Umstrittenes Bauprojekt in Pankow: Bäume fällen mit Umwegen
Eine Bürgerinitiative kämpft gegen ein Projekt der Gesobau. Die hat nach einem „Nein“ des Bezirks die Gebäude zur Flüchtlingsunterkunft deklariert.
Die Kälte kriecht in die Knochen, das kleine Lagerfeuer kann in dem weitläufigen Hof daran nichts ändern. Mehr als hundert meist ältere Menschen stehen am Sonntagnachmittag in einem großen Halbkreis, etliche halten flackernde Grablichter. Ihnen gegenüber lesen Jasmin Tabatabai und Andreas Pietschmann Texte ins Mikrofon: Das Schauspielerpaar trägt Gedichte zum Thema „Bäume“ vor. Pietschmann rezitiert eines von Bertolt Brecht: „Sie sägten die Äste ab, auf denen sie saßen / Und schrieen sich zu ihre Erfahrungen / Wie man schneller sägen konnte, und fuhren / Mit Krachen in die Tiefe, und die ihnen zusahen / Schüttelten die Köpfe beim Sägen und sägten weiter.“ Viele der ZuhörerInnen nicken und klatschen.
Der Hof ist einer von zwei „Blockinnenflächen“ an der Ossietzkystraße, um deren Erhalt die Bürgerinitiative „Grüner Kiez Pankow“ kämpft. Tabatabai und Pietschmann unterstützen sie dabei – neben anderen prominenten PankowerInnen wie dem Publizisten Christoph Links oder der Musikerin Bernadette La Hengst. Sie haben Patenschaften für Bäume auf dem Areal übernommen und gehören zu den UnterzeichnerInnen eines offenen Briefes an die Senatsverwaltung für Bauen und Wohnen.
Tabatabai liest ihn vor, während einige der Zuhörenden sich mit Glühwein versorgen. „Das Vorgehen von Senatsverwaltung und Gesobau AG ist ein Skandal!“, heißt es gleich zu Beginn. Dann wird noch einmal die Vorgeschichte der Planungen für das Areal aufgedröselt. Es geht um ein Bauvorhaben, juristische Tricks und vor allem viele Bäume, denen die Fällung droht. Wann genau, weiß im Moment niemand. Die Fällgenehmigung ist schon da, die Baugenehmigung noch nicht. Sobald diese vorliegt, können die Kettensägen angeworfen werden.
Die Flächen südlich des Schlossparks Niederschönhausen sind keine geschlossenen Höfe, um sie herum gruppieren sich locker mehrere Gebäuderiegel. Einige wurden in den 1950ern vom „Nationalen Aufbauwerk“ der DDR anstelle der zerstörten Originalbebauung errichtet. Damals habe man die Freiflächen bewusst weitläufig gestaltet und begrünt, um einen Ausgleich für die kleinen Wohnungsgrundrisse zu schaffen, sagt die Initiative. Etliche Bäume – Ahorne, Kastanien, die heute stattliche Größen erreicht haben – seien von den ersten BewohnerInnen gepflanzt worden.
Im Jahr 2018 trat die heutige Eigentümerin, die landeseigene Gesobau, mit dem Vorhaben auf den Plan, zwei weitere Gebäuderiegel mitten hinein zu setzen. Viele der Bäume, aber auch der Spielplatz im „Südhof“, der von mehreren Kitas genutzt wird, sollten dieser Nachverdichtung zum Opfer fallen. Die AnwohnerInnen gingen auf die Barrikaden – und fanden Unterstützung bei der Politik. Das Bezirksamt lehnte das Vorhaben der Gesobau ab und schob im April 2021 einen „Klima-Bebauungsplan“ an, nach dem höchstens deutlich kleinere Bauvorhaben genehmigungsfähig wären.
Es herrscht schließlich Klimanotstand
In der Begründung zum neuen B-Plan hieß es, die Nachverdichtung trage „zu einer weiteren Versiegelung von Flächen im Wohngebiet und zum Verlust von Bäumen und naturhaushaltwirksamen Flächen bei“. Das gehe nicht zusammen mit dem 2019 von BVV erklärten Klimanotstand. „Bestehende mit Bäumen und Sträuchern stark begrünte Blockinnenbereiche sollen in größerem Umfang geschützt und insbesondere für die Anwohner in Hitzeperioden dauerhaft als wohnungsnahe Aufenthalts- und Erholungsflächen erhalten bleiben.“
Dann war erst einmal Ruhe, bis die Gesobau mit einem neuen Plan um die Ecke kam: Jetzt sollten modulare Unterkünfte für Flüchtlinge (MUF) entstehen – in Form genau jener Wohngebäude, die der Bezirk abgelehnt hatte. Das geht jetzt nicht mehr, denn laut einer bis Ende 2024 gültigen Sonderbestimmung des Baugesetzbuchs kann die Landesebene, sprich: die Bauverwaltung von Senator Andreas Geisel (SPD), solche Unterkünfte ohne Mitsprache des Bezirks genehmigen. Im vergangenen Dezember stellte das Wohnungsbauunternehmen den Bauantrag für zwei Gebäude mit 99 Wohnungen für bis zu 420 BewohnerInnen.
Bei der Bürgerinitiative ist man entsetzt von diesem Schachzug, der aus ihrer Sicht die Geflüchteten instrumentalisiert und nur dazu dient, die ursprüngliche Bebauung „konfrontativ doch noch durchzudrücken“. Und das, obwohl Geisels Staatsekretär Christian Gaebler in seiner Antwort auf eine parlamentarische Anfrage einräumen musste, dass die „Versorgung mit Grundschulplätzen und Kita-Plätzen im Sozialraum des Standortes defizitär“ und somit die Unterbringung geflüchteter Familien „schwierig“ sei.
Julia Dimitroff von der Initiative ärgert sich besonders über Aussagen, die die Gesobau auf Flyern drucken und verteilen ließ. Zum Beispiel, dass die Spielflächen nach dem Bau sogar noch größer würden. „Da wollen die offenbar Wasser in Wein verwandeln“, sagt die Geigenbauerin, die seit 26 Jahren an der Ossietzkystraße wohnt. Anscheinend plane das Unternehmen eine angrenzende Sackgasse zur Spielstraße umzudeklarieren – „aber das sind asphaltierte Flächen!“
36, 50, noch mehr?
Und dann sind da, natürlich, die Bäume. Auch hier scheint die Gesobau den tatsächlichen Verlust schönzurechnen: Es müssten nur 36 der 170 Bäume auf der Gesamtfläche fallen, heißt es im Flyer. Die Initiative sagt: Es sind auf jeden Fall 50, aber nur 36 davon gelten laut Baumschutzverordnung als geschützt. Bedroht seien durch die notwendige Teilentfernung von Wurzeln für die Bauarbeiten noch etliche weitere.
Auf Nachfrage der taz antwortet Geisels Sprecher Martin Pallgen, es gehe in dieser Sache „nicht um Sonderwünsche der SenSBW, sondern darum, einen dringenden Bedarf an Unterbringungsmöglichkeiten für Geflüchtete zu decken“, wie ihn die Senatverwaltung für Integration formuliere. „Hier wird an niemanden vorbei etwas auf den Weg gebracht. Allen Kritikern empfehle ich einen Besuch in den Hangars von Tempelhof und den Zeltstädten in Tegel.“
Die Forderung der Initiative, bis zur Neubildung einer Koalition und des entsprechenden Senats solle es ein Moratorium für das Projekt geben, kontert er mit den Worten, das stehe „nicht zur Diskussion“. Pallgen weiter: „Bei uns geht es um Fragen des Baurechts, das ist keine politische Frage.“
An die Bäume hat der „Grüne Kiez Pankow“ mittlerweile Zettel mit Hintergrundinformationen und einem eindeutigen Appell geheftet. „Sollen Sie diesen Baum fällen? Fragen Sie Ihr Gewissen und lehnen Sie diesen Auftrag ab!“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israel, Nan Goldin und die Linke
Politische Spiritualität?
Matheleistungen an Grundschulen
Ein Viertel kann nicht richtig rechnen
Nikotinbeutel Snus
Wie ein Pflaster – aber mit Style
Innenminister zur Migrationspolitik
Härter, immer härter
Prozess gegen Letzte Generation
Wie die Hoffnung auf Klimaschutz stirbt
Börsen-Rekordhoch
Der DAX ist nicht alles