Umweltschutz und Wintersport: Wer braucht schon eine Bobbahn!
Die Olympischen Spiele 2026 finden in Cortina d’Ampezzo statt. Nicht einmal das IOC will, dass eine neue Kunsteisbahn entsteht.
Rennrodeln ist eine Sportart, bei der Menschen mit 130 Kilometern pro Stunde auf Schlitten einen Eiskanal hinunterrasen, und am Ende gewinnen immer die Deutschen. So war es bei den Olympischen Spielen 2022 in Peking, bei denen alle vier Rodelwettbewerbe von Deutschen gewonnen wurden. Und so ist es meistens, wenn ein stinknormaler Weltcup-Wettbewerb stattfindet. Auch wenn bisweilen sogenannte Exoten wie die Irin Elsa Desmond in Peking oder der sechsmalige Olympiateilnehmer Shiva Keshavan aus Indien bei den Spielen dabei sind, wird wohl kaum jemand auf die Idee kommen, das Rennrodeln auf Kunsteisbahnen als Weltsport zu bezeichnen.
Beim Bobsport ist das nicht viel anders, auch wenn da nicht immer die Deutschen gewinnen. Sich bäuchlings den Eiskanal herunterzustürzen, wie es die Skeletonis tun, darf man getrost als abseitiges Wintersportphänomen bezeichnen, auch wenn es da schon mal olympische Goldmedaillen für Südkorea und Großbritannien gegeben hat. Und so ist es kein Wunder, dass es die Kunsteisbahnen sind, die im Zentrum der Diskussionen um die Sinnhaftigkeit von Wintersport in Zeiten des Klimawandels stehen.
Wie Mahnmale der Umweltzerstörung schlängeln sich neu gebaute Bahnen durch die Berglandschaften der Olympiaorte, an denen sie errichtet werden. Vor zwei Jahren rieben sich auch die Sportlerinnen und Sportler die Augen, als sie zum ersten Mal das Yanqing National Sliding Centre in den Bergen vor Peking zu Gesicht bekommen hatten. Für geschätzte 500 Millionen Euro hatten die chinesischen Gastgeber einen Eiskanal gebaut, der mit edelstem Holz von Start bis zum Ziel überdacht worden war. Als „geisteskrank“ hat das der deutsche Bobpilot Johannes Lochner in einer ARD-Doku zu den Spielen bezeichnet.
Im IOC, dem Internationalen Olympischen Komitee, freute man sich über alle Neubauten für die Spiele in der Volksrepublik. IOC-Präsident Thomas Bach schwärmte von den Hinterlassenschaften der Wettbewerbe, die dafür gesorgt hätten, dass 300 Millionen Menschen in China fortan Wintersport betreiben. In der Diktion der führenden Sportverbände geht es im Zusammenhang mit den immer gigantischer ausgestalteten Großveranstaltungen immer um das Erbe, um die legacy, wie es im internationalen Sportfunktionärsenglisch heißt. So wie man behauptet hat, dass mit der Wahnsinns-WM der Fußballer in Katar der Sport im Nahen Osten auf eine neue Entwicklungsstufe gehievt wurde, sollte sich China mit der Kunsteisbahn von Yanqing zu einem neuen internationalen Zentrum des schnellen Kufensports mausern.
Geklappt hat das bis jetzt nicht wirklich gut. Ein großer Teil der besten Bobsportnationen scheute zu Beginn dieses Winters die Kosten für den Transport der Schlitten nach Yanqing, und so wurde der Ende November geplante Weltcup-Auftakt der Frauen abgesagt – zu wenige Teams hatten gemeldet. Das Männerrennen im Zweierbob konnte immerhin stattfinden. Gerade einmal elf Schlitten waren beim Sieg von Johannes Lochner mit Anschieber Georg Fleischhauer am Start. Als großes Erbe wird man das nicht bezeichnen können.
Pyeongchang und Turin: trauriges Erbe
Immerhin hat es nach den Spielen noch einen Bobweltcup auf der Bahn gegeben. In Pyeongchang, dem Olympiaort von 2018, war das nicht der Fall. Die Weltbesten haben sich den weiten Weg nach Korea gespart. Und wer weiß, wie es um die Anlage bestellt wäre, hätte Südkorea mit der Stadt Gangwon nicht den Zuschlag für die Ausrichtung der Olympischen Jugendspiele erhalten, die am Freitag eröffnet worden sind. Die besten jugendlichen Rodler und Bobpilotinnen sind da aktuell unterwegs und das Gastgeberland hofft, dass sich mit den Spielen ein paar junge Leute für das Rennrodeln begeistern können, nachdem die einzigen zwei Rodlerinnen aus Südkorea, die es bis zur Weltcup-Reife gebracht haben, ihre Karriere gerade beendet haben. Es geht, na klar, ums Erbe.
Wie traurig eine olympische Hinterlassenschaft sein kann, ist westlich von Turin in Cesana zu beobachten. Dort fanden die Rodel-, Skeleton- und Bobwettbewerbe der Turiner Winterspiele von 2006 statt. Viel ist von der Bahn nicht geblieben. Ein graues Band aus brüchigem Beton, das von Pflanzen überwuchert wird, schlängelt sich heute ins Tal. 2011 wurde die Anlage stillgelegt, und beinahe hatte man sie schon vergessen.
Doch Ende des vergangenen Jahres war die Bahn, deren Bilder lägst einsortiert waren in die Fotoserien mit neuzeitlichen Olympiaruinen, plötzlich wieder Thema. Von einem möglichen Wiederaufbau war da die Rede. Die Ausrichter der Olympischen Winterspiele 2026 hatten mitgeteilt, dass es wohl nichts wird mit der Renovierung der ebenfalls zur Ruine verkommen Olympiabahn von 1956 in Cortina d’Ampezzo, dem Gastgeberort der Spiele. Es hatte sich kein Unternehmen gefunden für die Realisierung des 150 Millionen Euro teuren Projekts, für das zudem ein enger Zeitplan vorgegeben war.
Örtliche Umweltverbände jubelten. Die Vernunft habe gesiegt, meinte der Alpenverein Südtirol, die Aktivistinnen von der NGO Mountain Wilderness sowie der Dachverband für Natur- und Umweltschutz in Italien in einer gemeinsamen Mitteilung. Ein paar Tage vor der Entscheidung zum Baustopp hatten sie eine Kundgebung in Cortina organisiert und auf die Schäden für die Bergwelt, den Energieverbrauch und die Kosten für den Betrieb der Bahn auch nach den Olympischen Spielen hingewiesen.
Alternativen: Königssee oder Innsbruck
Eine Lösung bahnte sich an. Die Wettbewerbe könnten auch im Ausland stattfinden, auf Bahnen, die im Betrieb sind, ließ das IOC wissen. In Tirol machte man sich schon Hoffnungen, es werde auf die Bahn von Innsbruck/Igls ausgewichen. Und auch am bayerischen Königssee wurden olympische Träume gesponnen. Dabei gibt es dort gerade gar keine funktionierende Bahn. Nach einem Erdrutsch in Folge von Starkregen und Hochwasser wurde der obere Teil der traditionsreichen Kunsteisbahn zerstört. Ende November beschloss der Kreistag des Berchtesgadener Landes, die Bahn wiederherzustellen. 60 Millionen Euro Steuergelder sollen es kosten, damit Deutschland bald wieder vier Kunsteisbahnen betreiben kann, so viele wie keine andere Wintersportnation.
Als eine solche sieht sich auch Italien, wo mehrere nationalistische Parteien um die Stimmen von Wähler und Wählerinnen buhlen. Für die kommt es nicht infrage, einen Teil der Spiele im Ausland austragen zu lassen. Und obwohl das IOC inzwischen selbst keine Perspektive für eine Kunsteisbahn in Cortina d’Ampezzo sah, zudem auch einen Wiederaufbau der Anklage von Cesana kritisch sieht, weil es dort ja mit dem olympischen Erbe nicht wirklich gut geklappt hat, soll nun eine Bob- und Rodelbahn in Italien errichtet werden – als nationale Aufgabe.
Matteo Salvini, Chef der nationalistischen Lega und Infrastrukturminister in Italiens rechter Regierung, hat Anfang Dezember den Plan für eine Bobbahn light entwickelt. 82 Millionen Euro soll nun der Wiederaufbau der Bahn von Cortina nur noch kosten. Eine Ausschreibung für das abgespeckte Projekt lief bis Donnerstag. Und in der Tat hat sich jemand gefunden, der das Projekt noch rechtzeitig bis zu den Spielen fertigstellen will. In 625 Tagen soll die Bahn stehen. Das Angebot wird nun geprüft – nicht nur in Italien, sondern auch im IOC, das Ende Januar endgültig entscheidet, wo gerodelt wird bei den Olympischen Spielen 2026.
Salvini geht davon aus, dass sich das IOC am Ende für sein italienisches Projekt aussprechen wird. Er will Steuergelder dafür aber auch dann einsetzen, wenn sich das IOC gegen olympische Rodel, Skeleton- und Bobwettbewerbe in Cortina d’Ampezzo entscheiden sollte. Umweltfragen treiben ihn sowieso nicht um. Der Lärchenwald, der der Anlage zum Opfer fallen würde, schert ihn wenig. Eher ist es die Konkurrenz seiner Lega zu einer anderen Regierungspartei, die ihn antreibt. Es war schließlich der Chef der Partei Forza Italia, der italienische Außenminister Antonio Tajani, der sich für den Wiederaufbau von Cesana starkgemacht hatte. Für die von der Lega regierte Region Venetien, zu der Cortina d’Ampezzo gehört, wäre das eine schwer hinzunehmende Pleite gewesen.
Und so kann es gut sein, dass schon bald die Bauarbeiten für eine Kunsteisbahn beginnen, die nicht mal das sonst so auf prestigeträchtige Neubauten versessene IOC für notwendig hält. Sie würde als nationales Prestigeprojekt entstehen. Auch wenn sie gewiss nicht so viel kosten wird, drängt sich die Analogie zur irrwitzigen Olympiabahn von 2022 in Yanqing auf. Für Naturschutz ist bei solchen Projekten kein Platz – ebenso wenig wie für Gedanken über die Sinnhaftigkeit von Sportarten, die nur in ein paar Ländern ernsthaft betrieben werden. Im Rennrodeln etwa haben bis heute überhaupt nur Sportler und Sportlerinnen aus 7 Nationen Medaillen gewonnen. Meistens haben Deutsche abgeräumt. Von den 52 Goldmedaillen, die bei Olympischen Spielen seit 1964 im Rennrodeln vergeben wurden, sind 38 nach Deutschland gegangen. Dafür sind schon viele Schneisen durch Bergwälder geschlagen worden. Ein trauriges Erbe.
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