Umstrittenes Jagdrevier: Erst Brot, dann Schrot

Seit Jahrzehnten wird in Lüdersburg mit Jagden auf Wildtiere Geld verdient. Jetzt klagt der Nabu gegen den Anbieter, die Freiherr von Spoercken GmbH

Steht für die nächste Saison auf der Kippe: Entenjagd. Bild: dpa

LÜDERSBURG taz | Mit dem Fernglas vor den Augen steht er da und sucht das Gehege ab. Nichts zu sehen außer Bäumen und Gestrüpp. Nur ein einzelner Damhirsch hat schon beim Zuknallen der Autotür den Kopf hochgerissen und ist schnell davongesprungen. Vorführeffekt, sagt Thomas Mitschke. Ein paar Tage zuvor war der Mann vom Naturschutzbund Lüneburg (Nabu) mit einem Kamerateam genau hier am Zaun. Man kann sich das Video des NDR noch ansehen, auf dem sich eine kleine Rotte Wildschweine über den Weg schiebt, Nasen am Boden und gänzlich unbeeindruckt vom Treiben der vielen Menschen. „Dass du ein Interview gibst und hinter dir laufen die Tiere hin und her, gibt es sonst nur im Tierpark“, sagt Mitschke.

Fehlen nur die Eintrittskasse und der Automat, aus dem man Pellets zum Füttern der Tiere ziehen kann. Aber das Gehege im niedersächsischen Lüdersburg ist kein Wildpark. Hier wird seit fast 45 Jahren Geld mit der Jagd auf Tiere verdient.

Ob das so weitergeht, ist derzeit ungewiss. Die Entenjagd jedenfalls steht für die nächste Saison auf der Kippe, denn Mitschke hat Anzeige gegen den Betreiber des Jagdgeheges erstattet. Er wirft der Freiherr von Spoercken GmbH Verstöße gegen das Jagd- und Umweltgesetz vor. Es geht um mögliche unerlaubte Fütterungen, um zu viele Tiere auf zu engem Raum, um die Frage, ob in einem umzäunten Gehege gleichzeitig gefüttert und gejagt werden darf, um unrechtmäßige Lebendfallen, verschmutzte Teiche und um zu viele Enten.

Der Landkreis Lüneburg hat erst mal untersagt, dass im Frühjahr auf den Teichen rund um das Jagdgatter die üblichen 2.000 bis 4.000 Enten ausgesetzt werden dürfen, die dann im Herbst von der zahlungskräftigen Kundschaft geschossen werden.

Und das niedersächsische Landwirtschaftsministerium prüft derzeit den rechtlichen Status des Geheges in Lüdersburg, will klären, ob eingezäunte Wildschweine und Damwild überhaupt gefüttert und gleichzeitig gejagt werden dürfen. Denn eigentlich sieht das niedersächsische Jagdgesetz die Fütterung der Tiere nur in Notzeiten vor. „Im Gatter wird aber ganzjährig gefüttert“, sagt Mitschke.

Dass die Tiere gefüttert werden, bestreitet niemand. Der Anwalt der Spoercken GmbH, Florian Asche, sieht darin allerdings kein Problem: Das Gehege sei mit seinen 200 Hektar Waldfläche ohne Felder und Wiesen für die vielen Tiere zu klein, als dass sie sich dort selbst versorgen könnten. Man müsse also zufüttern, damit die Tiere nicht verhungern. „Es gibt keine Rechtsgrundlage, die uns verbietet, was wir tun“, sagt Asche, der selbst gern Tiere schießt und vor zwei Jahren das Buch „Jagd, Sex und Tiere essen – Die Lust am Archaischen“ veröffentlicht hat. Der Landkreis agitiere getrieben durch den Nabu und der wiederum versuche mit allen Mitteln, sich positiv darzustellen, um so mehr Mitglieder zu gewinnen, sagt Asche.

Bis auf die Unterhose

In der Innenstadt Lüneburgs ist das kleine Nabu-Büro. Treppe rauf, Kopf einziehen, durch einen Raum mit allerlei Gerümpel, an einen langen Tisch vor einem Schrank mit Dutzenden Aktenordnern. Thomas Mitschke klappt seinen Laptop auf. Er ist diverse Male durchs Unterholz im Jagdgehege Lüdersburg und Drumherum gekrochen, hat Fotos gemacht, um mögliche Verstöße zu dokumentieren. Er redet schnell, ohne Pathos, aber mit Nachdruck, klickt sich durch seine Präsentationen und Fotos. Mitschke zieht sich schon mal bis auf die Unterhose aus und steigt in den Fluss Bleckede, um Fotos von eventuell illegal eingeleitetem Schmutzwasser aus nahen Ententeichen der Spoercken GmbH zu machen.

Eigentlich ist Mitschke beim Nabu in der Arbeitsgemeinschaft Insekten, kümmert sich beispielsweise um Hornissen. Aber seit er im vergangenen Frühjahr von Spaziergängern angerufen wurde, die schon seit zehn Jahren rund ums Jagdgehege immer wieder tote Greifvögel gefunden haben, hat er für seine eigentliche ehrenamtliche Arbeit kaum mehr Zeit. Alles dreht sich nun um das Jagdgatter und die Ententeiche. Kräftezehrend sei das, aber notwendig, sagt er.

„Deutschlandweit verschwinden immer wieder Uhus und Greifvögel im Umkreis von kommerziellen Jagdgattern“, sagt Mitschke. Auch wenn der Zusammenhang nicht bewiesen ist, geht er davon aus, dass die Vögel im Frühjahr abgeschossen werden, damit sie sich nicht die frisch ausgesetzten Entenküken holen.

In Lüdersburg hatte Mitschke zunächst die Landwirtschaft in Verdacht. Er dachte, es seien wieder einmal Pestizide eingesetzt worden, die erst die Mäuse und der Nahrungskette folgend dann die Greifvögel vergiftet hätten. Aber er fand keine toten Mäuse an den Rändern der Felder, die diese These untermauert hätten. Stattdessen fand er verdreckte Ententeiche, offen zugängliche Futterboxen, extrem viele Wildtiere hinterm Zaun – und zeigte die Spoercken GmbH an.

Vor Mitschkes Anzeige warb die Spoerken GmbH auf ihrer Internetseite für die kommerzielle Jagd in ihrem Gatter. Für knapp 1.950 Euro pro Person konnten beispielsweise eine zweieinhalb- bis dreistündige Treibjagd auf Sauen und weibliches Damwild am Vormittag und zwei Entenjagden am Nachmittag gebucht werden – Mittagessen, Apportierhunde, Bläser fürs Halali und 200 Enten pro Nase inklusive. Dieses und weitere ähnliche Angebote sind mittlerweile von der Seite verschwunden. „Wir haben uns um eine konstruktive Zusammenarbeit bemüht und wollten niemanden provozieren“, erklärt Betreiber-Anwalt Florian Asche.

Man habe diese Saison mit der Jagd ausgesetzt, erklärt Asche, und den Bestand „über den Einzelbeschuss geregelt“. Aber es sei grundsätzlich besser für die Tiere, wenn einmal viele Jäger kämen, als wenn ständig jemand da sei und schieße. Abgesehen davon bedeute eine ausgefallene Jagdsaison einen großen finanziellen Verlust.

„Es geht mir gar nicht so sehr ums Geld, sondern um die Menge der Tiere“, sagt Nabu-Mann Mitschke. „Wer diese Masse von Enten in einem Biosphärenreservat hält, verstößt automatisch gegen Regeln.“ Er will, dass das aufhört.

Vertreter des Landkreises Lüneburg haben die Vorwürfe des Nabu geprüft, waren mehrmals vor Ort in Lüdersburg und haben, wie die Sprecherin des Landkreises, Katrin Holzmann, sagt, „zahlreiche Beanstandungen gefunden“. So seien die Ententeiche ohne Genehmigung ausgebaut worden und „einige dieser Biotope wurden aus naturschutzrechtlicher Sicht zerstört“, sagt Holzmann.

Wasserproben des niedersächsischen Landesbetriebs für Wasser-, Küsten- und Naturschutz ergaben, dass die Wasserqualität der von ungeklärten häuslichen Abwässern gleicht. „Niemand darf sein Abwasser einfach ungeklärt in die Umwelt kippen“, sagt Mitschke. Das müsse empfindliche Konsequenzen haben.

Asche hat unterdessen Widerspruch gegen den Bescheid des Landkreises eingereicht. „Wenn wir keine Enten aussetzen dürfen, haben wir in der kommenden Jagdsaison ein Problem“, sagt er. Im Eilverfahren will er bis Februar oder März geklärt wissen, ob das Kükenaussetzverbot wirklich Bestand hat. Denn seine Mandantin, die Spoercken GmbH, die in Lüdersburg auch eine Jagdschule und ein Golfhotel betreibt, lebt von der Jagd. „Wir reden hier immer noch von Privatbesitz und einem landwirtschaftlichen Betrieb, der Geld verdienen muss“, sagt Asche.

Seit 2002 dürfen Jagdgatter wie in Lüdersburg nach dem niedersächsischen Jagdgesetz nicht mehr angelegt werden. Aber die bereits bestehenden Gehege dieser Art genießen Bestandsschutz. Was dort nun eigentlich erlaubt ist und was nicht, ist umstritten. Nicht geregelt ist etwa, wie viele Tiere auf wie viel Hektar leben dürfen. Das alte Jagdgesetz hielt bloß fest, dass ein Jagdgatter 250 Hektar umfassen musste. Mitschke schätzt das Lüdersburger Revier auf 120 Hektar, der Landkreis und die Spoerken GmbH sagen, es sei 200 Hektar groß. Mitschke sagt, der Tierbestand sei zu hoch, selbst ungeübte Jäger könnten hier gar nicht danebenschießen. Asche sagt, derzeit lebten etwa rund 100 Sauen und 50 Stück Damwild im Gehege, das sei nicht zu viel. Wer recht hat, wird letztlich das Landwirtschaftsministerium entscheiden müssen.

Eindeutig verboten ist der Einsatz von nicht abgedunkelten Fallen, wie Mitschke sie auf dem Gelände entdeckt hat. Fallen also, in denen Füchse oder Marder mit Eiern oder Entenflügeln gefangen werden und in denen sie immer die Freiheit sehen können. „Manchmal sitzen die Tiere ein paar Tage da drin und drehen durch“, sagt Mitschke. „Ich habe genug Tiere aus solchen Fallen befreit, ich weiß, wovon ich rede.“ Als der Landkreis Lüneburg begann, die vorgebrachten Vorwürfe zu überprüfen, räumte die Spoercken GmbH Fehler ein und besserte nach. Jetzt sind alle Fallen mit Dachpappe versehen.

Für die niedersächsische Landesjägerschaft ist das, was in Lüdersburg geschieht, Schießsport auf lebende Tiere. Die eingezäunten und angefütterten Tiere könnten nicht flüchten und daher fehle schlicht jede Waldgerechtigkeit. „Moralisch fast schon pervers“, nennt Matthias Fabian vom Naturschutzbund BUND den Jagdbetrieb der Spoercken GmbH und fordert, dass das kommerziell betriebene Jagdgatter geschlossen werden muss: „Ich kann ja auch nicht mit dem Gewehr in den Stall gehen und da die Hühner abschießen.“

Empfindliche Strafen

Der BUND hat sich der Klage des Nabu angeschlossen. „Wir haben hier im Lüdersdorfer Revier eine ungewöhnliche Bündelung von Gesetzesverstößen, und nicht nur mal eine Sache, die nicht in Ordnung ist und bei der man dann eine Verwarnung ausspricht und dann ist gut“, sagt Fabian.

Der BUND-Mann fordert empfindliche Strafen, schließlich sei vor allem die Entenjagd wirtschaftlich extrem lukrativ für den Betreiber: „Letztlich wird hier mit den Gesetzesverstößen Geld verdient.“

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