Umstellung auf Öko-Landwirtschaft: Biobauer mit Hindernissen
Joachim Becker hält Milchkühe in Schleswig-Holstein. Er möchte auf Bio umstellen, aber keine Molkerei zieht mit. Jetzt macht er es trotzdem.
W enn Joachim Becker von seiner Lieblingskuh redet, glänzen seine Augen, seine Wangen sind noch röter als sonst. „Sie war eine riesengroße Kuh, sie war ruhig, sie hatte eine Ausstrahlung. Ich weiß nicht, Genua war Genua“, versucht er das Besondere an ihr zu erklären. Vor vier Jahren musste er Genua einschläfern lassen, noch immer ist sie auf seinem Whatsapp-Profilbild zu sehen. Seine Freundin Helena Lehmann sagt: „Deine perfekte Kuh.“ – „Perfekt war sie nicht.“ – „Für dich ja.“ – „Ja.“
Der Milchbauer hat drei Kuhmodelle wie Trophäen auf einem Regal im Wohnzimmer aufgereiht. An einem klebt ein goldenes Schild. Darauf eingraviert: „100.000 kg GENUA v. Titanic“. Er hat die Trophäe vom Zuchtverein erhalten, weil seine Genua über 100.000 Kilogramm Milch erbracht hat. Etwa 20 Zentimeter groß, schwarz-weiß gefleckt, ein praller und hautfarbener Euter. So steht sie da neben zwei weiteren Modellen mitten im Raum, für jede:n zu bestaunen.
Becker hält insgesamt 122 Milchkühe, 75 Jungtiere und 23 Kälber. Ihm gehört eine bewirtschaftete Fläche von ungefähr 1,2 Quadratkilometern. Darauf baut er so einiges an, das sei Tradition in seinem Betrieb: Ackergras, Ackerbohnen, Kleegras, Silomais, Weizen, Roggen, Wintergerste, Sommergerste und Zuckerrüben. Manches davon nutzt er als Futter für die Tiere, manches verkauft er.
Auf dem Hof in Westermühlen, nahe Itzehoe, ist er aufgewachsen. Ein altes Backsteinhaus, Stall, Scheune, ein blauer Silo, hier ein paar Landmaschinen, da eine Holzpalette und natürlich Katzen, die überall herumlaufen. Drumherum Höfe wie dieser, Wiesen mit Pferden und Schafen, Windräder, flaches Land. Vor sieben Jahren hat Becker den Hof von den Eltern übernommen. Er ist 44 Jahre alt. Jetzt beginnt er ein Experiment, das das Ende seines Hofes bedeuten könnte.
Er sei ein „Bauer von der Stange“, sagt Joachim Becker. Er arbeitet konventionell: Stickstoff-Düngung, Pflanzenschutzmittel, weniger Platz für die Kühe. Er weiß, für manche ist er damit ein Feindbild. Doch Becker möchte das eigentlich nicht mehr. Er möchte Biobauer werden. Das erste Mal hat er darüber vor fünf Jahren nachgedacht, nach einem Unfall. „Mein Deckbulle hat mich da, auf gut deutsch gesagt, ein bisschen lieb gehabt“, beschreibt er den Vorgang. Der Bulle wog wohl 1,5 Tonnen. Die Folge: zugeschwollener Brustkorb, Überrolltrauma, herausgesprungene Rippen. Joachim Becker hatte Glück, dass er noch lebte.
Drei Monate verbrachte er im Krankenhaus und drei weitere krankgeschrieben zu Hause. Er hatte viel Zeit und begann, sich über Milchdirektvermarktung, also den Verkauf von Milch ohne Molkerei, zu informieren. Für den direkten Kontakt zwischen Erzeuger:innen und Konsument:innen hatte er sich schon zu Schulzeiten interessiert.
Es dauerte noch eine Weile, bis er mit der Bio-Umstellung ernst machte. 2019 fing er mit den Vorbereitungen an. Zwei Jahre lang dauert so eine Umstellung, das schreibt die EU-Ökoverordnung vor. Im Frühjahr soll es losgehen. Dann muss er das Futter umstellen, die Ställe umbauen, seine Felder anders bewirten. Zwei Jahre, in denen er weiter bezahlt wird wie ein konventioneller Bauer. Im Dezember bekam er 34 Cent pro Liter verkaufter Milch, bei einem Verkauf von 65.000 Litern. Er rechnet damit, für die Umstellung 80.000 bis 100.000 Euro investieren zu müssen.
„Das lohnt sich nur, wenn du die Produkte auch so honoriert kriegst, wie du sie produzierst“, habe ihm ein Berater der Landwirtschaftskammer geraten. Heißt: Becker braucht Sicherheit, dass jemand seine Biomilch auch als solche kauft. Doch keine der Molkereien in der Region sagt ihm das zu. Wohl, weil sie froh seien, die Milch zu verkaufen, die sie schon bekommen. Die Nachfrage steige nicht mehr so stark wie noch vor ein paar Jahren.
Becker irritiert das. „Ich höre, die Gesellschaft möchte, dass wir Landwirte uns verändern. Nun will ich mich ja verändern und naja.“ Naja. Der Anteil von Biomilch im Verkauf liegt in Deutschland laut Agrarmarkt-Informationsgesellschaft bei knapp sieben Prozent.
Doch seine Entscheidung sei nicht aus gesellschaftlichen Druck entstanden, sagt er, und es gehe auch nicht um Rentabilität. Er wolle das wirklich. Deswegen macht er es jetzt ohne Molkereivertrag, entgegen der Empfehlung des Beraters. Auf eigenes Risiko stellt er den Betrieb Schritt für Schritt auf Bio um. „Es kann auch sein, dass ich in zwei Jahren dann kein Landwirt mehr bin, weil ich die Kiste gegen die Wand gefahren habe“, sagt Becker. Er schweigt danach länger als sonst. „Das ist natürlich auch irgendwie ein Druck.“
Joachim Becker, Landwirt in Holstein
Er könne seine Familiengeschichte bis zum 30-jährigen Krieg nachvollziehen, alles Landwirte. „Ich sehe den Hof nicht unbedingt als meinen Besitz, sondern würde ihn ja gerne mal an jemanden weitergeben.“ Er streichelt über den Bauch seiner schwangeren Freundin. Sie sitzen eng nebeneinander auf einem alten Sofa, tragen dicke Socken, ihren Kaffee trinken sie aus geblümten Kaffeetassen, den Blechkuchen aus dem Hofcafé seiner Eltern schieben sie mit der Hand in den Mund.
Die groben Holzdielen, eine alte Nähmaschine, die nun nur noch Ablage für die Musikanlage ist, eine Schaukelkuh, Lammfelle auf dem Sofa – hier sieht es aus wie in jedem hippen Öko-Familien-Viertel einer Großstadt. Nur der Blick nach draußen ist anders.
Vor der Haustür hat sich ein ganzer See aus Regenwasser gebildet. Becker scheint das egal zu sein. Er stapft da durch, über die Einfahrt, hin zu den Kälbern. Jedes steht in einem eigenen Unterstand aus weißem Plastik im Freien, davor ein Geländer mit Eimer und Saugvorrichtung. Ein Provisorium, das bald umgebaut werden soll. Unter anderem, weil die Kälber nach der Umstellung nur noch eine Woche in Einzelboxen stehen dürfen.
Bisher füttert Becker die Kälber nur teilweise mit Vollmilch, teilweise bekommen sie Milchpulver. Auch das wird sich nach der Umstellung ändern, als Biobauer darf Becker nur noch Vollmilch füttern. „Es ist ein Spagat. Das eine ist, was man will, das andere ist, was man muss“, erklärt er.
Ein Grund, warum er zu Bio wechseln möchte. Nicht mehr so wirtschaftlich getrieben zu sein, Entscheidungen für das Tierwohl treffen zu können. Sollte er doch noch Molkereien finden, die ihm die Biomilch in zwei Jahren abnehmen, erzielt er nicht unbedingt mehr Gewinn. Das Ziel ist ein anderes: „Dass wir nicht noch exorbitante Wachstumsschritte machen müssen.“ Er will nicht mehr Kühe.
Bevor er in den Kuhstall geht, zieht Becker matschgrüne Gummistiefel über seine Jeans. Er steigt durch die Metallstreben zu den Tieren im Laufstall. Einige laufen weg, eine schnuppert an ihm: Ultra. Er klopft ihr auf den Rücken und erklärt, es sei die Kuh seines Sohnes. Wohl ausgewählt, weil sie Rotvieh ist, mit ihrem rötlich-braunen Fell gut erkennbar unter den anderen, die alle schwarz-weiß gefleckt sind.
Der Sohn wohnt nicht mehr auf dem Hof. Im Dezember trennte sich Becker von seiner Frau. Sie zog weg, mit beiden Söhnen. Auch das ist ein Grund, warum er erst jetzt den Schritt Richtung Bio wagt. Seine Frau stand nicht dahinter. „In so einem kleinen Betrieb ist es ganz wichtig, dass die Leute mitziehen“, sagt er. Nun ist seine neue Freundin eingezogen, zusammen mit ihren Kindern. Die beiden teilen gemeinsame Werte, sie hat schon vorher auf einem Demeterhof gearbeitet.
Im Stall haben die Kühe auch die Möglichkeit, sich hinzulegen. Manche der Liegeboxen haben Becker und seine Mitarbeitende bereits mit Stroh gemütlicher gemacht. Nach der Umstellung werden alle so ausgestattet sein. Die Zahl der Milchkühe wird auf 85 reduziert. Und aus dem Stall heraus sieht man die Wiese, auf der sie ab Mai bis November weiden dürfen. So weit die Zukunftspläne.
200 Ferkel auf 30 Quadratmetern
Um die Ecke liegt die Vergangenheit. Becker geht durch einen Gang mit bedrückend niedriger Decke und Dreck an den Wänden, bis er in einem Raum steht, der bis 2017 ein Schweinestall war. Hier hielt er 200 Ferkel auf vielleicht 30 Quadratmetern, in den Räumen daneben lebten weitere 600. „Diese Haltungsform will ich nicht mehr“, sagt er heute, wenn er im leeren Raum steht.
Der Spaltenboden ist so dreckig, als wären die Schweine noch bis gestern hier gewesen. Durch das kleine Fenster kommt wenig Licht. Er habe damals das Gefühl gehabt, Fleischunternehmer Clemens Tönnies beherrsche den Markt. „Das Schwein muss dann genau sein, wie er es haben möchte.“ So wollte er das nicht. Das war sein erster Schritt weg von der konventionellen Landwirtschaft.
„Ich bin kein Freund von so ganz großen Veränderungen, ich mache alles eher Step by Step“, sagt er. So auch die Umstellung auf Bio. Erst kamen die Schweine weg. Seine Molkerei hat er schon gekündigt, nächstes Jahr möchte er an eine liefern, die ihm die GVO-freie, umgangssprachlich gentechnikfreie, Fütterung mit einem Cent pro Liter honoriert. Ab Frühjahr werden dann die Felder anders bewirtschaftet, Anfang 2021 die Kühe Bio gefüttert. 2022 kann er Biomilch verkaufen.
Ob er dafür auch Biopreise bekommt, bleibt ungewiss. Und das wirft er vor allem den Konsument:innen vor. Es würden mehr Menschen sagen, dass sie gern mehr Biolebensmittel hätten, als es Menschen gibt, die sie tatsächlich kaufen. Das ärgert ihn und trotzdem weiß er, dass es nicht ausschließlich an den Konsument:innen liegt. „Ich sehe uns Bauern nicht als das Problem, aber als Teil des Problems“, sagt er. „Aber wenn man Teil des Problems ist, kann man auch Teil der Lösung sein.“
Wäre es nicht einfacher, Teil der Lösung zu sein, wenn kein ständiger Wettbewerb um den niedrigsten Preis bestehen würde? Wenn es feste Vorschriften gäbe, die jede:r einhalten müsste?
Daran glaubt Becker nicht. Dafür gab es zu viele Vorschriften in den letzten Jahren, die er unnötig fand. Er weiß genau, was ihn nervt an seinem Job: Bürokratie. Menschen müssten es wirklich wollen, damit sie es umsetzen. Sonst würden sie sich um die Regeln mauscheln. Das gelte für Konsument:innen wie für Landwirt:innen. „Wir müssen es hinkriegen, dass Gesellschaft und Landwirtschaft wieder zusammenfinden.“
Auf seinem Traumhof sähe das so aus: Teil seiner Biomilch würde er im Hofladen verkaufen. „Ich möchte sehen, dass mein Produkt gerne gekauft wird.“ Er hätte dann so um die 80 Kühe. Vielleicht auch noch Ziegen oder Ochsen. Aber am wichtigsten wäre ihm: „Kein Streit.“
Seine Freundin fragt: „Kein Streit?“
Und er antwortet mit schelmischen Grinsen: „Ja, kein Streit.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
US-Interessen in Grönland
Trump mal wieder auf Einkaufstour
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Mangelnde Wirtschaftlichkeit
Pumpspeicher kommt doch nicht
Täter von Magdeburg
Schon lange polizeibekannt