Zeit-Gefallene passt, der Vorraum, der zum Rauchen herhalten muss, ist mit Büchern vollgestopft.
Es gibt Truthahn, Kartoffeln, Salat. Essen ist wichtig, eine seiner „Etüden“ hat Fröhlich dem Thema gewidmet. Ulrike Angermeier gesellt sich dazu, die Malerin, Rembrandt- und Schiller-Verehrerin. Ästhetisch gebildet sind beide, vergangenen Zeiten zugetan. „Der Austausch mit der Tradition und anderen Wissenschaften ist mir wichtig“, sagt Fröhlich, der – nach der Bundeswehr – zunächst ein Physikstudium begann. „Ich bin zu breit interessiert“, sinniert er. „Das ist mein Lebensfehler: dass ich nicht spezialisiert genug bin.“
Fröhlich sieht sich als „praktischer Philosoph“, er hat im Bereich der Medizinethik an der Uniklinik Regensburg gearbeitet, eine Mediationsausbildung absolviert. Acht bis fünfzehn Bewerbungen pro Jahr schickt er raus, schätzt Fröhlich – bei 52 liegt die Altersgrenze für eine Verbeamtung in Bayern. „Das ist politisch alles so gewollt“, sagt er, und seine Stimme wird zum ersten Mal erregter.
Doch selbst wenn der Bayerische Verfassungsgerichtshof zu seinen Gunsten entscheidet, tritt damit nicht eine Neuregelung in Kraft. Die muss Bayern dann ausarbeiten.
Am Anfang stand für den Philosophen der Wunsch, sich gegen eine Ungerechtigkeit zu wehren. „Die Missstände ziehen sich ja durch den ganzen Universitätsbetrieb.“ Je länger die Entscheidung über die Klage dauert, desto wichtiger wird Fröhlich, das Thema öffentlich zu machen. Öffentlichkeit bekommt er. Die erste Auflage seines Buchs ist ausverkauft.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Sport in Zeiten des Nahost-Kriegs
Die unheimliche Reise eines Basketballklubs