piwik no script img

Umwälzungen in SyrienAufstieg und Fall der Familie Assad

Zwischen Sozialismus und Islamismus regierte ein krimineller Clan mehr als 50 Jahre in Syrien. Ein Stück Weltgeschichte.

2019 noch allgegenwärtig: das Konterfei von Assad an einem Checkpoint in der Altstadt Damaskus Foto: Lisa Schneider

Schon von weitem war sein Gesicht zu erkennen: ein gütig blickender Baschar al-Assad, im Hintergrund die Fahne mit den zwei Sternen. Kurz vor dem Grenzübergang vom Libanon nach Syrien hing dieses Plakat über der Straße, mit einer Botschaft: Die Syrische Arabische Republik gehört der Familie al-Assad. Überall in Syrien erinnerten bis vor Kurzem Statuen, Plakate und Porträts daran, unter wessen Gnade man sich bewegte. Selbst am Eingang der Ummayaden-Moschee von Damaskus blickte der säkular-sozialistische Präsident von der Wand herab.

Jetzt nicht mehr. In dieser zentralen Moschee hielt der Anführer der siegreichen Rebellen, Abu Mohammad al-Golani, am 8. Dezember seine erste große Rede. Mit einer Blitzoffensive seiner HTS-Miliz hatte al-Golani vom nordwestlichen Idlib aus große Teile des Landes erobert. Rebellengruppen aus dem Süden, die in den Kampf einstiegen, nahmen schließlich auch die Hauptstadt ein. Das Regime der Familie al-Assad ist nicht mehr. Feiernde reißen die Porträts herunter und zerschlagen die Statuen.

Am Aufstieg und Fall dieser Familie aber lässt sich die jüngere Geschichte Syriens erzählen – und die der ganzen Region. Pan-Arabismus und Sozialismus, der Aufstieg des sunnitischen Dschihadismus wie der Islamischen Republik Iran, Russlands Einfluss als globaler Akteur. Und schließlich: die Neuordnung seit dem 7. Oktober 2023.

1963 putschte Hafez al-Assad, ein ehrgeiziger junger Luftwaffenoffizier, die sozialistische Baath-Partei mit an die Macht in Syrien. Das Land war gerade erst aus der Vereinigten Arabischen Republik – einem Staatengebilde aus Syrien und Ägypten – ausgebrochen. Al-Assad, Sohn einer armen alawitischen Familie, witterte im arabischen Sozialismus seine Chance. So wie viele Angehörige von Minderheiten in muslimisch dominierten Gesellschaften.

Al-Golanis Vater verlor seine Heimat, die Golanhöhen

Der Pan-Arabismus hatte zu dieser Zeit schon an Relevanz verloren. Dass Ägyptens Präsident Jamal Abdel Nasser sein Land, Syrien und Jordanien 1967 in eine schmerzhafte Niederlage gegen Israel führte, war das Ende dieser arabischen Einigkeitsbewegung. Syrien verlor die Golanhöhen an Israel. Und ein Mann seine Heimat, dessen Sohn heute über das Schicksal Syriens entscheidet: Abu Mohammad al-Golani, Anführer der HTS.

1970 kam Offizier Hafez al-Assad durch einen weiteren Putsch selbst an die Macht. Er verwandelte Syrien vollends in eine Diktatur. 1973 verloren die arabischen Staaten den nächsten Krieg gegen Israel. Ihre wirtschaftlichen Versprechen konnten sie kaum einlösen, während die Vetternwirtschaft gedieh. Die in Ägypten gegründete Muslimbruderschaft gewann auch deshalb in der gesamten Region an Einfluss.

Als 1979 die Sowjetunion in Afghanistan einmarschierte, unterstützten junge Männer aus verschiedenen muslimischen Ländern die Gegenbewegung dort. Historikern gilt dieser Krieg als Geburtsstunde des internationalen Dschihadismus. Zeitgleich verwandelte sich das Kaiserreich Persien zur Islamischen Republik Iran. Die schiitischen Mullahs und Hafez al-Assad, vorgeblich säkular-sozialistisch, wurden Partner.

Auch in al-Assads Herrschaftsgebiet nahmen die Proteste und Angriffe der Muslimbruderschaft zu. 1982 marschierte das syrische Militär auf die Stadt Hama, um einen dieser Aufstände zu beenden. Drei Wochen lang belagerte es die Stadt, zwischen 10.000 und 40.000 Menschen starben. Das Verhältnis der sunnitischen Mehrheitsbevölkerung zum Alawiten al-Assad war schwer beschädigt.

Die jungen Assads verkauften sich gut

Doch während in den Neunzigerjahren der Dschihadismus weltweit erstarkte und al-Qaida darin eine Art Führungsposition erwarb, blieb es in Syrien relativ ruhig. Hafez al-Assad wurde älter. Doch sein Sohn Bassel, zum Nachfolger auserkoren, starb bei einem Autounfall auf den Straßen von Damaskus. Er habe einen Flug nach Deutschland erreichen wollen, hieß es. Die al-Assads waren trotz allem noch nicht geächtet im Westen.

Als Hafez al-Assad 2000 an einem Herzinfarkt starb, besuchte die damalige US-Staatssekretärin Madeleine Albright die Beerdigung, eine „große Figur in der Region“ nannte sie den Diktator.

Nachfolger von Hafez wurde sein zweiter Sohn Baschar, damals 34 Jahre alt, ein Augenarzt, der in London gearbeitet hatte. An seiner Seite: die elegante, britisch-syrische Asma. Große Hoffnungen lagen auf den beiden. Ein paar Reformen, etwas mehr Teilhabe für die Bevölkerung, die jungen al-Assads verkauften sich gut.

Als 2003 die USA in den Irak einmarschierten, ließ Baschar al-Assad Islamisten aus den Gefängnissen frei, um sie im Irak gegen die „Imperialisten“ kämpfen zu lassen. Das rächte sich später, als sie in ihre Heimat zurückkehrten und sich gegen ihn selbst wandten. Unter diesen jungen Männern war auch Abu Mohammad al-Golani.

Assad setzte sogar Giftgas ein

Nach wie vor kamen internationale Studierende nach Syrien, um Arabisch zu lernen, Reisebüros verkauften Trips zu den Ruinen Palmyras, das Modemagazin Vogue beschrieb Asma al-Assad als „Rose in der Wüste“. Dann kam der arabische Frühling.

In Tunesien und Ägypten fielen 2011 die Diktatoren und in der südsyrischen Stadt Daraa schmierten Jugendliche an die Wand ihrer Schule: „Du bist an der Reihe, Doktor.“ Al-Assad ließ die Festgenommenen foltern. Auch weil das Regime brüsk ablehnte, die Jungen freizulassen und den Eltern riet, einfach neue Kinder zu zeugen, wurde aus kleinen Demos im Süden eine Welle des Protests im ganzen Land.

Al-Assad reagierte mit maximaler Härte, setzte sogar Giftgas ein. Islamistische Gruppen erstarkten – darunter auch die von al-Golani geführte al-Nusra-Front und der Islamische Staat. Hunderttausende starben, Millionen Menschen flohen. Schließlich wurde Russland – das als Nachfolgestaat der Sowjetunion die freundlichen Beziehungen zum nominell sozialistischen Syrien weitergeführt hatte – zum Beschützer al-Assads.

2017 hatten sich die Wogen geglättet, der IS war im Osten zurückgeschlagen, doch al-Assad hatte Gebiete im Norden verloren. An die HTS, an die von der Türkei unterstützte Syrische Nationale Armee (SNA) und an die kurdische Selbstverwaltung Rojava.

Er ignorierte die Veränderungen in der Region

Auch sonst blieb vom syrischen Staat wenig übrig: An Checkpoints musste man alle paar Kilometer Wegzoll bezahlen. Denn die Gehälter der Staatsbediensteten und Militärs betrugen kaum mehr 100 Euro.

Der Strom fiel fast dauerhaft aus. Captagon, eine billige synthetische Droge, eroberte von Syrien aus den arabischen Raum. Al-Assad und seiner Familie aber ging es gut, sie schafften ihr Geld ins Ausland, viel davon nach Russland. Shops boten Tassen mit den Gesichtern Wladimir Putins an, oder des Hisbollah-Führers Hassan Nasrallah an.

Souvenirshop in der Altstadt Damaskus 2019: Assad, Putin und der Ex-Hamas-Chef Nasrallah Foto: Lisa Schneider

Der Krieg war kaum zu vergessen: Sattelitenbilder deuteten die Massengräber in der Erde rund um das Gefängnis Sadnaya an. Durch die Silhouetten der zerbombten Vorstädte von Damaskus schien in der Nacht der Mond. Aufgebaut wurden sie nie. Im Zentrum der Stadt wurden die Spuren des Krieges schleunigst beseitigt, doch fuhr man weiter hinaus, rosteten die Karkassen ausgebrannter Autoreste am Straßenrand.

Dann begann Wladimir Putin im Februar 2022 seinen Überfall auf die gesamte Ukraine und zog dafür Soldaten und Equipment aus Syrien ab. Im Oktober 2023 überfiel die Hamas Israel, das bombardierte Gaza, musste zum ersten Mal direkt mit Iran kämpfen und ging gegen die Hisbollah vor. Al-Assad schien die Veränderungen in der Region zu ignorieren.

Am 27. November, am Tag, als im Libanon zwischen den Resten der Hisbollah und Israel eine Waffenruhe in Kraft trat, witterte al-Golani seine Chance. Nur zwei Wochen später saß al-Assad in einem Flugzeug nach Russland, wo seine Familie bereits wartete. Plakate und Bilder sind einfach abzuhängen. Anderes wird nach 54 Jahren Diktatur viel schwerer zu verändern sein.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

5 Kommentare

 / 
  • Danke für die gute Zusammenfassung.

    Dass auch die Assads als Sozialisten angefangen haben, scheint man heute gerne zu vergessen.

  • Guter Artikel, aber es gibt einen großen Unterschied zwischen Hafez al Assad und Bashar al Assad. Hafez war intelligent, belesen, hinterhältig, kalkulierend, skrupellos und risikovermeidend, sein Sohn war vor allem brutal, naiv und wankelmütig, dazu noch abhängig von seiner Familie und Russland/Iran. Beide haben kein Verständnis und keine Einsicht in Toleranz und Menschenrechte, aber Hafez wollte den Golan zurück erobern und eine regionale Ordnung mit einem Starken Syrien etablieren, sein Sohn hatte keine Vision und nicht mal ein langfristiges Ziel.



    Die historischen Bedingungen bei Hafez al Assad waren vollkommen andere als bei Bashar. Am Ende war die Assad-Familie nur eine Klepto-Narco-Diktatur und das ging nur solange gut, wie der Iran, Hizbullah und Russland ihn gestützt haben.

  • Die Geschichte des jungen, gebildeten Dr. Assad sollte allen Naiven eine Lehre sein, die auf das aktuell weichgespülte Image von HTS reinfallen: "Ein paar Reformen, etwas mehr Teilhabe für die Bevölkerung" wird es da anfangs vielleicht auch geben - aber dann droht die Herrschaft der Scharia. Der designierte HTS-Justizminister hat bereits angekündigt, dass alle Richterinnen ihr Amt aufgeben müssen und dass ab sofort nur noch Männer Richter sein dürfen.

  • Es ist erfreulich für alle nach Europa geflüchteten Syrer, dass ihr Land jetzt befreit ist. Nun können sie alle endlich wieder nach Hause zu ihren Frauen und Kindern. Und das nicht nur zum Urlaub wie bis anhin, sondern für immer.

  • Danke für diese prägnante Zusammenfassung