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Umstrittene Justizreform in PolenAbgeordnetenhaus stimmt Gesetz zu

Die Kammer bestätigt ein Gesetz, das die Einflussnahme auf die Arbeit von Richtern ermöglicht. Präsident Andrzej Duda beantragt zudem ein Referendum.

Demonstrierende vor dem Parlamentsgebäude am 20. Juli 2018 in Warschau Foto: dpa

Warschau/Karlsruhe ap/dpa | Das polnische Abgeordnetenhaus hat am Freitag einem weiteren Teil einer von der EU als gegen die Prinzipien des Rechtsstaats eingestuften Justizreform zugestimmt. Mit 230 gegen 24 Stimmen bei vier Enthaltungen bestätigte die von der nationalkonservativen Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) dominierte Kammer ein Gesetz, mit dem sich die Regierung mehr Einfluss bei der Berufung von Richtern des Obersten Gerichts und auch auf die Arbeit von Richtern unterhalb der höchsten Ebene verschafft. Um in Kraft zu treten, müssen noch der Senat – ebenfalls von der PiS dominiert- und Präsident Andrzej Duda zustimmen.

Vor dem Parlament gab es eine Demonstration gegen das Gesetz.

Duda beantragte im Parlament ein Referendum über eine Änderung der Verfassung. Er rief den Senat auf, einer Volksabstimmung für den 10. und 11. November zuzustimmen. Darin sollen die Wähler zehn Fragen beantworten, unter anderem, ob die Mitgliedschaft des Landes in EU und Nato, die christlichen Wurzeln Polens, das Recht auf Arbeit und die Familienförderung der derzeitigen Regierung in der Verfassung stehen sollen.

Die zwangspensionierte Präsidentin des Obersten Gerichts in Warschau, Malgorzata Gersdorf, war am Freitag zu einem lang geplanten Besuch in Karsruhe. „Das ist keine leichte Zeit für mich“, sagt die 65-Jährige bei der Veranstaltung, auf der sie eine Rede zum polnischen Rechtsstaat hielt. „Ich bin sehr dankbar, dass meine Position auch einen internationalen Schutz genießt.“ Seit 4. Juli gilt ein neues Gesetz: Demnach erreichen die obersten Richter in Polen die Altersgrenze von 65 statt bisher mit 70 Jahren. Die Richterin war trotz Zwangspensionierung zur Arbeit erschienen.

Mit ihrer umstrittenen Justizreform will sich die PiS die Möglichkeit verschaffen, den Vorsitz des Obersten Gerichts zu bestimmen und die Arbeit von Richtern zu beeinflussen. Die Vorbereitung der Reform wird von Protesten begleitet.

EU-Vertreter haben gesagt, dass die Reform die polnische Verfassung und die Rechtsstaatlichkeit untergrabe. Die EU hat Strafmaßnahmen eingeleitet.

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2 Kommentare

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  • "mit dem sich die Regierung auch mehr Einfluss auf die Arbeit von Richtern unterhalb der Ebene des Obersten Gerichts verschafft"

    Ja, dahingehend, dass die personelle Besetzung der bestimmten Verhandlungen im Rahmen der Kompetenzen durch Los geschehen sollte, damit das gegenseitige zuschachern von irgendwelchen Gerichtsprozessen von "Bekannten des Schwagers" vermieden wird.

    • @agerwiese:

      In den vergangenen Monaten hat Polens Justizminister Zbigniew Ziobro Dutzende Gerichtspräsidenten oder deren Stellvertreter entlassen. Viele dieser Richter waren für richterliche Unabhängigkeit aufgetreten - und hatten sich gegen Gesetze gewandt, die Experten zufolge polnischer Verfassung, EU-Recht und internationalen Rechtsgrundsätzen widersprechen.

      Das Verfassungsgericht wird bereits von Gefolgsleuten der Regierungspartei "Recht und Gerechtigkeit" (Pis) kontrolliert und entscheidet nur noch im Sinne der Partei. Auch das Oberste Gericht wird bald - verfassungswidrig - von Politikern kontrolliert und kann jedes in Polen seit 1997 erlassene Urteil aufheben. Die Venedig-Kommission, das weltweit führende Fachorgan für Verfassungsfragen, sieht dies als Rückkehr zur Sowjetjustiz, zu einem System ohne Rechtssicherheit.

      Auch an ordentlichen Gerichten hat Justizminister Ziobro klargemacht, dass für Polens Richter eine neue Zeit begonnen hat. In Krakau führt die Familie Ziobro einen Prozess gegen vier Ärzte des Krakauer Universitätskrankenhauses. Die Ärzte waren nach Meinung der Familie Schuld am Tod von Jerzy Ziobro, dem Vater des Ministers, der 2006 nach mehreren Herzinfarkten im Alter von 72 Jahren starb. Die Staatsanwaltschaft hatte die Ermittlungen längst eingestellt, doch dann wurde Sohn Zbigniew Ende 2015 erst Justizminister, 2016 auch noch Generalstaatsanwalt und damit Vorgesetzter aller Staatsanwälte. Diese mussten die Ermittlungen gegen die Ärzte wiederaufnehmen und sie schließlich anklagen.

      Wohnungen von Gutachtern, deren Expertisen die Ärzte entlasteten, wurden von der Polizei durchsucht. Die Richterin, die am von Beata Morawiec geleiteten Gericht den Prozess gegen die Ärzte führte, ließ diese entlastenden Gutachten zu. Ziobros Mutter zeigte die Richterin an, Staatsanwälte begannen mit Ermittlungen gegen die Richterin



      www.sueddeutsche.d...e-justiz-1.3878445