Umstrittene Justizreform in Israel: Wie die Regierung ihre Generalstaatsanwältin loswerden will
Miara ist eine der wenigen Führungskräfte in Israel, die nicht auf Linie der Netanjahu-Regierung ist. Jetzt versucht der Justizminister, sie zu entlassen.
Levin wirft der Generalstaatsanwältin vor, ihr Amt politisiert und in eine „tyrannische politische Behörde“ verwandelt zu haben. Sie lasse keine Gelegenheit aus, „den Willen der Wähler zu behindern“, schrieb der Likud-Politiker. Miara hat sich seit dem Amtsantritt der rechtsextremsten Regierung in Israels Geschichte vor gut zwei Jahren einen Namen gemacht, indem sie sich der Einschränkung des Obersten Gerichtshofes widersetzt hatte.
Dem Wählerwillen entspricht aber auch Levin nur bedingt: Er versucht seit Monaten, den Justizumbau wieder aufzunehmen, obwohl mehr als die Hälfte der Israelis laut Umfragen dagegen ist. Kritikern zufolge gefährden die Reformen die ohnehin schwache Gewaltenteilung in Israel. Monatelange Massenproteste hatten das Land 2023 gespalten. Der Konflikt war erst durch den Überfall der Hamas am 7. Oktober 2023 in den Hintergrund gedrängt worden.
Miaras Bedeutung als Faktor in der israelischen Politik geht aber längst über die Justizreform hinaus: Neben dem Präsidenten des Obersten Gerichts, Isaak Amit, und dem Leiter des Inlandsgeheimdienstes Ronen Bar ist sie mittlerweile eine der wenigen hohen Staatsbediensteten, die nicht auf Regierungslinie sind.
Miara setzte den Armeedienst für Ultraorthodoxe durch
Seit dem Beginn des Gazakrieges hat die Generalstaatsanwältin sich wiederholt gegen Gesetzesvorhaben, Stellenbesetzung und Maßnahmen der Regierung gestellt, und deren Ministern Verstoß gegen rechtsstaatliche Prinzipien vorgeworfen. Im Herbst forderte sie Regierungschef Benjamin Netanjahu auf, die Leitung des Ministeriums für Polizei und Nationale Sicherheit durch den rechtsextremen Siedler Itamar Ben Gvir zu prüfen. Dieser habe die israelische Polizei politisiert und „seltenen, massiven und andauernden Rechtsbruch“ betrieben.
Zuletzt hatte Miara vor allem bei der Durchsetzung des Armeedienstes für Ultraorthodoxe Druck gemacht, wegen dem die strenggläubigen Koalitionspartner wiederholt ihre Regierungsbeteiligung infrage gestellt haben. Selbst vor Netanjahus Ehefrau Sara machte die Generalstaatsanwältin nicht halt: Diese steht laut Medienberichten im Verdacht, die Justiz behindert und Zeugen beeinflusst zu haben.
Die tatsächliche Macht Miaras hat jedoch Grenzen: Zwar hat sie mitunter Gesetzesvorschläge der Regierung verzögern können, für die ihre Zustimmung nötig ist. Die Minister gingen in der Folge jedoch dazu über, Gesetze als Vorschläge einzelner Parlamentarier einzubringen. Der mittlerweile aus Protest gegen eine Waffenruhe in Gaza zurückgetretene Ben Gvir hat die Polizeiführung trotz Miara umgebaut und politisiert. Der vergangenen August eingesetzte Polizeichef Daniel Levy gilt als loyal zu Ben Gvir und hatte bei seinem Amtsantritt offen gelassen, ob er künftigen Weisungen der Generalstaatsanwältin nachkommen werde.
Kritik: „Zerstört die Demokratie“
Miara zu entlassen könnte Monate dauern. Über den Antrag muss unter anderem ein derzeit nicht vollständig besetztes Gremium entscheiden. Selbst im Falle einer Zustimmung, die keineswegs gesichert ist, dürfte die Entlassung mit hoher Wahrscheinlichkeit vor dem Obersten Gerichtshof landen. Dort müsste die Regierung die Entlassung rechtfertigen. Ministerpräsident Netanjahu bringt das in einen Interessenkonflikt, unter anderem weil Miara als Generalstaatsanwältin die gegen ihn laufenden Korruptionsverfahren überwacht.
Die Reaktionen auf Levins Ankündigung zeigen, wie tief die Gräben in der israelischen Politik sind. Zahlreiche Minister und Regierungsabgeordnete begrüßten den Schritt. Die Oppositionsspitzen verurteilte ihn geschlossen. Jair Lapid warf Levin vor, „die Rechtsstaatlichkeit zu beschädigen“. Benny Gantz kritisierte, der Justizminister „zerstört die Demokratie“.
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