Teilrücknahme der Justizreform in Polen: Regierung gibt nach, aber nicht auf
Die regierenden Nationalpopulisten ziehen die Zwangsverrentung der Obersten Richter zurück. Doch das „Justiz-Reformwerk“ wird nicht gestoppt.
Warschau taz | Nun sind sie plötzlich keine „gemeinen Verbrecher“ mehr, keine „außergewöhnliche Kaste“ und auch keine „Kommunisten“ mehr: die Richter des Obersten Gerichts in Polens. Monatelang waren sie in Polen verunglimpft worden.
Um hohen Strafgeldern des Europäischen Gerichtshofes in Luxemburg zu entgehen, verabschiedeten Polens regierende Nationalpopulisten im gewohnten Turbotempo ein Gesetz, das die Zwangspensionierung von 27 Obersten Richtern rückgängig machen soll. Damit kommt Polen einer einstweiligen Verfügung des EuGH nach. Doch die Opposition in Polen wie auch viele Richter halten den Rückzug der Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) nur für ein taktisches Manöver.
Ein Nachgeben in der Rentenfrage soll die Europäische Kommission dazu bewegen, die Klage gegen Polen vor dem EuGH zurückzuziehen, so dass es am Ende keinen Schuldspruch, ja nicht einmal ein Urteil geben würde.
Ziel der PiS ist es, vor den Wahlen zum Europäischen Parlament im Mai 2019 den schon drei Jahre lang schwelenden Konflikt mit der EU abzumildern. Dazu dient auch die inzwischen siebte Gesetzesnovelle zum Obersten Gericht, die Andrzej Duda, Polens Präsident und eigentlicher Autor des Zwangs-Verrentungs-Gesetzes noch unterschreiben muss.
Gutes EU-Mitglied
Die PiS will mit der Novelle der eigenen Wählerschaft zeigen, dass sie sich das Heft des Handelns nicht aus der Hand nehmen lässt, als gutes EU-Mitglied aber natürlich die Urteile bzw. die einstweilige Verfügung des EuGH in Luxemburg respektiert und in polnisches Recht umsetzt.
Dabei soll in Vergessenheit geraten, dass Polens Justizminister und Generalstaatsanwalt Zbigniew Ziobro vom polnischen Verfassungsgericht klären lassen wollte, ob das EU-Recht höherrangig als das nationale Recht sei, Polen also tatsächlich Urteile des EuGH umsetzen müsse. Die Gesetzesnovelle soll auch verschleiern, dass die Richter, die Opfer der Säuberungswelle werden sollten, schon vor gut einem Monat auf ihre Posten zurückkehrten und seitdem Urteile sprechen.
Denn der EuGH-Beschluss vom 19. Oktober 2018 hob bereits die Zwangspensionierung der 65- bis 70jährigen Richter am Obersten Gericht rückwirkend auf. Laut Krzysztof Raczka, Rechts-Professor an der Universität Warschau und Richter am Obersten Gericht, ist die Gesetzesnovelle der polnischen Regierung völlig unnötig, da der EuGH-Beschluss bereits neues Recht geschaffen habe.
„Die Teilrücknahme der Justiz-Reform ist zwar ein Schritt in die richtige Richtung“, sagt Grzegorz Schetyna, der Vorsitzende der liberal-konservativen Oppositionspartei Bürgerplattform (PO), „doch sie löst das eigentliche Problem nicht: die Demontage des gesamten polnischen Rechtssystems, das mit der Entmachtung des Verfassungsgerichts begonnen hat.“
Vize-Justizminister Michal Wojcik von der PiS bestätigt die Analyse Schetynas, wenn auch aus anderer Perspektive: „Wir werden unser großes Justiz-Reformwerk zu Ende führen“, sagte er in einem Fernsehinterview. „Wir hissen hier nicht die weiße Fahne!“
Leser*innenkommentare
Vordenker112
Und wie ist es mit der Ernennung der Verfassungsrichter in Deutschland? Deutschland hat kein Recht anderen Staaten Versäumnisse vorzuwerfen!
"Der ursprünglich für den Posten in Karlsruhe vorgesehene Günther Krings (CDU), parlamentarischer Staatssekretär im Bundesinnenministerium, war demzufolge bei den Grünen auf Widerstand gestoßen."
Man muss sich das einmal vorstellen: die Union schlägt Krings vor und weder SPD noch FDP leisten Widerstand - wohl aber die kleinste Oppositionspartei, die bei der letzten BTW gerade einmal 8.9% der Stimmen erhielt. Und denen wird stattgegeben. Wie kann das sein? Die Scheinheiligkeit der dt. Politik ist nicht mehr zu überbieten Da werden Parteimitlieder/MdB von einer Partei vorgeschlagen. Fühlen sich diese Richter dann der Partei verpflichtet? Wer meckert da noch über Polens Justiz?
mats
@Vordenker112 Die Verfahren zur Wahl der Bundesverfassungsrichter in Deutschland sind im Grundgesetz sowie im Bundesverfassungsgerichtsgesetz geregelt. Die Aushandlung der Kandidaten durch die Fraktionen ist aufgrund der vorgeschriebenen Zweidrittelmehrheiten in Bundestag und Bundesrat unumgänglich. Ziel dieser Aushandlung war bisher stets, durch eine pluralistische Besetzung die Balance der politischen Flügel zu erreichen. Dies ist - gerade, was das Vorschlagsrecht der "kleinen" Parteien betrifft - nicht so einfach, und man kann zu Recht darüber streiten, inwieweit die bisher etablierten Prozesse zur Konsensfindung fair und zielführend sind.
So weit, so gut. Demgegenüber wäre mir jedoch nicht bekannt, dass eine deutsche Regierung jemals angestrebt hätte, das Wahlverfahren selbst zu verändern, um Richterposten mit parteipolitisch genehmen Personen zu besetzen. Es ist ein entscheidender Unterschied, ob Spielräume innerhalb des gesetzlich geregelten Verfahrens zugunsten parteipolitischer Interessen ausgereizt werden - oder ob eine Regierung das Verfahren selbst gemäß eigener Machtinteressen abändert und damit die demokratisch verfasste Gewaltenteilung unterminiert.