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Umweltkatastrophe in RusslandNicht mehr zu stoppen

Auf der Arktik-Halbinsel Taimyr verseuchen 20.000 Tonnen Diesel die umliegende Flüsse. Das Katastrophenministerium kann sie nicht aufhalten.

Aus dem Weltraum ist der rote Diesel im Fluß Ambarnaya zu sehen Foto: ESA via reuters

Mönchengladbach taz | Twitter-Nutzer Vadim137502 schöpft aus dem Fluss Ambarnaja auf der Arktik-Halbinsel Taimyr ein Glas Wasser. Die Flüssigkeit ist rot. Er steckt anschließend ein Stück Papier in das Wasser hinein und hält dann ein Feuerzeug darunter. Das Papier geht sofort lichterloh in Flammen auf. Vielleicht könnte man hier ja eine Tankstelle aufmachen, sinniert er auf seinem Twitter-Account.

Vadim ist Zeuge der „größten Umweltkatastrophe Russlands“, so die russische Sektion von Greenpeace. Und erst jetzt wird das ganze Ausmaß des „Vorfalls“ vom 29. Mai deutlich.

An diesem Tag waren 20.000 Tonnen Dieseltreibstoff in der sibirischen 180.000-Einwohner-Stadt Norilsk aus einem Tank eines Wärmekraftwerkes des Metallurgischen Werkes Nadeschdinsk, das dem Konzern Nornickel gehört, in die Umwelt entwichen.

Die für das Wasser zulässigen Grenzwerte, so die Chefin der russischen Umweltaufsicht „Rosprirodnadzor“, Swetlana Radionowa, seien mehrere zehntausend Male überschritten worden.

Die Beseitigung der Folgen der Katastrophe werde wohl 14 Tage in Anspruch nehmen, erklärt der Chef von Nornickel, Sergei Lipin. So optimistisch ist man bei Greenpeace nicht. Bei den Aufräumarbeiten könne man in einigen Wochen oder auch Monaten maximal 10 Prozent der hochgiftigen Stoffe aus dem Wasser oder der Erde holen. Da man in der Arktis nur in den kurzen Sommerperioden arbeiten könne, habe man noch lange Jahre vor sich, so Greenpeace Russland auf seinem Internetportal.

Händeringend versuchen 300 Angehörige des russischen Katastrophenministeriums seitdem die Katastrophe mit Ölsperren einzudämmen. Doch aufhalten werde man das vergiftete Wasser nicht mehr. Es werde weiterwandern in die Karasee, berichtet der Programmdirektor von Greenpeace Russland, Iwan Blokow, der taz.

Das Problem sei, erläuterte der zuständige Gouverneur von Krasnojarsk, Alexander Uss, bei einer Besprechung mit Präsident Wladimir Putin, dass das Gebiet straßentechnisch nicht erschlossen sei. Und da der Fluss Ambarnaja sehr seicht sei, könnten auch größererSchiffe dort nicht eingesetzt werden.

Hilflos geben sich die Teilnehmer eines Gesprächs mit dem Präsidenten bei der Frage, was man mit den von den Ölsperren zurückgehaltenen giftigen Stoffen tun solle. Verbrennen dürfe man sie eigentlich nicht, auf das Ufer schütten sei auch keine Lösung. Und ein Abtransport dürfte sehr schwierig werden, grübeln die Teilnehmer.

Drei Ursachen

Greenpeace sieht im Wesentlichen drei Ursachen für die Katastrophe. Das Firmengelände, das auf Permafrostboden gebaut sei, leide unter dem von Klimaveränderungen hervorgerufenen Auftauen auch tieferer Schichten des Bodens. Aus diesem Grund hätten sich die Träger des Dieseltanks nicht mehr stabil halten können.

Gleichzeitig konstatieren die Umweltschützer auch menschliches Versagen. Man hätte die Katastrophe verhindern können, wenn die Sicherheitsvorschriften wirklich strikt eingehalten worden wären. Und auch der Staat trage mit seiner laxen Umweltgesetzgebung eine Mitschuld an diesem Vorfall.

Die Katastrophe von Norilsk, so Iwan Blokow zur taz, werde wohl nicht die letzte ihrer Art sein. Auch bei einem zweiten Tank in Norilsk gebe es angeblich Risse. Da die Permafrostböden wegen des Klimawandels jetzt auftauten, verlören künftig die Fundamente vieler Industriekomplexe an Stabilität.

Vitali Servetnik, Co-Vorsitzender der „Sozial-Ökologischen Union“, weist auch auf die anhaltende Kriminalisierung der russischen Umweltbewegung hin. Auch das sei ein Grund dafür, dass immer weniger Menschen bereit seien, sich für Umweltfragen zu engagieren.

Allein in den ersten fünf Monaten dieses Jahres seien fünf Umweltaktivisten überfallen worden. Gegen vier weitere seien strafrechtliche Ermittlungen eingeleitet, mehrere Gruppen verboten oder mit hohen Geldstrafen belegt worden, so Servetnik.

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10 Kommentare

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  • Sehr schade, dass wir so etwas im 21. Jahrhundert noch mit ansehen müssen - also wäre der Klimawandel nicht schon genug!

  • Es sind 20 000 Tonnen DIESEL



    d.h. ca 700 Tanklaster wenn man sich in Erinnerung ruft was passiert wenn ein Tanklaster verunglückt und ausläuft.. einfach die Augen zu und das Alles mal 700. Schwindlig und ohne Hoffnung ? Noch ein Vergleich die Exxon Valdes hatte 40 000 Tonnen geladen als sie in Alska havarierte. Und jetzt die gute Nachricht, es ist Sommer ein ansehnlicher Teil verdunstet, ganz ganz flaches Land, sehr langsame Strömung, ruhiger Flusslauf eine Absperrung kann relativ leicht erfolgen, das abschöpfen wird schwieriger sein, Gerät vor Ort dürfte es nicht geben, aber die Russen besitzen Helis mit enormer Tragkraft, und Norilisk ist ein Rohstoffgigant mit unendlich finanziellen Mitteln. Sie werden einen großen Teil abschöpfen. Hoffentlich, hoffen für die Artik.



    Ps. Die Havarie auf hoher See vor Alaska zum Vergleich.... kein Vergleich möglich in rauer See keine Absperrung möglich, viel kälter= kein verdunsten, es blieb nur die Jahrelange Küstensäuberung

    • 0G
      05653 (Profil gelöscht)
      @Pace#:

      Die Exxon Valdes hatte Rohöl geladen. Das kann man nicht so ohne weiteres vergleichen. Der Diesel verdunstet und wird im Boden von Bakterien zersetzt. Was übrig bleibt sind kaum nennenswerte Mengen an Aromastoffen, die womöglich auch schnell zersetzt werden. Worüber sich nur sehr selten jemand aufregt, sind die eine Million Barrel Rohöl, die in Russland jährlich auf dem Weg nach Westen wegen leckender Pipelines im Tundraboden verschwinden. Solche viel schlimmeren, jedoch chronischen Katastrophen sind es offensichtlich nicht wert populistisch zur Sicherung des Spendenaufkommens ausgeschlachtet zu werden. Greenpeace wird eben in der Mehrheit von Betriebswirtschaftlern geführt.

  • nun ja ..

    wohl zu keinem zeitpunkt ein worse-case-szenario durchgespielt.

    jetzt wird die verantwortung von moskau auf den gouverneur und das unternehmen selbst verschoben.

    nur zu hoffen, daß es keinen kurzfristigen zweiten solchen unfall gibt ... entsprechend der duplizität der ereignisse.

  • Als ob der Methanausstoß aus den Böden nicht schon Problem genug wäre. Gut ist nur, das Polareis taut weg, dann kommt man an den Diesel wenn er das Polarmeer verseucht. Fuck.

  • Wo man Umweltsauereien praktisch kaum noch aufhalten kann - oder will - da versucht man, wenigstens Umweltaktivisten noch rechtzeitig aufzuhalten. Menschen sind am Werk - die „Krone der Schöpfung“ halt. Normal!

    • @Rainer B.:

      Leider ist es in Deutschland nicht anders. Ende Gelände wurde auch schlicht als linksextrem abgestempelt, nun kann man Umweltaktivisten mit Verdacht auf Zugehörigkeit hierzulande ebenso leicht verfolgen

      • @efkah:

        Also, diese Gleichsetzung von der Situation in Rußland und in Deutschland ist ziemlich daneben und verhöhnt irgendwie, die mit viel persönlichem Einsatz kämpfenden UmweltaktivistEn in Rußland!

        • @Fridolin:

          Na ja - hier wie dort engagieren sich Leute für den Erhalt einer intakten Umwelt und hier wie dort werden diese Leute staatlich bekämpft und gern auch mal kriminalisiert.

    • @Rainer B.:

      Nun ja, "Krone der Schöpfung" ergibt im Lateinischen "Corona creationis". Passt doch.