Umstrittenes Freihandelsabkommen TTIP: Massenhaft Gründe für ein Nein
Das Freihandelsabkommen TTIP wird immer unbeliebter. In Kassel suchen Aktivisten nach Mitteln, um es zum Scheitern zu bringen.
In Deutschland, aber auch in anderen Ländern ist eine Massenbewegung gegen TTIP entstanden. AnwältInnen, Kulturschaffende, NaturschützerInnen, GewerkschafterInnen, UnternehmerInnen und andere Gruppen sammeln Unterschriften gegen das Abkommen, organisieren Tagungen dazu oder Aktionen dagegen.
Politik und große Wirtschaftsverbände versprechen, dass TTIP zu Wachstum und mehr Arbeitsplätzen führt. Daran glauben die KritikerInnen nicht. Sie fürchten, dass das Abkommen multinationalen Konzernen mehr Einfluss verschafft und Sozial- und Umweltstandards senkt.
„Die Stopp-TTIP-Bewegung ist eine Demokratiebewegung“, sagt Jörg Haas, Sprecher der Organisation Campact, die einer der wichtigsten Promotoren der TTIP-Proteste ist. An diesem Wochenende versammeln sich in der Universität Kassel einige hundert AktivistInnen aus den unzähligen Initiativen im Land. In 36 Workshops und drei Podiumsdiskussionen mit internationaler Beteiligung beraten sie ab Freitagmittag darüber, wie sie TTIP zum Scheitern bringen können. Im Oktober hat die Bewegung mit der Großdemonstration in Berlin, zu der mehr als 200.000 Teilnehmende kamen, einen Höhepunkt erreicht – ungewiss ist, ob sie damit ihren Zenit überschritten oder Anlauf für die nächste Etappe genommen hat.
Private Schiedsgerichte umstritten
Manche AktivistInnen planen als nächstes Projekt eine Volksabstimmung, andere setzen auf lokale TTIP-freie Zonen. In der Diskussion sind Aktionen zum Deutschlandbesuch von US-Präsident Obama im April oder eine weitere Großdemonstration im Herbst in Deutschland. „Ein wichtiger Punkt ist die Mobilisierung gegen Ceta“, sagt Haas. Das Freihandelsabkommen zwischen der EU und Kanada ist eine Art ältere Schwester von TTIP und bereits fertig verhandelt. Im Laufe des Jahres steht die Ratifizierung im EU-Parlament an. Zurzeit befindet es sich in der juristischen Feinabstimmung. Dabei sollen Passagen zu den umstrittenen privaten Schiedsgerichten überarbeitet werden, mit denen Konzerne Staaten nach unliebsamen Entscheidungen auf Schadenersatz verklagen können.
In Kommissionskreisen heißt es, die neue kanadische Regierung sei bereit, die Vorschläge der EU zu akzeptieren, die sie nach Protesten gemacht hat. Danach sollen die Schiedsgerichte nicht mehr mit Rechtsanwälten besetzt sein, sondern Gerichte mit Berufsrichtern sein, die anders als bislang vorgesehen eine Berufungsinstanz haben.
Julian Schenke, Demokratieforscher
In der Stopp-TTIP-Gemeinde wird das als reine Kosmetik gesehen. Die Änderungen gehen auf Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel zurück, der so die Proteste einfangen wollte. Er tritt energisch für Ceta und TTIP ein und sieht in den GegnerInnen offenbar die üblichen Verdächtigen – linke Kapitalismuskritiker. Doch Jörg Haas von Campact widerspricht: „Die TTIP-Bewegung kommt aus der Mitte der Gesellschaft.“
Das sieht auch Julian Schenke vom Göttinger Institut für Demokratieforschung so. Gemeinsam mit anderen Wissenschaftlern hat er eine Studie über die FreihandelsgegnerInnen erstellt. „Es sind die arrivierten Mittelschichten, die gegen TTIP protestieren“, sagt er. Die KritikerInnen sind gut gebildet, viele haben Erfahrung mit sozialen Protesten. „Es ist ein Neinsager-Protest“, sagt der Politikwissenschaftler. „Die Protestierenden wehren sich weniger gegen die Dinge, die passieren, als gegen die, die sie fürchten.“ Dass die Verhandlungen im Verborgenen stattfinden, nutzt den GegnerInnen: „Alles, was im Geheimen läuft, ruft in Deutschland ein großes Misstrauen hervor“, sagt Schenke.
Die EU-Kommission versucht mit einer PR-Offensive, den Ruf von TTIP zu retten. Nicht sehr erfolgreich: Nach einer Emnid-Umfrage ist die Zustimmung zu dem Abkommen in der Bundesrepublik im Februar auf 25 Prozent gesunken. Im vergangenen Juni waren es noch 47 Prozent.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Tabubruch der CDU
Einst eine Partei mit Werten
Social-Media-Star im Bundestagswahlkampf
Wie ein Phoenix aus der roten Asche
Trump und die Ukraine
Europa hat die Ukraine verraten
Trump und Putin
Bei Anruf Frieden
80 Jahre nach der Bombardierung
Neonazidemo läuft durch Dresden
Krieg und Rüstung
Klingelnde Kassen