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Umweltminister auf der KlimakonferenzCarsten Schneiders riskante Wette

Umweltminister Schneider ist zu seinem ersten Klimagipfel angereist. Er hat sich eine schwere Aufgabe gesucht: Klimaschutz global gerecht zu machen.

Klimasoziale Rhetorik: Umweltminister Schneider besucht ein von Deutschland unterstütztes Projekt in Belém Foto: Larissa Schwedes/picture alliance
Jonas Waack

Aus Belém

Jonas Waack

Für seine erste Klimakonferenz hat sich Carsten Schneider einen harten Brocken ausgesucht: Er leitet das EU-Verhandlungsteam zur „Just Transition“, dem gerechten Wandel von der klimaschädlichen zur nachhaltigen Welt. Es passt zu seinem Vorhaben, Klimaschutz sozial gerecht zu machen. Aber Schneider geht damit eine riskante Wette auf seinen eigenen Erfolg ein.

Wie viele andere Begriffe der Klimadiplomatie ist der gerechte Wandel unscharf: Es geht nicht nur darum, wie Arbeiter*innen, die noch in fossilen Branchen arbeiten, auch in Zukunft Geld verdienen können. Sondern weil bei UN-Klimakonferenzen alle gemeinsam entscheiden, auch Öl- und Gas-Länder, muss sogar ausgehandelt werden, dass es bei diesem „Wandel“ um den Wandel weg von den Fossilen und hin zu einer klimaneutralen Wirtschaft geht.

Gelingt ein Deal, hat Schneider nicht nur ernsthaften Fortschritt im internationalen Klimaschutz errungen, sondern auch die klimasoziale Rhetorik seiner bisherigen Amtszeit mit Taten unterlegt. Aber kommen die Verhandlungen zu keinem Ergebnis, verlieren Schneider, Deutschland und die EU noch mehr internationales Vertrauen als ohnehin schon. Und Schneider selbst wird zum Serienverlierer der Bundesregierung.

Den einzigen öffentlichen Kampf hat er verloren

Denn Schneider hat bisher vorsichtig operiert, sich selten aus der Deckung gewagt, obwohl seine Kollegin Wirtschaftsministerin Katherina Reiche und sein Chef Kanzler Friedrich Merz (beide CDU) über den Sommer mehrfach öffentlich die Sinnhaftigkeit ambitionierten Klimaschutzes in Deutschland bezweifelten und Reiche an verschiedenen Stellen die Dekarbonisierung ausbremsen will.

60 Millionen für Klimaanpassung im Globalen Süden

Bundesumweltminister Carsten Schneider (SPD) hat bei der UN-Klimakonferenz in Belém (COP30) am Montag weitere 60 Millionen Euro für die Anpassung von Entwicklungsländern an den Klimawandel zugesagt. „Wir werden weiterhin insbesondere verletzliche Länder unterstützen“, sagte Schneider am Montag in seiner auf Englisch gehaltenen Rede vor dem Konferenzplenum der COP30. Die Zahlungen an den sogenannten Anpassungsfonds würden unter anderem genutzt, um Menschen in Küstengebieten besser vor Extremwetterereignissen wie Wirbelstürmen zu schützen.

Die Umwelt- und Entwicklungsorganisation Germanwatch forderte die Bundesregierung auf, auch unter anderen Staaten für mehr Zahlungsbereitschaft zu werben. Für 2025 seien bislang nur knapp 133 Millionen Dollar an internationalen Geldern für den Anpassungsfonds zusammengekommen, „nicht einmal die Hälfte der anvisieren Mindestsumme von 300 Millionen Dollar für 2025“.

Die 60 Millionen zahlen auf Deutschlands Versprechen ein, jährlich 6 Milliarden Euro an Haushaltsmitteln in die internationale Klimafinanzierung zu stecken, also in Klimaschutz und -anpassung in armen Ländern. Der Oxfam-Klimaexperte Jan Kowalzig erklärte, Schneiders Zusage für den Anpassungsfonds komme „zur rechten Zeit“. Damit setze Deutschland auch die anderen Industriestaaten unter Zugzwang. Zugleich kritisierte Kowalzig die geplanten Kürzungen bei der Entwicklungshilfe. Was das Versprechen der jährlichen 6 Milliarden Euro angehe, drohe für 2025 und die Folgejahre „der Wortbruch“. (afp/taz)

Den einzigen Kampf, den er öffentlich geführt hat, hat er verloren: Im September sollten die EU-Umweltminister*innen ein europäisches Klimaziel für 2040 vereinbaren, aber der französische Präsident Emmanuel Macron wollte zunächst unter den Re­gie­rungs­che­f*in­nen darüber sprechen.

Schneider forderte öffentlich, die Entscheidung rasch unter den Mi­nis­te­r*in­nen zu treffen. Merz setzte sich über ihn hinweg, das Klimaziel verzögerte sich um zwei weitere Monate. Das EU-weite Verbot der Neuzulassung von Verbrennern 2035, hinter das Schneider sich ebenfalls prominent gestellt hat, wackelt gefährlich. Auch hier will Merz Klimaschutzmaßnahmen schwächen.

Jetzt also sein Klimagipfel-Debüt im brasilianischen Belém. „Ich werbe dafür, dass sozialer Klimaschutz hier eine zentrale Rolle spielt“, sagte er am Montagmorgen. „Wir haben die nötigen technischen Lösungen und die Ökonomie auf unserer Seite. Die große Herausforderung ist es, die Übergänge sozial zu gestalten und nicht einfach geschehen zu lassen.“ Das beschleunige den Klimaschutz, weil es für Akzeptanz sorgt.

Schneider setzt dafür auf drei Säulen: Ar­bei­te­r*in­nen bräuchten Aus- und Weiterbildungen für die neuen Jobs. Gewerkschaften, Arbeitgeber und Kommunen sollen beteiligt werden. Und er will eine „aktive Strukturpolitik“, die früh beginnt, Infrastruktur aufbaut und neue Unternehmen ansiedelt. Als Vorbild nennt er die neue Universität und das ICE-Ausbesserungswerk in Cottbus, die im Rahmen des Lausitzer Kohleausstiegs Perspektiven sichern sollen.

Schneider hat zwei große Aufgaben vor sich

Die Gewerkschaften hat Schneider schon auf seiner Seite. „Sie haben alles gesagt, was wir für die Ar­bei­te­r*in­nen und die Bevölkerungen fordern“, sagte ihm Eric Manzi, Vize-Generalsekretär der Internationalen Gewerkschaftsbundes. Und auch Frederik Moch, Abteilungsleiter für Struktur-, Industrie- und Dienstleistungspolitik beim Deutschen Gewerkschaftsbund, ist erfreut: „Wir sehen, dass Schneider einen stärkeren Fokus auf die Sozialpartnerschaft zwischen Gewerkschaften und Arbeitgebern setzt.“

Zu Beginn der Klimakonferenz war noch nicht abzusehen, ob sich die Delegierten auf einen Abschlusstext zum gerechten Wandel einigen können. Aber „der Verhandlungstext sieht schon ziemlich gut aus“, sagte Annabella Rosemberg der taz. Sie beobachtet für das Climate Action Network die Verhandlungen.

Absätze zu den Rechten Indigener seien gestärkt worden, lobt Rosemberg. Außerdem hätten sich die Ver­hand­le­r*in­nen darauf geeinigt, dass auch der Bergbau auf Mineralien, die für die Energiewende wichtig sind, für die Ar­bei­te­r*in­nen und lokalen Gemeinschaften gerecht gestaltet werden muss.

Schneider hat jetzt zwei große Aufgaben vor sich: Während sich die EU am Freitag auf Umsetzungspläne eingelassen hat, sind andere Industrieländer wie Großbritannien, Kanada und die Schweiz noch nicht überzeugt. Und, sagt Rosemberg, „die Botschaft muss klar sein, dass der gerechte Wandel die Energiewende – ausgerichtet auf das Pariser Klimaabkommen – beschleunigt“.

Schneider verhandelt über den Gesamterfolg des Gipfels

Über die Position der EU hinaus geht eine andere von Rosembergs Forderungen: eine Art Beratungsstelle für gerechten Wandel, die den Zugang zu Finanzierung unterstützt. Die EU will bisher nur Gesprächsformate und Berichte versprechen. „Wir erwarten ein bisschen mehr Verständnis von der EU, dass wir nicht nur Dialog brauchen, sondern eine Institution“, sagt sie. Schneider dagegen will vor allem „schon gemachte Erfahrungen weltweit teilen, das braucht nicht zwingend neue Strukturen“.

Unabhängig von solchen Details könnte ein Beschluss der Klimakonferenz zum gerechten Wandel eines ihrer wenigen konkreten Ergebnisse sein, sagt Rosemberg. Nicht nur das: Ein Deal zum gerechten Wandel ist womöglich Voraussetzung für den Gesamterfolg des Gipfels.

Christoph Bals, politischer Geschäftsführer der Umweltorganisation Germanwatch, hält eine Einigung bei diesem Verhandlungsstrang für notwendig, um die zwei anderen und bislang auf der Konferenz prominenteren Verhandlungen abschließen zu können: Eine Gruppe von Delegierten streitet weiterhin darum, wie Klima-Anpassung gemessen werden kann und wer die Anpassung bezahlt. Eine andere Gruppe versucht nach einem überraschenden Vorstoß des brasilianischen Präsidenten Lula da Silva, sich auf einen Beschluss auf einen Fahrplan zur Abkehr von fossilen Brennstoffen zu einigen. Für Bals wäre das eine „kaum zu glaubende Erfolgsmeldung“.

Mit Ausnahme der fossilen Bremserstaaten würde solch ein Dreiteiler alle Bündnisse zufriedenstellen: Die Ambitionierten wären dem Ende der Fossilen einen Schritt näher, die Verwundbaren bekämen Hilfe bei der Anpassung an die Klimafolgen, und Schwellen- und Industrieländer könnten zu Hause von Fossilen abhängige Ar­bei­te­r*in­nen und Regionen zum Klimaschutz bekehren.

Schneider hat sich mit der EU-Verhandlungsführung also ins Zentrum des Geschehens befördert, das weiß er. „Wenn wir das Thema ernst nehmen, wird das den Klimaschutz hier und in den Heimatländern voranbringen“, sagte er. Aber mit seiner Rolle geht auch ein großes Risiko einher: Wenn er mit seiner Vorstellung von sozialem Klimaschutz auf internationaler Bühne scheitert, wird ihn das bis nach Deutschland verfolgen.

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