Umstrittener Gender-Vortrag in Berlin: „Nicht ihr Fachgebiet“
Die Absage eines Vortrags an der Humboldt-Universität sorgte für viel Wirbel. Nun wurde er nachgeholt – begleitet von einer Diskussionsveranstaltung.
Nach dem Wirbel um ihren verschobenen Genderbeitrag auf der Langen Nacht der Wissenschaften in Berlin suchte am Donnerstagabend ein siebenköpfiges Panel Antworten auf diese Fragen. Um es vorwegzunehmen: In vielen Punkten wurden sich die vier HU-Vertreter:innen, die beiden Aktivist:innen der queeren Community und Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) im gut besuchten Hörsaal II am Campus Nord nicht einig.
Allen voran bei der Frage, ob die Unileitung richtig auf den angekündigten Protest zu dem umstrittenen Gendervortrag reagiert hat: „Eine Veranstaltung nicht stattfinden zu lassen, bedarf der Erklärung“, sagte Stark-Watzinger, die als einzige der Diskussion zugeschaltet war. „Wir können zurecht stolz darauf sein, dass Deutschland beim Academic Freedom Index weltweit auf Platz eins steht.“
HU-Präsident Peter Frensch hingegen verteidigte die kurzfristige Absage des Vortrags erneut mit Sicherheitsbedenken. „Wir mussten mit 100 bis 150 Protestierenden und 80 bis 100 Gegendemonstranten rechnen“, sagte Frensch. Selbst bei einem Einsatz der Polizei hätte die Universität die Sicherheit der Besucher:innen auf der Langen Nacht der Wissenschaften nicht garantieren können. Deshalb sei der Vortrag auf einen anderen Termin verschoben worden.
Zweifel an Qualifikation
Auf die Kritik des Arbeitskreises kritischer Jurist*innen, dass die Unileitung ihren Protest gegen einen aus ihrer Sicht transfeindlichen Vortrag mit dem Sicherheitsrisiko durch eine gewaltbereite Gruppe gleichgesetzt habe, ging Frensch nicht wirklich ein. Man habe die Quellen „aus dem Umfeld“ des Protestes für verlässlich gehalten. „Wir würden, wenn wir nochmal in diese Situation kommen, wieder genauso handeln“, versicherte Frensch.
Strittig blieb auch die Frage, inwieweit sich die Universität zu den scharf kritisierten Äußerungen Vollbrechts in der Welt zu verhalten habe, die viele als klar transfeindlich bewerten. Und ob dies eine Rolle bei der Bewertung der Wissenschaftlerin Vollbrecht spielen sollte, die schließlich an der HU promoviert und die Universität bei der Langen Nacht der Wissenschaften nach außen vertreten sollte. Die Unileitung hatte sich zwar klar von Vollbrechts Äußerungen in der Welt distanziert, deshalb aber nicht ihren Vortrag als solches in Frage gestellt.
Die Geschichtswissenschaftlerin und Biologin Kerstin Palm hält die Trennung jedoch für problematisch. Schließlich lasse der Vortrag „Geschlecht ist nicht (Ge)schlecht: Sex, Gender und warum es in der Biologie zwei Geschlechter gibt“ durchaus auf die politische Haltung Vollbrechts schließen. „Sie hat sich auf eine Theorie in der Geschlechterforschung konzentriert“, sagte Palm. „Und zwar eine, die nicht in entferntester Weise den Grundlagen der Genderforschung entspricht.“ So zu tun, als sei diese eine Perspektive die absolute Wahrheit, sei nicht „wissenschaftlich redlich“.
Eine Kritik, die der Biologe Rüdiger Krahe, der auch Vollbrechts Doktorvater an der HU ist, zurückweist. Aus wissenschaftlicher Sicht erkenne er kein Problem in dem Vortrag und der Darstellung der Zweigeschlechtlichkeit im Tierreich. Krahe räumt aber ein, dass seine Doktorandin sich in dem Vortrag einem Thema widmet, dass „nicht ihr Fachgebiet“ sei und vom Niveau her „einem Grundkurs Biologie entspricht“.
Ein Umstand, der auch die HU-Leitung zum Umdenken bewegt hat. „Wir haben aus diesem Vorfall gelernt, dass nur wirkliche Experten auf ihrem Fachgebiet solche Vorträge halten sollen“, erklärte HU-Präsident Frensch. Bislang würde nur intern rumgefragt, wer auf der Langen Nacht der Wissenschaften einen Beitrag halten wolle. Eine Prüfung der eingereichten Vorträge auf Wissenschaftlichkeit finde bislang nicht statt. „Das müssen wir künftig ändern“, versprach Frensch.
Nicht ohne Kontext
Ein Ergebnis, das auch Heiner Schulze vom Schwulen Museum Berlin begrüßte. „Es ist ja nicht so, dass Marie-Luise Vollbrecht eine unschuldige Biologin wäre“, sagte Schulze. Das belegten ihre privaten Äußerungen auf Twitter und in der Welt, die Ressentiments gegen queere Menschen schürten. Schulze begrüßte, dass die HU den Vortrag verschoben habe und nun durch eine Podiumsdiskussion ergänze. „Der Vortrag der Wissenschaftlerin Vollbrecht muss in den Kontext gesetzt werden“, sagte er.
Marie-Luise Vollbrecht selbst sieht das anders. Zwei Stunden vor der Panel-Diskussion stand sie auf der Bühne im Ernst-Reuter-Saal der HU, keine zwei Kilometer vom Audimax II entfernt. Zu Beginn ihres Vortrags machte sie noch einmal ihren Standpunkt in der Debatte klar. Ihr Vortrag sei wissenschaftlich und müsse nicht kontextualisiert werden. Ihre politischen Ansichten, die sie außerhalb der Hochschule tätige, seien für die Grundlagen der Biologie, um die es ihr gehe, „irrelevant“.
Aus diesen Gründen habe sie die Teilnahme an der Podiumsdiskussion abgesagt. Aus der Zusammensetzung der Teilnehmenden habe sie zudem geschlossen, dass es bei dem Panel „nicht um Biologie geht“. Der HU danke sie aber, dass sie den Vortrag nachholen könne. Für Presseanfragen stehe sie nicht zur Verfügung.
Danach redete Vollbrecht eine Stunde über Zweigeschlechtlichkeit bei Tieren und Menschen und warum Zwitter im Pflanzen- und Tierreich nicht irrtümlicherweise auf ein drittes Geschlecht schließen lassen. Gestört wurde ihr Vortrag nicht. Im Gegenteil. Offenbar sind nur die gekommen, die Vollbrechts Sicht der Dinge teilen. Die Polizei, die vor dem Gebäude positioniert war, musste nicht eingreifen.
Protest von Studierenden
Diejenigen, die den Vortrag kritisch sehen, demonstrierten zeitgleich an einem anderen Ort. Am nahe gelegenen Robert-Koch-Platz trafen sich eine Gruppe von trans, inter und nichtbinären Studierenden. Von der HU-Leitung forderten sie eine klare Positionierung gegen transphobe Meinungen. Die HU habe einer menschenverachtenden Meinung eine Bühne gegeben, sagte ein Mitglied der Gruppe zur taz. Und Vollbrecht habe sich der kritischen Debatte entzogen.
Ob eine Universität Meinungen wie die der Biologin Vollbrecht aushalten muss, war später auch auf dem Panel Thema. Unipräsident Peter Frensch formulierte es vorsichtig: „Eine Universität drängt nicht danach, sich politisch zu äußern. Sie drängt danach, sich wissenschaftlich zu äußern.“ Politisch äußere sie sich nur dann, wenn sie unbedingt müsse.
Etwas klarer äußerte sich Bildungsministerin Bettina Stark-Watzinger. Mit dem Selbstbestimmungsgesetz habe sich die Bundesregierung klar positioniert. Stark-Watzinger betonte, dass Universitäten einerseits Orte der freien Debatten seien. „Die Wissenschaftsfreiheit hat aber klare Grenzen. Und die fängt bei der Würde und dem Respekt des Gegenübers an.“
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