Umstrittenes Waldgesetz in Brasilien: Rousseff dribbelt die Öffentlichkeit aus
Brasiliens Präsidentin verzögert die Entscheidung über das Waldgesetz mit einem Teilveto bis nach dem Umweltgipfel Rio+20. Umweltschützer hatten sich mehr erhofft.
PORTO ALEGRE taz | Nun ist Dilma Rousseff doch nicht über ihren Schatten gesprungen. Nach einer wochenlangen Kampagne von Umweltgruppen und Prominenten schien ein vollständiges Veto der brasilianischen Präsidentin gegen die dramatische Aufweichung des Waldgesetzes, die das Abgeordnetenhaus Ende April beschlossen hatte, durchaus möglich.
Doch anstatt sich vor dem UN-Umweltgipfel Rio+20 im Juni zum Umweltschutz in Form eines zeitgemäßen Waldgesetzes zu bekennen, entschied sich Rousseff für einen Kompromiss, der vor allem die Agrarlobby zufrieden stellt.
Vier Minister verkündeten am Freitag, dass die Staatschefin gegen zwölf Artikel der umstrittenen Novelle ihr Veto einlegen und 32 weitere modifizieren werde. Einzelheiten würden aber erst am Montag (Ortszeit) bekannt gegeben, hieß es. „Unklar bleibt, was sich de facto geändert hat“, kritisierte der frühere Umweltstaatssekretär João Paulo Capobianco, „es ist unverantwortlich, so mit diesem umstrittenen Thema umzugehen“.
Vom 20. bis 22. Juni findet in Rio die UN-Konferenz zur nachhaltigen Entwicklung statt. 20 Jahre nach dem „Erdgipfel“ von Rio suchen die Staaten weiterhin eine Lösung, um Umwelt, Wirtschaft und Entwicklung zu versöhnen. Hoffnungsträger ist die „Grüne Wirtschaft“. Die taz beleuchtet dieses Thema bis zum Gipfel.
Durch die Novelle wäre die zusätzliche Abholzung von über 750.000 Quadratkilometern Wald legalisiert worden, einer Fläche von der doppelten Größe Deutschlands. Illegale Rodungen bis 2008 sollten nicht geahndet, Schutzzonen an Abhängen, Hügelkuppen und Flussläufen abgebaut werden. Die mächtige Agrarlobby dominiert das Parlament und ist auch in Rousseffs Mitte-links-Regierung vertreten.
Nach dem Teilveto der Präsidentin gebe es keine Amnestie für Waldzerstörer, versicherte Umweltministerin Izabella Teixeira. Das derzeitige Waldgesetz sieht vor, dass auf Privatgrundstücken in Brasilien ein bestimmter, je nach Ökosystem variierender Anteil als „Naturreserve“ erhalten werden muss. In Amazonien sind es 80 Prozent. Den Raubbau hat das Waldgesetz dennoch nicht verhindern können, allzu oft bleiben Prozesse gegen Waldzerstörer im Justizsystem stecken. „Alle werden wiederherstellen müssen, was zerstört wurde“, versprach Teixeira.
Dies steht in Widerspruch zur Ankündigung, nun sei man vor allem den Kleinbauern entgegengekommen. Diese, so viel nahmen die Minister vorweg, brauchen künftig nur noch jeweils 5 bis 15 Meter statt bisher 30 Meter bei bis zu 10 Meter breiten Flüssen aufforsten. „Zehn Jahre Raubbau werden amnestiert“, analysiert der sozialistische Abgeordnete Ivan Valente. Kátia Abreu, Vorsitzende des Großfarmerverbandes CNA und Senatorin, lobte die patriotische Haltung Rousseffs, die angeblich alle Interessen berücksichtigt habe.
Der Abgeordnete Homero Pereira freute sich, dass die Verhandlungen nach Rio+20 „in aller Ruhe“ weitergehen. Nach der Verkündung von Übergangsbestimmungen in Form eines Dekrets ist wieder das Parlament am Zug. Ob das Gesetz noch in diesem Jahr in Kraft tritt, ist ungewiss. So hat Rousseff ihr Hauptziel erreicht: Das unbequeme Thema Waldgesetz ist vor dem Umweltgipfel im Juni vom Tisch, die juristische Lage bleibt jedoch unübersichtlich.
Das dicke Ende komme später, fürchten Umweltschützer. „Die Präsidentin hat die Öffentlichkeit ausgedribbelt“, meint André Lima, Berater der Gruppe SOS Atlantischer Regenwald – zu Recht: Die großen Medien übernahmen größtenteils die Regierungsversion, wonach eine Amnestie ausgeschlossen sei.
Die halbherzige Haltung der Regierung passt zu den geringen Erwartungen an den Gipfel. „Es ist keine gute Zeit für eine Konferenz, die Großzügigkeit und Führungskraft verlangt“, meint Luciano Coutinho, der Chef der brasilianischen Entwicklungsbank BNDES. Chefunterhändler Luiz Alberto Figueiredo Machado erinnert daran, dass auf dem Erdgipfel vor 20 Jahren mehrere jahrelange Prozesse in die Unterzeichnung der Klimarahmenkonvention oder der Konvention für biologische Vielfalt gemündet waren.
Rio+20 könne hingegen ein Ausgangspunkt für neue Entwicklungen werden, hofft Figueiredo, so solle die Formulierung von „Zielen für nachhaltige Entwicklung“ eingeleitet werden. Er hält die Einigung auf „fünf oder sechs“ Ziele für möglich, die 2015 in Kraft treten könnten, etwa zu den Themen Energie, Wasser, Städte oder Meere. Für eine deutliche Aufwertung des UN-Umweltprogramms, wie sie die EU und afrikanische Länder fordern, kann sich der Brasilianer nicht erwärmen: „Wichtiger als das Format sind die Inhalte.“
Leser*innenkommentare
Edmundo
Gast
Gegen Landraub und Landgrabbing helfen nur starke Gesetze von unabhängigen Politikern. Auf die Politiker kann man einwirken und hoffen, dass die Stimme der Menschen noch gehört wird, zumindest bei solch wichtigen Themen wie dem Regenwald.
Vielleicht gibt es eine Chance.
Zu dem Thema wurden verschiedene Protestaktionen gestartet. Eine ist diese hier von Rettet den Regenwald:
https://www.regenwald.org/aktion/856/brasilien-schuetzen-sie-den-regenwald-frau-rousseff
Jede Unterschrift zählt!
Klärt eure Bekannten und Freunde über das Thema auf, damit wir diese unglaubliche Natur gemeinsam schützen können.
kannes
Gast
Der WWF hat doch umfangreiche Gebiete
Brasiliens durch Kauf den Großgrundbesitzern
vorab entzogen. Wurden nicht
eventuell die WWF-Ländereien illegal
ausgebeutet?
@jan z. volens
Es ist ja schön, wenn
sie hier beeindruckende Zahlen ohne
Quellenangabe in den Raum stellen.
Wissen Sie, wie hoch auch die Analphabetenrate
und die Not ist? Natürlich werden arme
Menschen sich an jeden Strohhalm klammern,
der irgendwie Lohn, Arbeit und Lebensmittel verspricht.
Wissen Sie wer die Parteien besonders tatkräftig
finanziert, nein richtig- die Großgrundbesitzer,
die Minenbetreiber und die Industriellen, welche
billigen Arbeiternachschub zur Lohndrückung
brauchen. Natürlich sind sehr viele dafür, weil
es eine Frage des Überlebens ist.
Doch diese Randbedingungen werden ja bewußt so
schlecht gehalten, dass man durch die geschaffene
Not die breite Zustimmung geradezu nun erzwingt.
Der von mir beschriebene Weg sichert eine
stetige Weiterentwicklung, denn das Kernproblem
der Boden, das Mikroklima und den Flora-und
Fraunareichtum NACHHALTIG und ohne Spekulationsblasen
auf DAUER richtig zu nutzen wird nicht angegangen!!
Dieses Problem wird nur vor sich hergeschoben.
Echter Fortschritt ist, wenn Brasilien nicht nur
einen Agrarboom von 10-30 Jahren hat, sondern
wenn er ohne zusätzliche Flächenvernichtung
auf Dauer die Lebensmittelversorgung kalkulierbar
für alle Zukunft sicherstellt und dabei eben nicht
der Regenwald draufgeht.
Wie rückschrittlich die Politk ist, sieht man
im Gegensatz zu Spanien und Israel, die auf
viel weniger Raum und unter klimatisch sehr
viel ungünstigeren Bedingungen viel gewaltigere,
DAUERHAFTE Ernteerträge erzielen.
Diesen Stand einfach nur heute in Brasilien einzuführen würde genügen, um eine Ausweitung
der Agrarflächenexpansion abzustellen.
Die Drogenmafia mit ihren gefährlichen Sprit-,
die Goldmafia mit Quecksilber- und Agrarlobby
mit Pestizideinleitungen und die gewaltige
Abholzungsgeschwindigkeit entwerten das Land
und Boden viel schlimmer, als es der karge Boden
von Spanien und Israel, die Existenz der Bauern
gefährdet. Brasilien hat aber eigentlich
das reichste Ökosystem der Welt, die Reste
davon sind aber noch nutzloser als Böden in
Wüstengebieten. Brasilien ist einer der Länder,
die ihr größtes Kapital für kurzfristigen
Profit gewaltig ruinieren und das wird nicht
lange gut gehen!
Der Grund, warum der Westen sich aufregt, ist nicht
Neid, sondern die ökologischen und humanitären Katastrophen, die der Westen, selbst schon entkräftet
wieder mit abfedern muß, obwohl das im Falle
Brasilien die eigenen Kräfte gewaltig übersteigen wird.
Brasilien in der Katastrophe in 15 Jahren,vorher
aufgerüstet, ist kein Spaß!!!
Gescheiterte Staaten in Süd-und Mittelamerika,
die den Westen mit kriminellen Gütern überschwemmen
gibt es genug. Brasilien in der Kriminalitäts-
katastrophe heißt auch eine gewaltige
Destabilisierung von Gesamtsüdamerika.
Und gescheiterte Landreformen, egal wo auf der
Welt gibt es wirklich genug!
jan z. volens
Gast
Das Bundesabgeordnetenhaus beauftragte den Vorsitzenden der kommunistischen Fraktion, Aldo Rebelo, zwei Jahre kreuz und quer in Brasilien mit ALLEN zuberaten: Die 900,000 Kleinbauern, 3.4 Millionen Familienlandwirtschaften, die 900,000 Agrargesellschaften, die Landarbeiter und Landlosen-Gewerkschaften, die nationalen-unabhaengigen Wissenschaftler (nicht die von BRD-Grunen oder katholischen Bischoefen finanzierten!), die Regierungen der 27 Bundeslaender, die 12 Koalitionsparteien der Mitte-Links Regierung. Gegen das Gesetz sind die kleine Gruene Partei Brasiliens, die Katholische Kirche, die von USA und NATO-EU finanzierten NROs , und die USA Lebensmittelexport-Lobby: Sie alle versuchten das Gesetz zu verhindern um die wirtschaftliche "Unabhaengigkeit" Brasiliens zu laehmen . Aber 2012 besteht in Brasilien nationale Einheit - von Links-Mitte-Rechts - gegen die geopolitischen Agenten der USA, NATO-Europa und des Vatikans. Deshalb kommt das Waldgesetz in Brasilien - ob die USA Geopolitiker oder gruene Deutsche das genehmigen oder nicht!
silvio q.
Gast
Propaganda de GRINGO !
kannes
Gast
Mit Wischiwaschi kommt man bei den
verbrecherischen Großgrundbesitzern nicht weit.
Dilma Roussef muß sich schon Respekt verschaffen
oder eben doch damit rechnen nicht ernst genommen
zu werden. Die Agrarlobby und Quecksilber-/Goldlobby
vernichtet die Kultur und Identität Brasiliens,
indem es die Landstriche deren Ökosysteme
und Eingeborenenvölker vernichtet und zu elenden
Slumbewohnern oder Plantagenvagabunden formt.
Brasilien muss raus aus der Sklavenfalle
der Großgrundbesitzer, ihre kurzfristige Ausbeutung
schafft niemals dauerhaft Wohlstand für
ganz Brasilien und
wenn das Land weiterhin in diesem Tempo versifft
und nicht langfristige Ackerbaumethoden
entwickelt werden, steht Brasilien vor einem
Desaster.
Vergiftetes Wasser, unfruchtbares und ausgespültes
Land, keine wertvollen Tier-und Faunagroßlandschaften, Wüstenklima, Versteppung,
viele Menschen ohne Heimat und Lebensgrundlagen,
industrielle Einöden und Slums. Na schönen Dank,
Du neues Brasilien. Die Großgrundbesitzer können
noch einmal woanders von vorn anfangen und
sich das Recht einfach nehmen! Die restlichen 80%
stehen noch viel schlimmer da, als vorher,
weil dann auch die Selbstversorgung kaum noch
funktioniert. Die Kriminalität wird dann explodieren.
Frauenbonus hin oder her; hier ist
keine Diplomatie mehr möglich!
Keine nachträgliche Legalisierung der Waldabholzung;
ein totaler Expansionsstopp für Waldbetriebe
und Agrarbetriebe
und anstatt hirnloser Gentechpflanzenforschung,
endlich!!!! solide Boden-, Bewässerungs-und
Düngemethoden für die jeweiligen Standorte entwickeln,
die eine mindestens 50-jährige Nutzung garantieren!!
Endlich verbindliche Normen für die legale Nutzung
von Agrarflächen erstellen, die ohne Bewässerungssysteme, Düngesysteme, den Anschluss
an unabhängige Saatguthersteller unter Ausschluss jeglicher
Patentgebühren/Lizenzgebühren sowie einer Eigensaatgutreserveproduktion der hiesigen
Agrargenossenschaft nicht betrieben werden dürfen.
Halbjährliche Kontrolle durch Boden-, Wasser-,
Sichtproben!!! Ein wissenschaftlicher Nachweis
für die Effizienz aller eingeführten Anlagen
ist zu erbringen! Die illegalen Landräuber
werden zu über 50jährigen Sonderstrafsteuern
verurteilt!!!
So sieht richtige Politik aus!