Umweltskandal in Italien: Mit Applaus von links
Das ILVA-Stahlwerk verseuchte die italienische Stadt Tarent. Der linke Präsidenten von Apulien bejubelte den Manager des Werks trotzdem.
ROM taz |„Das war ein wunderbarer, katzengleicher Sprung, einfach phantastisch!“ Am Telefon kann Nichi Vendola, Präsident der Region Apulien, nicht an sich halten, er muss sein Kompliment an den ILVA-Manager Girolamo Archinà loswerden.
Allzu amüsant war die Szene, die der linke Hoffnungsträger Vendola auf Youtube gesehen hatte: Auf einer Pressekonferenz entreißt Archinà einfach einem kritischen Journalisten das Mikrophon, als dieser Fragen zur Häufung von Tumorfällen rund um das ILVA-Stahlwerk in Tarent stellen will. Doch statt sich über das Abwürgen unbequemer Fragen zu beschweren, gluckst Vendola ins Telefon: „Eine Viertelstunde lang haben wir gelacht!“
In Italien steht der ILVA-Konzern für den größten Umweltskandal der letzten Jahre. Mit einem weit überhöhten Ausstoß von Dioxin, Feinstäuben, Benzo(a)piren und allerlei anderen Giften verseuchte das ILVA-Werk – mit 11.000 Beschäftigten das größte Italiens – systematisch die Stadt Tarent, mittlerweile sitzen drei Mitglieder der Eigentümerfamilie Riva und diverse Manager wegen Umweltverbrechen in U-Haft.
Wie brisant die Situation war, zeichnete sich schon vor drei Jahren ab, als Vendola sein überaus freundschaftliches Telefongespräch mit Archinà hatte – ein Gespräch, das jetzt im O-Ton auf die Website der italienischen Tageszeitung Il Fatto Quotidiano gestellt wurde.
Jetzt sitzt er in Hausarrest
Vor allem die Umweltbehörde der Region Apulien machte Druck, veröffentlichte Gutachten, aus denen die dramatische Überschreitung der Grenzwerte für Schadstoffe durch ILVA deutlich wurde.
Doch ILVA hielt dagegen; ihr Mann fürs Grobe war Girolamo Archinà, „Beauftragter für institutionelle Beziehungen“, der die Kontakte in die Politik, zu den Medien und den Gewerkschaften pflegte. Jetzt sitzt er in Hausarrest, unter anderem soll er einen Gutachter in einem Gerichtsverfahren gegen ILVA bestochen haben. Archinà nahm in der Regel kein Blatt vor den Mund, äußerte zum Beispiel, der Chef der Umweltbehörde müsse „vernichtet werden“.
Zu Vendola dagegen hatte Archinà einen weit freundlicheren Kontakt – einen Kontakt, der jetzt den Präsidenten Apuliens in Erklärungsnöte bringen könnte. Schließlich ist der Präsident der Region Apulien zugleich Chef der stramm linken Partei Sinistra Ecologia Libertà (SEL – „Linke, Ökologie, Freiheit“). Im Jahr 2010 war es Vendola, der aus eigener Initiative Archinà anrief, um dem zu seinem ruppigen Auftritt auf der Pressekonferenz zu gratulieren; schließlich hatte der dumm und kritisch fragende Journalist, so Vendola, „das Gesicht eines Provokateurs“.
Vendola dagegen präsentiert sich als das glatte Gegenteil, er lässt dem ILVA-Boss Emilio Riva ausrichten, „dass der Präsident (sprich Vendola selbst, die Red.) sich keineswegs abgewandt hat“: „Seid beruhigt, ich habe die Sache nicht vergessen!“, schließlich „ist ILVA eine produktive Realität, auf die wir nicht verzichten können“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Umgang mit nervigen Bannern
Bundesrat billigt neue Regeln für Cookies